Jüngling in der Bank: Kleider machen Leute
Im Verkauf kein Rückgeld zu haben ist der GAU. Ob Serviersohn oder Verkäuferin – bezahlt jemand seine Stange oder seinen Salatkopf mit einer Hunderternote, bricht der Schweiss aus.
So kürzlich geschehen: ein Verkäufer, allein im Laden, hatte kein Wechselgeld. Er verzweifelte schier, wir alle durchsuchten unsere Portemonnaies, schliesslich konnte die Käuferin vor mir das Geld gerade noch irgendwie zusammenklauben. Und so anerbot ich mich, ihm rasch einen Berg Fümfliber in Ein- und Zweifränkler wechseln zu gehen. Keine grosse Sache, dachte ich, Innerstadt, Bankenviertel.
Ich gebe es zu: Ich war nicht ganz businesslike gekleidet. Jeans, vielleicht mit Löchern, schwarzer Pulli, schwarze Boots, und meine Sammlung Silberringe. Ich finde das jetzt nicht so arg, auch wenn einer der Ringe ein Totenkopfring gewesen sein könnte. Ich stehe halt auf Jack Sparrow. Aber lassen wir das, ich also rein in die noble Bank. Die mich immer wieder nett zu allen möglichen Anlässen einlädt, Frau Grossrätin hinten, Frau Grossrätin vorne, wir würden uns freuen. Und ich freue mich jeweils auch, bedanke mich, und gehe dann schick aufgebrezelt da hin und trinke Cüpli.
"Der König stand vor mir
wie der Bodyguard vor dem Club."
Dachte, die freuen sich nun auch, wenn ich Metall gegen Metall umtauschen komme, ich meine, das ist doch Dienst an der Kundin. Wofür, wenn nicht für Bares, ist eine Bank denn da? Es kann ja nicht immer nur um den Kauf von Aktien gehen. Hier rauf, hier runter, verkaufen wir, verkaufen wir nicht. Aber da irrte ich mich gewaltig.
Freude herrschte nämlich ganz und gar nicht, als ich mit der Fünffrankenstück-Sammlung des netten Verkäufers ankam. Dafür seien sie nicht da, meinte der junge Mann, noch kaum Bart spross ihm, tadelloser, schwarzer Anzug, weisses Hemd mit Krawatte. Stand breitbeinig da wie ein Soldat, in elegant gestylter Eingangshalle, Sterillium an jeder Ecke und in jedem Blick, Ganzkörpermaske. Kunde nicht König, schon gar nicht mit Totenkopfring. Der König stand vor mir wie der Bodyguard vor dem Club. Du da nicht. Der Bankpraktikant, der Rausschmeisser.
Nein, ich hängte nicht die Wissen-Sie-eigentlich-wer-ich-bin-Masche raus, das war mir zu dumm. Meine beiden äusserst vitalen Töchter hatten mir schliesslich nicht nur graue Haare beschert, sondern auch erfolgreich beigebracht, wie Erziehung geht. Also gab ich dem Herrn in der Totengräber-Kluft dezidiert und zackig den Tarif durch, und er zählte mir eingeschüchtert-indigniert die verlangten Ein- und Zweifrankenstücke ab. Ausnahmsweise, wie er meinte. Das sehen wir dann, meinte ich. Und ging zurück zum erleichterten Verkäufer.
Kleider machen Leute, heisst es. Tun sie nicht, sie machen bloss, dass jemand nach dem ausschaut, was er gerne wäre. Nach einer Mogelpackung. Der Dienstleister hat dem Kunden zu dienen, nicht umgekehrt, Totenkopfring hin oder her. Das scheinen die Banken vergessen zu haben. Eine Verpackung, in der nichts drin ist, ist ein leeres Versprechen, enttäuscht und verscheucht. Arroganz hat noch niemandem Erfolg gebracht.
Eigentlich hatte ich bloss rasch in dem Laden dort etwas kaufen wollen. Eigentlich.
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20. Dezember 2021
"Einer der besten Ratgeber"
Wieso fällt mir bei solchen Gegebenheiten immer weder "the asshole survival guide" von Professor Robert I. Sutton ein? Einer der besten Ratgeber, um Arschlöcher ins Leere laufen zu lassen.
Nicolas Müller, Westkapelle NL
"Hätten Sie den Chef verlangt!"
Ja, liebe Frau Strahm, da haben Sie dem Bank-Jüngling dezidiert und zackig den Tarif durchgegeben. Äusserst mutig, bravo! Dabei hat der Brave sich nur an die Weisung seiner Chefs gehalten. Mutig wäre gewesen, Sie hätten dessen Chef verlangt und diesem ebenso unmissverständlich Ihre Meinung kundgetan. Aber vielleicht wäre da die nächste Cüpli-Einladung gefährdet gewesen? Ob die Bankgeschichte nur an Ihrer Kleidung lag, wage ich zu bezweifeln.
Süffig geschrieben und amüsant zu lesen sind Ihre Kolumnen aber allemal.Danke!
Fredy Moosmann, Tecknau
"Bitte ohne Krawatte"
Genau so ist es, leider. Aber auch für Herren im Top-Management gilt heute: im Bild bitte ohne Krawatte.
Walter P. von Wartburg, Basel