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"Eros und Tod": Basler Greenaway-Multimedia-Installation
Wie schon im Jahr 1440 tanzt der Tod in Basel auch heute wieder
Der englische Filmregisseur Peter Greenaway realisierte in Basel ein Multimedia-Kunstprojekt
Von Aurel Schmidt
Der Tod hat die Menschen in der Vergangenheit mehr beschäftigt als heute. Für den englischen Filmregisseur Peter Greenaway war er, zusammen mit der Sexualität, seit jeher ein zentrales Thema. Für sein Multimedia-Werk in Basel hat er seine eigene künstlerische Sprache beibehalten.
Wenn der britische Filmregisseur Peter Greenaway zupackt, dann beisst er, richtig. Provokation ist zwar nicht seine Absicht, eher das Ergebnis seines künstlerischen Willens. Völlig kalt lässt er jedoch keinen. Sein Werk kennt nur begeisterte Anhänger und entschiedene Gegner. Sein neuestes Werk, diesmal eine Filminstallation, hat er soeben in Basel realisiert. Es ist heute Donnerstagabend in der Basler Predigerkirche öffentlich zugänglich gemacht worden.
Der Ort des Ereignisses, die Predigerkirche, ist eng mit dem Basler Totentanz verbunden, einem Fresko an der Innenmauer des anschliessenden, aber längst aufgehobenen Friedhofs. Auf beide, das Fresko und den Ort, nimmt Greenaway in seinem Werk Bezug. Nicht ganz unerwartet: Sexualität und Tod sind zwei seiner am hartnäckigsten behandelten Themen – oder eigentlich sein einziges, denn Eros und Tod verhalten sich spiegelbildlich zueinander.
Das ist ein altes, oft abgehandeltes Thema. Fangen wir lieber mit der Frage an, was der Tod in vergangener Zeit im Denken der Menschen für eine Bedeutung hatte.
In der Vergangenheit war er ständig präsent. Die Menschen lebten wesentlich kürzer als heute und mussten ständig mit seinem unerwarteten Eintreten rechnen. "Philosophieren heisst sterben lernen", schrieb vor 500 Jahren der Philosoph Michel de Montaigne. Noch einmal 1'500 Jahre davor war die Kürze des Lebens ein Thema der Stoiker.
Das Leben 2.0 ist der Eingang in die Ewigkeit
Heute haben die industrielle Entwicklung, der medizinischen Fortschritt, die Hygiene, die bessere Ernährung zu einer wesentlichen Verlängerung des Lebens beigetragen. Wenn es früher schnell vorbei war, kam es umso mehr auf jeden Augenblick an. Heute haben wir viel Zeit, gehen damit sorglos um und verpassen einen grossen, wenn nicht den grössten Teil des Lebens. Vielleicht weil wir mit dem Computer und den Datenspeichern, privaten Filmen, Flickr und ähnlichen Hilfsmitteln ein Leben 2.0 eingerichtet haben und schon zu Lebzeiten in die vorgezogene Ewigkeit eingehen. Der Tod hat seine Bedrängnis verloren. In Wirklichkeit wird er verdrängt.
Die mittelalterlichen Totentanz-Darstellungen können als Beleg für die Allgegenwärtigkeit des Todes angesehen werden. Es waren bildliche Erzählungen, die davon berichteten, dass der Knochen- oder Sensenmann, der Schnitter Tod, vor keinem Menschen Halt macht und jeden mitnimmt, ob reich oder arm, von hohem oder niederem Stand, gut oder schlecht, Papst oder Bettler, meistens unerwartet, jedes Mal unerbittlich.
Einst eine Sehenswürdigkeit Basels
Der Basler Totentanz an der nördlichen Innenmauer des zur Predigerkirche gehörenden Friedhofs war weitherum berühmt und für Reisende, die die Stadt besuchten, eine Sehenswürdigkeit, die nicht ausgelassen werden durfte.
Entstanden ist das Werk um 1440, ausgeführt wurde es von einem Meister der Schule von Konrad Witz, wenn nicht von Witz selbst. Die Frage ist nicht einwandfrei geklärt. Mehrfach wurde das Wandbild restauriert und übermalt, so dass sein ursprüngliches Aussehen nicht bekannt ist, ausser der Tatsache, dass die Mauer 60 mal 2 Meter mass und die Gestalten also nahezu in Lebensgrösse wiedergegeben waren. Die Kopien, die Matthäus Merian d. Ae. davon als Kupferstichfolge 1616 anfertigte und 1621 veröffentlichen liess, geben also nur den Zustand nach der ersten überlieferten Restauration von 1568 wieder.
1805 wurde die Kirchhofmauer, damals in einem desolaten Zustand, abgerissen. Niemand wollte sich dafür einsetzen. Nur einige Fragmente konnten gerettet werden, 19 davon befinden sich heute als historische Kostbarkeit im Historischen Museum Basel.
Greenaways Vorliebe für die Kunstgeschichte
Soviel zur Basler und zur Kunstgeschichte. Jetzt ist der Totentanz in Basel zu neuer Aktualität erwacht durch die Installation, die der englische Filmregisseur und Schriftsteller Peter Greenaway auf dem Basler Totentanz selbst eingerichtet hat.
Auch als Ausstellungsmacher hat sich Greenaway neben seinen Filmen einen Namen gemacht ("The Physical Self", Rotterdam, 1991; "100 Objects To Represent The World", 1992, Wien; "The Stairs", Genève, 1994). Diese Tätigkeit hat wesentlich mit Greenaways künstlerischen Interessen zu tun und drückt sich in seiner Liebe zu einer opulenten, barocken Bildlust aus. Umgekehrt greift er in seinen Filmen immer wieder auf die Kunstgeschichte zurückgreift, zuletzt in "Goltzius and The Pelican Company", in dem biblische Szenen als Schaustellungen visualisiert werden. Wer Greenaways Vorliebe für Rembrandt oder Vermeer kennt, versteht manche seiner Filme, die überwältigende, oft exzessive Bilderströme, Bilderkatarake sind, sofort besser.
Nach eigenem Eingeständnis sind Eros und Thanatos, Sexualität und Sterben Greenaways wichtigste Themen. Es lag daher nahe, dass die Mitglieder des Vereins Totentanz, zusammengesetzt aus Pfarrer Michael Bangert, Carmen Bregy und Matthias Buschle, sich mit dem Vorschlag an Greenaway wandten, mit dem Totentanz-Motiv in Basel ein Kunstprojekt zu realisieren. Greenaway sagte sofort zu.
Und packte das Thema auf seine Art an, ironisch statt inbrünstig, wie er in seinem Katalogtext durchblicken lässt, aber auch mit einem gewissen Sarkasmus, wie man seinem Katalogtext entnehmen kann, also alles andere als mit der üblichen pietätvollen Miene. Was schon die erste Regelverletzung ist, die man von Greenaway zu erwarten hat. "Jeder Tod ist erfolgreich. Vom Gesichtspunkt des Todes. Vom Gesichtspunkt der Evolution. Ausgetauscht und nachgefüllt wird täglich. Wozu sich einmischen?" In Amsterdam, schreibt Greenaway weiter, würde heute "ernsthaft" über unfreiwillige Euthanasie nachgedacht. Mit 70 Jahren, sagt Greenaway selber, ist alles Wesentliche gesagt und getan. Greenaway ist 71. Und er rechnet mit seinen eigenen Worten.
Ausgegangen war Greenaway von seinen Eindrücken, die er in frühen Jahren von Ingmar Bergmans Film "Das siebente Siegel" erhalten hatte. Der nächste Schritt für ihn war, eine neue, für unsere Zeit angemessene Form für das Todesthema zu finden.
Commedia dell'Arte und Butoh-Theater
Greenaway hat ungefähr vierzig kurze Filme gedreht, in denen er die Figuren aus dem Prediger Totentanz, soweit sie von Merian und zum Teil von den Kopien von Emanuel Büchel aus den Jahren 1770 bis 1773 her bekannt sind, von einer Tanzkompanie in nachempfundenen Kostümen aufführen liess – immer diese Kostümpracht, wenn Greenaway seine Darsteller und Darstellerinnen nicht nackt herumlaufen.
In diesen Filmen kommt der schon genannte ironische Zug voll zur Geltung. Der Tod klappert und schlenkert seine Knochen, die Figuren winden sich, tänzerisch, wie es die Wortschöpfung des Totentanzes, verlangt. Es sind Tanzformen, die an Ausdruckstanz und Commedia dell'Arte denken lassen, aber in formaler Hinsicht auch eindringlich an das japanische Butoh-Theater. Ausdrucksstärke und Bildkraft sind dabei, wie immer bei Greenaway, das hervorstechende künstlerische Ergebnis.
Diese Filme werden alternierend auf zwölf als Grabsteine gedachten Podesten mit eingebautem Screen auf dem Totentanz selbst sowie auf sechs weiteren im Inneren der Predigerkirche gezeigt, bis in die Nacht, so dass sie in der Dunkelheit besonders gut zur Geltung kommen.
Ausserdem finden weitere 40 Veranstaltungen zum Thema statt, so dass Basel einen ganzen Monat lang von morgens bis abends im Zeichen einer Sache steht, die in einem Zusammenhang mit der Basler Geschichte steht und als Thema alle Menschen mehr betrifft, als sie annehmen möchten.
Der Zugang zum Totentanz ist täglich bis 22 Uhr und bis zum 30. November frei zugänglich. Der Katalog mit dem Titel "The Dance of Death/Der Tanz mit dem Tod" ist im Christoph Merian Verlag erschienen, Preis 32 Franken. Für die Begleitveranstaltungen wird auf die Webseite www.baslertotentanz.ch
31. Oktober 2013
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