Die Rehabilitierung eines Unwortes: "Seggle"
Sich auf die Socken machen, diese Redewendung hat mich als Kind fasziniert. Wenn ich allerdings selber in Socken – also ohne Schuhe oder Pantoffeln – herumspazierte, wurde ich getadelt und belehrt, dass dies aus verschiedenen Gründen nicht angebracht sei. Es sei unhygienisch, war einer davon, die Socken würden schneller fadenscheinig ein anderer. Was mir überhaupt nicht einleuchtete, denn der Fussboden wurde bei uns zuhause ja regelmässig sauber gemacht, mit dem Staubsauger oder dem Strupfer, je nach Beschaffenheit. Und ausser Haus wäre es mir nie eingefallen, ohne Schuhe herumzulaufen, höchstens im Schwimmbad.
Was das mit den Socken, auf die man sich machte, in dieser Redensart auf sich hatte, entdeckte ich erst viel später – in einem Lexikon der Redensarten.
"Jenen männlichen Körperteil durfte man
nicht beim Namen nennen."
Mit den Socken sind in dieser althergebrachten Redewendung gar nicht die textilen Socken oder Strümpfe im Sinne des heutigen Sprachgebrauchs gemeint, sondern vielmehr – man höre und staune – die Schuhe. Denn der Begriff "Socke" hat seinen Ursprung im lateinischen "soccus", und damit wurde einerseits der Huf eines Tieres bezeichnet und andrerseits aber auch ein Schuh aus Holz, in welchen man hineinschlüpfen konnte. Diese lateinische Bezeichnung ist im Begriff Zoccolo, in der Mehrzahl Zoccoli, bis heute erhalten geblieben. Und die Nähe zum Huf ist akustisch noch immer deutlich wahrnehmbar, denn das Klappern von Zoccoli auf Steinboden oder Asphalt tönt ganz ähnlich wie jenes von Pferdehufen.
Der Begriff "soccus" ist übrigens indirekt auch im Basler Dialekt erhalten geblieben, und zwar in Wort seggle, für dessen Gebrauch wir als Kinder jeweils gerügt wurden. Zu Unrecht, weiss ich heute, denn dieses Wort hat seinen Ursprung, wie oben erwähnt, ganz und gar nicht in jenem männlichen Körperteil, den man nur hinter vorgehaltener Hand oder besser gar nicht beim Namen (wir machen es hier doch: "Seggel") nennen durfte, zumindest nicht, wenn die Eltern zuhörten.
Seggle ist vielmehr vom oben erwähnten Begriff "auf die Socken machen" hergeleitet. Woraus hervorgeht, dass der Begriff Seggli – oder im heutigen Baseldeutsch Söggli, in der neueren Schreibweise sogar auch als "Söckli" daherkommen eine durchaus harmlose Diminutivform von "Socken" und somit absolut unverdächtig und hundertprozentig salonfähig ist.
Für mich sind die Söggli ausserdem bis heute auch mit dem Begriff "Sommer" assoziert. Der Winter begann, wenn die Strumpfhosen aus dem Mottensack geholt wurden, der Startschuss in den Frühling war, wenn die Kniesocken die Strumpfhosen ablösten, und als Höhepunkt kamen im Sommer schliesslich die Söggli zum Einsatz.
19. Januar 2015
"Mit etwas Polsterung"
Es ist zum abseggle: Alte Leute haben immer Recht, v.a. wenn sie wie ich noch 12 Jahre älter sind als Frau Corina Christen.
Was also ist meine "richtige" Meinung: Nach einem Klingelzug oder einem anderen Lausbubenstreich musste der Übeltäter aus gutem Grund möglich rasch davon segglen, und das ging mit Zoccoli oder den altmodischen Holzböden z.B. wie den Holzschuhen der Waggise sehr schlecht. Weg damit! Auf den Socken ist man schneller. Übrigens müssen notfalls auch Mädchen absegglen können.
Eine andere sprachliche Antiquität ist "ein Beinkleid", welches hierzulande als ein "Paar Hosen" verkauft wird. Wenn nämlich Deutsche Kunden meinen, es handle sich um zwei Exemplare, dann werden sie bitter enttäuscht. Der historische Grund für dieses Missverständnis: Im Museum sieht man z.B. stolze Krieger, die an den Beinen Strümpfe (auf englisch hose genannt) tragen, deren oberes Ende mit einem hübschen Säckchen dekoriert ist. Darin wird das niemals in guter Gesellschaft erwähnte gute Stück stolz zur Schau gestellt. Falls das zu wenig Eindruck macht, wurde dem Inhalt dieses Säckli (Säckel?) mit etwas Polsterung diskret nachgeholfen. Dass die beiden Hosen-Röhren, leider(?) ohne diesen Beutel, oben zusammengenäht sind, das wurde erst viel später Mode. Dennoch aber sind Hosen noch immer ein Paar.
Christoph Senn, Arlesheim