Die Kultur ökonomisieren – ein schlechter Vorschlag
Wie in der Politik schon lange, herrscht zur Zeit auch in der Kultur eine tiefe Verdrossenheit. Die Menschen sind sehr müde. Kein Elan, keine Begeisterung. Business als usual. Ein Staat ist damit nicht zu machen. Aus schierer Verzweiflung halten sich die Menschen an den letzt Strohhalm, der ihnen geblieben ist. Das sind die Börsenkurse. Geht es aufwärts? Geht es abwärts? Jeden Tag eine kleine Hoffnung weniger und eine grosse Enttäuschung mehr (ausser für wenige).
In Zeiten wie diesen geht es zuerst der Kultur schlecht. Das Publikum bleibt in den Theatern, Museen und Konzertsälen weg, dafür verzeichnen die Stadien und Autorennstrecken Zulauf.
Wenn ein Kurator Jeff Koons in Versailles ausstellt, meint er vielleicht, einen tollen Einfall gehabt zu haben. In Wirklichkeit ist es nur Schwachsinn. Jean Clair hat in seinem Buch "L'Hiver de la culture" den dröhnenden Leerlauf des Kunstbetriebs rubriziert. Ausstellungen sind Partyanlässe, die Museen vermieten ihre Räumlichkeiten für Geschäftsempfänge, eine Ausstellung über Vincent van Gogh hat die Aufgabe, das Stadtmarketing zu fördern. Schlimmer geht es nicht.
In den Kulturabteilungen der Medien wird ein dürftiger Kulturbegriff vertreten. Seit Wochen meine ich, nichts anderes zu lesen als Berichte über besoffene Soul-Divas. Jeder DJ wird als Schamane gefeiert, jeder Rapper ist ein Halbgott. Kunst beschränkt sich auf Selbstdarstellungen à la Cindy Sherman. Damien Hirst, der ein Schaf in Formaldehyd ausstellt, hat das Kunstwerk zum Industrieprodukt beziehungsweise Spekulationsobjekt gemacht. Vielleicht ist der Kulturbetrieb deswegen so heruntergekommen.
Auch die Forderung, Kultur müsse für das grosse Publikum zugänglich, gewissermassen mehrheitsfähig sein, ist ein schlechter Ratgeber. Man erinnert sich an das Wort des früheren Bundesrats Pascal Couchepin vom "volksnahen Qualitätskino". Wenn ein Volkskaninchen und eine Qualitätskarotte zusammen in einen Käfig gesperrt werden, kann man sicher sein, dass das Kaninchen überlebt.
Die Folge solcher Forderungen sind Ausstellungen über Ovomaltine oder Hutschachteln oder sonst etwas Hübsches. Niemals aber kann es Aufgabe der Kultur sein, schon gar nicht der staatlich geförderten Kultur, das Publikum an verregneten Sonntagen zu unterhalten. Dafür steht das Sozialbudget, Abteilung Familenförderung, zur Verfügung. Kultur ist ein kritischer Diskurs, der allerdings, richtig geführt, sehr anregend und unterhaltsam sein kann. Und jetzt ...
Jetzt kommt zu allem Schrecken auch noch die Diskussion über den Kulturinfarkt hinzu. Angeschoben haben sie Pius Knüsel und einige deutsche Mitautoren. Knüsel ist Direktor der Pro Helvetia, die für den Kulturaustausch zwischen der Schweiz und dem Ausland zuständig ist. Offenbar hat er, statt seine Aufgabe zu machen, den Nerv der Zeit getroffen. Es genügt, kräftigt auf die Pauke zu hauen. Der Stiftungsrat hat sich inzwischen von den Infarktdiagnosen distanziert.
Knüsel & Co. klagen, dass es "von allem zuviel und überall das Gleiche" gibt, und versuchen, die Ziele und Mittel der Kulturpolitik neu zu definieren. Das geschieht längst schon. Qualität wird in jeder Kommission bei jeder Vergabe neu definiert. Kulturpolitik habe darin zu bestehen, die Infrastruktur bereitzustellen, meinen die Autoren weiter. Und wie macht man das? Indem man das Budget halbiert und die Laienkultur fördert. Nein, visionär ist das nicht.
Indirekt schlagen die Autoren auch vor, die Klasse der gut bezahlten Kulturmanager aufzuwerten. Sie verwenden, im Unterschied zu Theodor W. Adorno, den Begriff Kulturindustrie positiv und verstehen darunter "Herstellung und Vertrieb von ästhetischen Erlebnissen in Warenform mit dem unbeugsamen Willen zum Erfolg". Kulturparks schweben ihnen vor, "wo Jungfirmen der Kunst mit steuerlichen Vorzugsbedingungen, günstiger Infrastruktur und Business-Coaching hochgezogen und nach fünf oder sieben jahren in die freie Wildbahn entlassen werden". Das ist die Ökonomisierung der Kultur als ultima ratio. Wer will hier noch weiterlesen?
Am Schluss haben die Autoren doch noch eine Vision, nämlich "die Vision einer umfassenden Erlebnisgesellschaft". Das reicht. Hier klappen wir das Buch endgültig zu.
Wir hatten immer gedacht, der Staat habe die Aufgabe, korrigierend die Kultur zu fördern, wo der entfesselte Frohsinn der Sponsoren eigennützige Ziele verfolgt. Seine Aufgabe wäre dies nur schon deshalb, weil Kultur als Service public genauso zu verstehen und zu betreiben ist, wie sich der Staat eine Armee leistet, die noch viel unrentabler ist, aber trotzdem mit Milliardenbeträgen rechnen kann.
2. April 2012