Leben in einer Welt der Voreinstellungen
Ich harre in Sprungstellung vor dem Lift, denn gerade kürzlich hat er mich wieder eingeklemmt, der Lift. Blitzschnell geht da die Türe zu. Noch blitzschneller muss ich da also reinhechten. Mache ich auch, und lande prompt in einem Rolli mit Bodenplatten. Und so fahre ich mit dem Rolli in die Höhe, derweil derjenige, der die Bodenplatten bräuchte, in Lauerstellung vor dem Knopf harrt, um sofort draufzudrücken, wenn das rote Lämplein erlischt.
Da hat sich einer was überlegt, an einem Schräubchen gedreht, programmiert, die Türe soll nur zwei Sekunden offen bleiben, die Leute sollen nicht ewig warten müssen, so geht das zackig, und es hat ja eine Lichtschranke, falls da noch was oder wer dazwischen ist. Hat es. Es sei denn, der Arm ist oberhalb oder das Bein unterhalb selbiger. Aber lassen wir das. Hat sich was gedacht, der Liftmonteur, vermutlich gerade mit der Lehre fertig.
Ein anderer Liftmonteur hat den Lift in einem Basler Lebensmittelgeschäft programmiert, ein ganz anderer. Vielleicht kurz vor der Pensionierung. Ein erstes Nickerchen im Stehen, bis die Sänfte endlich heranruckelt. Also da zackig da rein und auf die "Zu"-Pfeile gedrückt. Nicht doch, kein Stress, kommt ja noch jemand, vielleicht, demnächst, wir warten jetzt noch etwas.
Irgendwann ein jähes Erwachen aus dem Sekunden- oder Minutenschlaf, er hat sich doch noch in Bewegung gesetzt, der Lift, und schwebt in Chromstahl und Glas in das Untergeschoss. Der Liftmonteur dachte sich wohl, dass da eine Generation im Rentenalter einkauft, und dass eine Herzattacke zufolge Stress im Lift geschäftsschädigend wäre.
"Du suchst auf die Seite der Handelsregister
eine Firma – Wanderschuhe!"
Die denken und tun für uns. Liftmonteurinnen, Programmierer, Mechaniker, Konstrukteurinnen. Ob Klingelton, Bildschirmschoner, Raumtemperatur oder Lüftung, wo immer wir auch sind, was immer wir in die Hand nehmen, da sass mal wer, zeichnete, rechnete, mass, komponierte, und entschied, wie wir das zu erdulden, geniessen, erleiden haben. Egal, ob uns beim Anblick schlecht wird oder nicht, wir kriegen eine Fototapete auf den Bildschirm gespielt, die kitschiger nicht sein könnte, wenn das der Gestalter so wollte, oder geometrische Figuren, wenn seine Kollegin am Werk war.
Was denen gefällt, hat dir zu gefallen, Voreinstellung, Werkseinstellung, da ist alles bereits eingestellt. Wem's nicht passt, der kann das nacheinstellen. Stunden auf dem Sofa später hat er dann eventuell den Klingelton, den er mag, die Kids sind endlich der Bildschirmschoner, der Iris-Scan oder der Fingerprint sind eingerichtet, die Apps angeordnet, die Mailbox eingerichtet. Und danach braucht es ein Aspirin, mindestens.
Wer jetzt friedlich herum googelt, glücklich auf dem Sofa, wundert sich dann doch. Dauernd Werbung für Wanderschuhe in Damengrösse 35. Völlig unverhofft poppt das da auf, Wanderschuhe. Irgendwann in früher Steinzeit hast du das tatsächlich einmal gesucht. Und das sind dann die Voreinstellungen, die nicht mehr so einfach nacheingestellt werden können. Spione. Einmal Wanderschuhe, immer Wanderschuhe.
Du bist an der Arbeit, gehst auf die Seite der Handelsregister und suchst eine Firma – Wanderschuhe. Checkst das Kinoprogramm – Wanderschuhe. Wo gibt es fruktosefreie Schokolade – Wanderschuhe.
Irgendeiner hat dann eingestellt, dass dies nach irgendeiner Zeitdauer ändern soll, und dann kommt dann endlich die fruktosefreie Schokolade, zum Beispiel. Was läuft im Theater – Schokolade. Wie sind die Öffnungszeiten der Post – Schokolade. Wann kommt das nächste "Achter"-Tram – Schokolade. Ganz dumm läuft es, wenn die Wanderschuhe dann doch Thema werden, denn was poppt da dann wohl auf? Fruktosefreie Schokolade. Was sonst?
Glücklicherweise ist auch dies eine Voreinstellung, die deaktiviert werden kann. Aus dem Internet erfährt die Anwenderin, wie das geht. Der Anleitung zwischen Reklame für Wanderschuhe und fruktosefreier Schokolade folgend scrollt sie, klickt sie und switcht, von "Einstellungen", auf "privat" oder auf "Sicherheit" oder "persönlich". Und es ist geschafft, nach Stunden auf dem Sofa und zwei Aspirin, kein Verlauf mehr rekonstruierbar. Ha.
Bis zum nächsten Update. Automatisch und über Nacht sind sie alle wieder da, die Voreinstellungen. Zum Glück gibt's Aspirin.
26. August 2019
"Ich bin begeistert"
Ich bin begeistert
von all den Geistern
die ich nicht rief!
Wie werde ich sie bloss
nur wieder los?
Viktor Krummenacher, Bottmingen
"Gefragt hat kein Mensch"
"Die denken und tun für uns." – Das ist genau der Punkt. Ich horche jedes Mal auf, wenn es heisst: "Die Kunden wollen nicht … (z.B. an den Schalter gehen bei der Post).» Oder: "Die Menschen brauchen kein Bargeld mehr….". Oder "Die Anwohner haben lieber fünf Jahre weniger Lärm wie ein Jahr sehr viel Umstände…".
Jedesmal denke ich: Mich – oder uns - hat niemand gefragt! Das sind alles Fachleute, die sich auf Statistiken berufen, diese so interpretieren, wie es ihnen dann in den Kram passt, um etwas abzuschaffen oder umzudrehen, oder eben: um die Schliesszeit der Lifttüren zu rechtfertigen. Aber gefragt hat kein Mensch!
Daniel Thiriet, Riehen