Weihnachten – Christliches und weniger Christliches
Ein Dauerclinch: Einerseits ist Weihnachten ein religiöses Fest und religiöse Feste waren bei Basler Protestanten noch nie sehr lustig. Bis ins 16. Jahrhundert wurde nämlich unreligiös am 6. Dezember gefeiert und geschenkt. Der Geburtstag Christi hingegen war ein blasser Feiertag wie alle andern. Martin Luther gefiel dies nicht, und so verlegte er die Schenkerei vom Nikolaustag auf den Weihnachtstag. Die Kinder sollten Christus mit etwas Positivem in Verbindung bringen. Und die ausufernden Festivitäten sollten mit etwas Ernstem eingedämmt werden.
Ich kann bestätigen, dass das bei uns Kindern einst klappte. Wir feierten nämlich gleich viermal: am 24. zuhause en famille, am 25. zuhause mit der ganzen Sippe, am 26. bei der Grossmutter väterlicherseits, und am 27. bei der Urgrossmutter väterlicherseits, dem Ureli.
Der Grund war allerdings nicht der, dass dem Religionsstifter besonders viel Ehre hätte erwiesen werden sollen, sondern, dass jeder der fraglichen Haushalte eine Weihnachtsfeier abhalten wollte. Und so wurde aufgerüstet wie verrückt, die dienstbaren Geister jeder Haushaltung wurden dort konzentriert, wo die Feier gerade stieg. Die Häuser waren riesig, Geschirrspüler gab es keine. Dafür ein Weihnachtszimmer, welches schon Wochen zuvor hermetisch abgeschlossen wurde.
Wer meint, die Gastgeber hätten sich in der Menügestaltung überboten – Rindszunge hier und Kalbsherz dort – der ist auf dem Holzweg, denn in einem anständigen protestantischen Haus hatte es Pastete zu geben. Ausgenommen am Heiligen Abend, denn dann hatten meine Eltern ihren Laden geöffnet und für grosse Vorbereitungen keine Zeit. Da wir nur im kleinen Kreis feierten, gab es Rauchlachs und Toast – der Start in den Weihnachtsmarathon war also wunderbar. Aber danach: dreimal Pastete. Zuerst Königinnen-Pastetli (meine Mutter), dann das Pastetenhaus von Schiesser (Grossmutter) und dann das Pastetenhaus von Pellemont (Urgrossmutter). Dazu Erbsli mit Rüebli und Reis oder Kartoffelstock. Ich kann bis heute keine Pastete mehr sehen.
In der Dorfkirche wetterte Pfarrer Schubert gegen die Konsumwut und die Völlerei, was mich nicht sonderlich beeindruckte, denn hatten nicht auch die drei Könige tonnenweise Geschenke angeschleppt? Sehr christlich ging es unter dem Deckmäntelchen der Mitmenschlichkeit ohnehin nicht zu. Wer sich nicht riechen konnte, konnte das auch an Weihnachten nicht, und so schenkte die eine Tante am Tag darauf der Gegenspielerin in notdürftig aufgebügeltem Geschenkpapier das weiter, was sie am Abend zuvor vor deren Augen erhalten hatte, und giftige Blicke flogen über Kerzen und Krippe und Engelsstimmen.
Wir Kinder hatten unsern geliebten Onkel Stachi, der sich über das ganze Etepetete lustig machte. Er wechselte heimlich die Schallplatten aus, so dass anstatt Stille Nacht irgendein Humbahumbatätärää losdröhnte und mein Vater im Folgejahr panisch alle Hüllen kontrollierte. Aber da hatte Onkel Stachi bereits quietschende Würste aus dem Zauberlädeli besorgt, die wir unter das Sitzkissen der Urgrossmutter legten. Schwerhörig, wie sie war, merkte sie nicht, dass sie bei jeder Bewegung quietschte, und wir lachten uns Tränen. Die Autoritäten konnten böse Blicke werfen, wie sie wollten, wir konnten gar nicht anders. Gigelisuppe halt.
Heute sind die Häuser geschrumpft, ein Weihnachtszimmer absperren kann kaum mehr jemand. Die Sippe ist ebenfalls geschrumpft, und wir haben die Freiheit, mit denen zu feiern, die uns wirklich etwas bedeuten. Und fliegen keine Giftpfeile, amüsieren sich alle, ganz ohne Messer aus dem Zauberlädeli, bei denen auch dann die Klinge bricht, wenn damit pflutterweiche Milke geschnitten wird.
Mir fehlen zwar die Streiche von Onkel Stachi, aber heute wäre wohl ich als Gastgeberin dran. Die schwarze Tinte, die auf Papier nach ein paar Stunden völlig erblasste und die er aufs Damasttischtuch geleert hatte, ging nie mehr ganz aus. Da wäre ich not amused. Und mit mir Martin Luther.
26. Dezember 2011
"Mit Genuss gelesen"
Liebe Andrea, genüsslich habe ich Deinen Artikel "Christliches und weniger Christliches" gelesen und auch schon bereit gelegt, wenn die Familie am Neujahr wiederum zusammenkommt. Du schreibst einfach tolle Artikel, die oft auch ein Schmunzeln hervorrufen. Mach weiter so!
Sonja Kaiser-Tosin, Basel
"Vergebung und Versöhnung"
Die Beschreibung von Andrea Strahm über das Weihnachtsfest trifft tatsächlich auch heute noch mehr oder weniger zu. Vom Sinn der Weihnacht ist nicht mehr viel zu spüren! Geschenke und Fressorgien sind wichtiger als Gedanken über Gott und die Welt! In der heutigen chaotischen Zeit mit Bürgerkriegen wie in Syrien, Ägypten, Korea etc. nehmen wir Kenntnis von den Grausamkeiten des Krieges. Die Finanzkrisen in der ganzen Welt lassen nichts Gutes erahnen! Trotz all diesen negativen Ereignissen leben wir in der Schweiz noch in paradiesischen Zuständen. Aber auch in der Politik läuft in der Schweiz nicht alles rund. Anstatt miteinander die Probleme zu lösen, entstehen oft oppositionelle Widerstände! Die Weihnachtszeit bedeutet Liebe und Hoffnung. Es ist deshalb nicht verboten, sich darüber einige Gedanken zu machen.
Als Protestant bin ich mit einigen Regeln der katholischen Kirche nicht einverstanden wie zum Beispiel mit dem Zölibat usw. Die Handlungsweise von Papst Johannes Paul II hat mich jedoch sehr beeindruckt. Dieser Papst hat seinem Attentäter die Tat an ihm vergeben und ihn in der Gefängniszelle umarmt! Dieser Papst hat auch die Botschaft verkündet, dass das Böse nur durch das Gute besiegt werden kann! Jesus Christus hat vor 2000 Jahren gepredigt: Liebet eure Feinde und tut Wohl denen, die euch hassen. Er hat auch seinen Gegnern am Kreuz vergeben.
Vergebung und Versöhnung sind wichtige geistige Eigenschaften, worüber man sich in der Weihnachtszeit besonders besinnen sollte. Es ist aber vermutlich eine Illusion zu glauben, dass die Mehrheit der Menschen diese geistigen Kräfte je anwenden können und werden, da dieser Weg sehr schwierig und dazu eine ganz andere Lebenseinstellung erforderlich ist.
Heinz Jäggi, Buus