Eine Fasnacht ganz unter uns Baslern
Denkwürdige drei Tage waren es, die diesjährigen drey scheenschte Dääg, es war eine sehr baslerische Nichtfasnacht. Das Coronavirus und die Absage der offiziellen Fasnacht traf die Stadt mitten ins Herz. Viele Aktive hatten monatelang gearbeitet, Kostüme genäht, Laternen gemalt, Zeedel gedichtet, Cliquen, Guggen, Schnitzelbänggler. Sie hatten ihr Geld ausgegeben für Orangen, Säcke voller Räppli, Mimosen und all die andern Dinge, die sie an der Fasnacht jeweils verteilen.
Auch das Gewerbe kam unter die Räder, keine Touristen, keine vollen Beizen. Laternenmaler, Schneiderateliers, Larvenateliers, alle Mühe umsonst. Aber die finanziellen Einbussen sind nur das eine, schwer genug. Das ganze Herzblut, welches Basel in seine Fasnacht steckt, die Vorfreude, die Knall auf Fall ausradiert wurde, ist ein anderes. Die Absage war schmerzhaft, brutal, erwischte die Stadt auf dem falschen Fuss, aus heiterem Himmel.
Aber dann wurden die Einheimischen zu den Baslern, wie sie es seit jeher waren und ganz offensichtlich noch immer sind. Das haben wir schon lange nicht mehr so gespürt. Die Melancholie dieser Stadt mit ihrer Grenzsituation, mit den Seuchen, die sie schon immer durchleiden musste, diese Fragilität, Sensibilität, der Totentanz, das Siechenhaus in St. Jakob, und dann das immer wieder aufstehen müssen.
"Es tat gut, das Altbaslerische
wieder einmal gespürt zu haben."
Der Basler Humor ist nicht umsonst sarkastisch, böse, und doch warmherzig. Wie meine Grossmutter väterlicherseits, die als Kind den blauen Husten hatte. Und in der Seuchenkutsche, die sie an der Spalenvorstadt abholen kam, noch Diphterie auflas. Schliesslich in Davos, wo Lungenkranke im tiefen Winter draussen eine "Luftkur" absolvieren mussten, vergessen ging. Schwere Erfrierungen an beiden Füssen waren die Folge.
Sie war die liebste Grossmutter der Welt, aber ihre Sprüche waren träfe, trocken und sarkastisch. Nichts konnte sie aus der Fassung bringen, sie liess sich, mit Stil und ganz Dame, von niemandem etwas gefallen. Auch von Gevatter Tod nicht. Als sie, fast hundert Jahre alt, nicht mehr leben wollte, ass sie einfach nichts mehr.
An dieser Nichtfasnacht jetzt hat nun plötzlich jeder mit jedem gesprochen, der Basler kam aus seinem Schnoogeloch. Für einmal dominierte nicht der internationale Sprachenmix, von dem wir sonst umgeben sind, sondern Baseldeutsch. Die Basler gingen aus, solidarisch mit den Wirten. Die Wirte übernahmen die für die kleinen Grillbuden produzierten Würste, die die Buden nicht bezahlen konnten, und auch das Bier. Und die Basler kamen, assen und tranken.
Die Schnitzelbänke wurden aufgezeichnet und konnten am Fernsehen und von der Leinwand genossen werden. Die Aktiven spendierten verderbliche Ware an Altersheime, soziale Institutionen, und stellten den Leuten, die unter Quarantäne standen, Papiertüten mit Lebensmitteln und anderem vor die Türen. Starteten witzige Aktionen, pfiffen Fasnachtsmärsche im Rhein schwimmend, bei eisiger Kälte, sangen die Märsche. Trugen die Fasnacht zu Grabe, und machten sie damit lebendiger, persönlicher und geistreicher wie schon lange nicht mehr. Eine Fasnacht ganz unter uns war das, diese Nichtfasnacht.
Es ist also noch da, das Altbaslerische, und es tat gut, dies wieder einmal gespürt zu haben. Der Basler Geist blieb erhalten, lebt also doch noch, mehr denn je, auch bei den einheimischen Nichtbaslern. Die Fasnacht lebt schon lange nicht mehr nur von den Altbaslern, und es waren auch jetzt nicht nur die Eingeborenen, die diese drei Tage Nichtfasnacht auf höchst baslerische Art und Weise mit Stil und Niveau bestritten. Und die diejenigen, die dumm taten, alt aussehen liessen, uralt.
Es war ja nicht Bundesrat Berset, der uns den Spass verderben wollte, es war auch nicht Obfrau Inderbitzin oder Regierungsrat Engelberger. Es war, und ist leider noch immer, dieses Virus, das uns weltweit in Atem hält. Niemand, ausser diesem Erreger, ist schuld. All die Verantwortlichen versuchen lediglich, die Lage in den Griff zu kriegen. Mit Mitteln und Wegen, die sie noch nie in der Praxis erproben konnten. Irgendwann wird es überstanden sein.
Den Fasnächtlern aber, die in diesem Jahr keine sein durften, an dieser Stelle einen ganz grossen, riesigen Dank. Sie haben das einmalige Erlebnis möglich gemacht, den Geist dieser Stadt wieder einmal spüren zu können. Eine Fasnacht ganz ohne Glanz, Dekorationen, Klimbim und Show. Reduziert auf den Wesensgehalt der Fasnacht, eine Mischung aus Melancholie und Humor. Danke.
9. März 2020