Der Horrorsommer auf Gefahrenstufe 3
Ende Juni 2022 dachte ich, jetzt komme die wunderbare Sommerzeit, ohne Politik, ohne Stress, die Pandemie suspendiert und Seele baumeln lassen, "weil ich es mir Wert bin". Inzwischen bin ich um Jahre gealtert.
Zunächst kam Gefahrenstufe 3. Morgens stierte ich jeweils angsterfüllt auf mein Handy, und was sah ich: Gefahrenstufe 3. Von vier. Wir wissen ja, vier, die Gefahr aller Gefahren, Weltuntergang, GAU, Vorhölle. Also steht Gefahrenstufe 3 kurz davor.
Sicherheitshalber lud ich also drei Wetter-Apps runter, zwei für die Schweiz und eine für Italien, war schliesslich im Piemont. Und auf jeder App und immer Gefahrenstufe 3. Entweder wegen Glutzhitze oder wegen Stürmen, Hagel, Gewitter, sintflutartigem Regen, Bergrutschen oder Überschwemmungen. Dazu ein alarmierend hoher UV-Index, und ich nichts wie in den Schatten.
Zudem droht bei Gefahrenstufe 3, Version Gluthitze, Dehydration. Also soff ich literweise Wasser und legte mir nasse Tücher auf den Kopf, obwohl ich es eigentlich angenehm warm fand. Aber da stand Gluthitze, und gewappnet sein ist bekanntlich alles.
"Hecht beisst Frau Fuss ab,
und ich natürlich raus aus dem See."
Der nächste Schock liess nicht auf sich warten: Wasservergiftung. Ein Mann war wegen übermässigen Wasserkonsums an Hydration gestorben. Pro Kilogramm Körpergewicht darf einer, stand da im Gutachten eines Fachmenschen, maximal 35 Milliliter Wasser täglich trinken.
Ich also nichts wie hin zum Rechner, was in der Schweiz kein Computer ist, sondern etwas, das rechnet. Gebe 53 Kilo Andrea mal 35 Milliliter Wasser ein, macht 1855 Milliliter, fülle das sorgfältig ab, und kriege die Krise. Denn die 53 Kilo sind ja bloss nüchtern morgens, und das ändert laufend.
Voller Panik wog ich mich also jeweils neu und rechnete neu aus, nach jeder Mahlzeit, nach jedem Gang aufs Klo. Rechnete das Ausgeschiedene wieder dazu. Den abendlichen Whisky zur Beruhigung rechnete ich ein, bloss konnte ich danach die Ziffern auf der Waage nicht mehr präzise lesen. Aber weder de- noch hydriert, das ist es, was zählt.
Etwas Entspannung schlich sich ein, bis mein Lieblingsmedium, das nach einer Zeiteinheit heisst, von einer gefährlichen Quallenplage im Mittelmeer berichtete. Selbst schuld, dass die auch immer ans Meer reisen müssen, was geht mich das an, frohlocke ich, und scrolle fröhlich weiter.
Schockschwerenot: Hecht beisst Frau Fuss ab, berichtet ein Newsscout, und ich natürlich raus aus dem See. Den Pool meide ich eh schon, Chlordämpfe, hochexplosiv. Dazwischen ein kurzer Blick aufs Handy und ich weiss, dass die in Basel den Abfall vor 5 Uhr rausstellen müssen, ansonsten Gluthitze, Gefahrenstufe 3. Dort, weiss meine Lieblings-App, haben sie inzwischen auch ein paar Tigermücken.
Die haben wir im Schweizer Piemont in rauen Mengen. Schwirren schon am Nachmittag daher und übertragen sehr, sehr gefährliche Krankheiten, Ebola etwa. Also spraye ich mich mit dem vom Tropeninstitut empfohlenen Zeug tüchtig ein. Das wirkt ausgezeichnet. Dort, wo es auf der Haut ist. Ansonsten nicht. Ich sage Ihnen, Tigermückenstiche auf den Fusssohlen, der Kopfhaut, im Nacken und zwischen den Fingern jucken anständig. Aber Ebola wäre schlimmer.
Bref, ich bin ferienreif. Aber es ist nun ja ausgestanden und wir können uns wieder entspannteren Themen widmen. Etwa der AHV-Revision. Davon dann nächstes Mal mehr.
15. August 2022
"Ein zweites Mal lesen"
Endlich mal positive Nachrichten, brilliant formuliert, kurz und bündig, zweites Mal lesen macht Spass. Vergnüglich, in einem Wort.
Hans Stelzer, Basel
"Perfekt, amüsant, anregend"
Einmal mehr eine perfekte, amüsante und anregende Lageanalyse unserer daueralarmierten, zwangsgebärenden News-Industrie. Danke an Andrea Strahm für die erheiternde Kolumne.
Raeto Steiger, Basel
"Lang lebe (und schreibe) diese Autorin!"
Brillant geschrieben, wie jedes mal. Lang lebe (und schreibe) diese Autorin!
Urs Weber, Sion