Andrea Strahm, genannt "Hummeli"
Der Emil ist der "Migger", den Karl nennen sie "Karli" oder "Kalle", und der Peter ist der "Pitch", auf Berndeutsch jedenfalls. Womit mein Chef hier in OnlineReports der "Pitch" wäre, wären wir im Bernbiet. Und wer, weil er einmal syydig oder süss war, einen Diminutiv fasste, behält den lebenslänglich. Weshalb das "Ruthli" und das "Rösli" heute noch so heissen, auch wenn sie gegen die hundert Kilo und zweitausend Runzeln vor sich herschieben. Namensverhunzungen sind also manchmal übel. Aber Übernamen, die sind die Pest, denn die haben eine Bedeutung, und die wird keiner mehr los.
Ich war nie syydig, süss schon gar nicht. Aber klein war ich mal, weshalb mich mein Götti "Andréeli" nannte. Mein Taufname war nämlich "Andrée", weil das von meinen Eltern gewünschte "Andrea" nicht akzeptiert worden war. Und "Andréeli" war einfach nur grauenhaft. Schlimmer noch als "Andy", und das war schon schlimm genug. So hiess nämlich ein Comic-Lackaffe mit Collie, geschwollenem Brustkasten und Tolle, der damals weltrettend durch die Bubenträume wippte. "Andréeli", sprich "And-Rehli", erinnerte mich an Bambi, süss und unschuldig in Personalunion, und da wollte ich definitiv nicht hin.
"Andrea", was inzwischen mein amtlicher Name ist (hat mich vierhundert Franken gekostet, die amtliche Änderung), mochte ich auch nicht. Er kam nämlich immer dann zur Anwendung, wenn ich etwas verbrochen hatte. Relativ oft also. Mehrmals täglich. Oder stündlich. Also stark negativ behaftet, dieser Vorname. Mit einer Wirkung wie ein Martinshorn. Rief meine Mutter, Hüterin von Moral und Sitte, meinen Namen, übertönte sie problemlos jede Sirene. Damit kommen wir zum Punkt, meinem Übernamen. Mit dem ich dann bezeichnet wurde, wenn ich einigermassen entspannt sein konnte, und den ich deshalb mochte.
"War das ein Tumult, das Nahtod-Erlebnis
wurde sozusagen Realität."
Kürzlich sass ich nun mit dem Chef dieses Mediums locker beim Mittagessen, und was passiert mir? Ich verplappere mich. Journalisten finden alles heraus, alles. Wir sprachen über meinen Cousin, der mich ab und zu mal sauer macht, weil er mir tolle Fotos vom See schickt, derweil ich im Büro brate. Und wenn er das merkt, sagt er mit warmer Stimme: "Aber Hummeli, ig meine das ja nid eso." Und genau das erzählte ich dem Peter, et voilà, da war der Schuss duss. Er wünsche sich dazu eine Kolumne, und seine Augen glänzten dabei wie seine Trompete, wenn er auf der Bühne steht. So kommt es, dass ich mich heute oute. "Hummeli" also. Ein dicker, pelziger Brummer, der sticht. Aber ohne Martinshornwirkung, und deshalb Entspannung pur.
Einst nannte mich auch mein Primarlehrer "Hummeli". Ich war später eingeschult worden als alle andern und musste dann mit dem Lehrer in die Klasse, die bereits stramm da sass, zweiundsiebzig Augen stierten mich an, was mir als Nahtod-Erlebnis bereits gereicht hätte.
Aber es kam noch dicker. Er platzierte mich und fragte mich, wie ich hiesse. Ich antwortete korrekt mit "Andrea Elisabeth Strahm". Stille. Ja, und welches denn mein Rufname sei? Und da sagte ich, zum Gaudi aller zweiundsiebzig Augen, zweiundsiebzig Ohren und sechsundreissig Stimmbänder, halt "Hummeli". War das ein Tumult, das Nahtod-Erlebnis wurde sozusagen Realität. Aber der Lehrer reagierte souverän und nannte mich fortan "Hummeli". Und ich kehrte wieder zu den Lebenden zurück.
"Hummeli" ist ja lieb. Bedauerlicherweise war ich nie sehr lange "lieb". Drohte die Stimmung in Richtung "Andrea" zu kippen, nannte mich die Staatsanwaltschaft, noch leicht wohlwollend, "Surrihummele", also "Hummel die rum surrt". Was eine Warnung war, "Andrea" zog am Horizont auf. Im Verlauf meiner Erwachsenenwerdung blieb es dann bei "Hummele", wenigstens kein Diminutiv.
Den Übernamen fasste ich gemäss den Erklärungen der Strahmschen Strafvollzugsbehörde im Spital, in welchem ich das Licht der Welt erblickt hatte, und gegeben hat ihn mir eine Säuglingsschwester. Ich war von Anfang an nicht ganz leblos, kugelrund, hatte schwarzes, wirres Haar, einen gelben Strampler, und versuchte, meinen Willen zu manifestieren. Diese dauernde Fremdbestimmung muss mich dann schon genervt haben. Jedenfalls ähnelte ich wohl besagtem Insekt, und es kam, wie es kommen musste: Hummeli. Ich kann damit leben. Jedenfalls sehr viel besser, als mit "Andréeli", "Andy", "Ändu" (Bernerseite) oder "Andreali".
Mit "Andrea" habe ich mich im Übrigen auch ausgesöhnt. Man gewöhnt sich an Martinshörner.
18. November 2019