Das Hirn spielt uns pausenlos Streiche
Die beste Autofahrerin bin ich definitiv nicht, interessiert mich einfach nicht. Ich nehme die öV, so sie fahren, oder mein M-Bike. Mit "M" für "Muskeln", nicht die Migros, denn das Velo ist ein Cilo von Cenci, ich erhielt es zur Konfirmation, und es ist unverwüstlich. Was mal wieder zeigt, wie nachhaltig Religion ist. Aber lassen wir das.
Ich kann also ausreichend Auto fahren. Das lernte meine Generation früh. Wir demonstrierten gegen AKWs und fuhren mit dem Auto nach Kaiseraugst, CO2 schien uns weit weniger schlimm als der sich anhäufende, radioaktive Schrott. Heute ist es umgekehrt. Sie demonstrieren auf mit Atomstrom betriebenen E-Bikes gegen CO2.
Aber wir haben heutzutage ja auch ein Klima- und nicht ein Umweltproblem. Mein Auto also. Kein Tretauto, sondern ein alter, kleiner Normalo, und der steht meistens in der Garage. Und ich kann eigentlich damit fahren, und auch parkieren kann ich eigentlich. Lernte ich an der Uni. Wir dachten einst naiv, rund um die Uni herrsche Parkplatznot, weshalb jeder Studierende unglaublich gut parkieren konnte und seinen R4, Käfer oder Döschwo dellenfrei in die kleinste Lücke setzte.
"Und so rangierte ich wie im
dümmsten Blondinen-Witz in die Lücke."
Ich also kürzlich am Parkieren, im Sommer, musste auf die Post, grosses Paket abholen. Irgendein Motorrad stand da noch, heiss war's. Und so rangierte ich wie im dümmsten Blondinen-Witz in die Lücke. Mit hundert Anläufen und noch immer nicht am Trottoirrand. Das wäre ja nicht so schlimm gewesen, hätte das nebenan liegende Reisebüro nicht ausgerechnet dann seinen Sommerapéro gehabt. Da sassen massenweise Leute, die ich kannte, und, noch schlimmer, sie mich. Hätte ich gekonnt, ich wäre sang- und klanglos verduftet. Aber ich musste da durch, mit rotem Kopf.
Und seither kann ich dort nicht mehr parkieren. Ich schaffe es einfach nicht mehr. In meinem Kopf läuft der Film "Post, Reisebüro, Parkieren, Affenschande" und fertig. Da sind sicher wieder Leute drin, im Reisebüro, die sich schieflachen. Nichts anderes zu tun haben, als der Andrea beim Parkieren zuzuschauen, Fotos zu machen und dann zu posten. Das hat im Sommer zwar keiner gemacht, zugegeben. Und trotzdem: die totale Blockade. Vorwärtsgang, einschlagen, Rückwärtsgang, einschlagen, kurbeln wie blöd, und in der Ferne lockt der Trottoirrand, ein einzig Drama ist das.
Szenenwechsel. Ich kenne die Person da ganz genau. Bruder von, Chef von, wir waren zusammen mal da an dem Anlass, ich weiss alles. Bloss den Namen nicht. Ich weiss aber ganz genau, dass diese Person unglaublich beleidigt ist, wenn ich den Namen schon wieder nicht weiss. Und weg ist er. Und wieder da, kaum ist die Person vom Radar.
Ich hämmere mir den Namen also ein, mache Eselsbrücken am Laufmeter, gehe strahlend auf die Person zu. Und weg. Inklusive Eselsbrücke. Bloss ich steh' da wie ein Esel: Ja, Hallöööööchen, wie geht's denn so? Und der andere, der weiss es. Andrea. Das hätte ich auch gewusst, nebenbei bemerkt. Von jedem andern, den ich nicht kennen muss, weiss ich Namen, Telefonnummern, Schuhgrösse, Blutgruppe, kurzum alles, auch wenn ich ihn erst ein halbes Mal gesehen habe. Und er meinen Namen nicht weiss.
Der Kopf spielt uns pausenlos Streiche. Auch Ihnen, Sie erinnern sich doch noch ganz genau, damals, auf der Silvrettahütte, das Kind da, dem die Kappe davonflog. Wie das schrie. Sehen es noch vor sich, glasklar, und dahinter den Sonnenuntergang. Sie würden schwören vor Gericht, wären Sie Zeuge, dass es genauso war. Und dann kommt Ihre damalige Begleitung, und alles ist anders. Denn die hat's fotografiert, das Kind mit der Kappe, das war an einem See, und es war stürmisch, regnete. Auf der Silvrettahütte damals hatten Sie bloss gekifft, Sie stehen auf dem Bild mit Joint da, malerisch vor dem Sonnenuntergang. Die glasklare Erinnerung löst sich auf, und Sie verzweifeln schier.
Das mit dem Erinnerungsunvermögen gilt im Übrigen auch für Politiker. Und Wähler. Nicht aber Journalisten. Denn die recherchieren ja. Oder?
Es war also wahrscheinlich alles ganz anders bei mir im Sommer, vor der Post, mit meiner Parkier-Blamage. Mein Gehirn hat bloss "Fahrschultrauma", "Reisebüro" und "Post" falsch verlinkt. In Tat und Wahrheit war da kein Mensch oder, wahlweise, ich parkte mit einem Schlag unter Beifall tadellos ein. Die zweite Variante gefällt mir ausserordentlich, unter uns gesagt. Mal sehen, ob's klappt. Hoffen wir einfach, dass mich die vom Reisebüro damals im Sommer nicht doch abgelichtet haben.
21. Oktober 2019
"Grosspaket per E-Rikscha"
Bald wird die Andrea nicht mehr parkieren müssen denn die Post ist dann weg und das Grosspaket wird per E-Rikscha nachgeliefert wenn wer nur auf diese Idee käme. Könnte doch von der Post finanziert werden.
Michael Przewrocki, Basel