... Hongkong: Finanzen und Dim Sum
Hongkong - Xianggang, auf Chinesisch der Duftende Hafen - ist auch zwölf Jahre nach der Rückkehr ins Mutterland noch immer eine internationale Metropole, ein erstklassiges Finanzzentrum und dank seiner über sieben Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern trotz Grösse, Verkehr und Umweltverschmutzung eine liebenswerte Stadt geblieben. Hongkong verändert sich stets in einem unterdessen auch auf dem Festland üblichen Tempo, das durchaus dem Rest der Welt und insbesondere der Schweiz als Modell dienen könnte. Hongkong hat sich in den letzten sechs Jahrzehnten immer wieder neu erfunden, musste sich der politischen, ökonomischen und sozialen Zwischenfälle und Herausforderungen wegen immer wieder verändern.
Es waren und sind nicht Manager mit unethisch exorbitanten Boni, die Hongkong zu dem gemacht haben, was es heute ist. Es waren und sind Unternehmer und Unternehmerinnen, die mit eigener Arbeit und - dies vor allem – mit Einfallsreichtum und Kapital auf eigenes Risiko hin sich im Dschungel des freien Marktes voranbrachten.
Als Hongkong nach dem ersten Opiumkrieg 1842 britische Kolonie wurde, brach für China ein neues, dunkles Zeitalter an. Das Zeitalter des Imperialismus und Kolonialismus. Noch heute werden die Jahre bis zur Befreiung 1949 durch Mao Dsedongs Kommunisten nach dem Bürgerkrieg gegen die von den Amerikanern unterstützten Nationalisten (Guomindang) von Marschall Chiang Kai-chek als "Jahre der Schmach" bezeichnet. Die jungen Chinesinnen und Chinesen und die Bewohner Hongkongs sehen dies, jenseits jeder Propaganda, auch heute noch so. Deshalb der Stolz auf den Wiederaufstieg des Reichs der Mitte, wie das während der Olympischen Spiele in Peking 2008 oder gerade eben erst am G-20-Gipfeltreffen in London augenfällig wurde.
Vor 1997, also vor der "Rückkehr ins Mutterland" unter dem von Reform-Übervater Deng Xiaoping entworfenen Prinzip "Ein Land - zwei Systeme", runzelte man im Westen die Stirn. Dies obwohl doch die britische Premierministerin Margareth Thatcher dies in den achtziger Jahren knallhart mit Deng Xiaoping ausgehandelt hatte; nicht von ungefähr wurde sie als "Eiserne Lady" bezeichnet.
Insbesondere westliche Medien malten den kommunistischen Teufel an die Wand nach dem altbekannten Prinzip der freien westliche Presse "Bad News is Good News for Business and Circulation". Zeitungen, Zeitschriften und die elektronischen Medien überboten sich – je näher das Datum vom 1. Juli 1997 heranrückte - in tief schwarzer Berichterstattung. Jetzt, zwölf Jahre später, stellt sich heraus, dass alles Hype war. Die Zentralregierung in Peking hielt sich streng an das Prinzip "Ein Land - zwei Systeme". Der Rechtsstaat - the Rule of Law - bleibt bis auf den heutigen Tag unangetastet, genauso gut wie die Presse- und Versammlungsfreiheit. Was die Demokratie betrifft, verschwendeten die britischen Kolonialherren über hundert Jahre lang - bis auf den allerletzten Gouverneur Chris Patten - nicht einen einzigen Gedanken. Für europäische und japanische Kolonialisten und Imperialisten galt es, ökonomisch auszubeuten. Die Europäer und mithin auch die Briten bildeten sich etwas auf ihre "zivilisatorische Mission" ein und hielten die Bevölkerung der Kolonien für unreif bezüglich Erziehung wie auch bezüglich Demokratie. Nur eben Gouverneur Patten wollte, in den allerletzten Jahren der britischen Herrschaft, noch schnell, schnell Hongkong etwas Demokratie bescheren. Zu spät und unehrlich.
In den achtziger und frühen neunziger Jahren war eines der bestimmenden Themen der Hongkonger Presse eh nicht Demokratie. Es ging vielmehr um den wirtschaftlichen Wettkampf mit dem aufstrebenden Singapur. Politiker und Wirtschafts-Tycoons schlugen ob der "Bedrohung aus Singapur" einen alarmistischen Ton an. Obwohl es damals noch keinen Copy-Paste-Journalismus gab, folgten die Journalisten, nicht zuletzt die Auslandkorrespondenten, wie Lemminge der Hongkonger Presse.
Vor der Rückkehr zu China als Sonderverwaltungszone Hongkong wurde der Singapur-Hype alsbald vom Shanghai-Hype abgelöst. Von der Megalopolis am Drachenkopf des Yangtse-Flusses sei Hongkong bedroht, prophezeiten vor der Übergabe an China 1997 dunkel die Zeitungskolumnisten, Pundits und sogenannten Experten. Auch der in Hongkong als "Dr. Doom" bekannte, in der Schweiz lokal weltberühmte, viel zitierte Börsen-Guru Marc Faber stimmte in den Chor ein. Er, der Finanz-Seher mit der schütteren Rossschwanzfrisur, der doch - nach eigenen Angaben freilich – den Börsen-Crash von 1987, die asiatische Finanz- und Wirtschaftskrise (1997-99) und selbst die aktuelle weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise vorausgesehen hat.
Derzeit ist Hongkong immer noch und immer mehr in guter Verfassung, auch wenn selbstverständlich die Finanzkrise nicht ohne Auswirkungen geblieben ist. Den Vergleich mit Shanghai jedenfalls muss Hongkong nicht scheuen. Die Pekinger Zentralregierung hat jetzt, ein Jahr vor der Weltausstellung, für Shanghai einen neuen Plan entworfen. Bis 2020 nämlich soll die Metropole am ostchinesischen Meer nach dem Willen der Pekinger Mandarine ein "internationales Finanzzentrum" werden. Hongkong reagierte ziemlich gestresst. Der Finanzchef der Hongkonger Verwaltung musste die Wogen glätten. John Tsang Chun-wah sagte cool das, was in Finanz- und Bankkreisen Allgemeinwissen ist: Ein Land von der Grösse und Bedeutung Chinas kann durchaus zwei Finanzzentren brauchen. Schliesslich gebe es ja auch in Europa mehrere Finanzzentren.
Für beide Städte - befand sogar Zhang Hanlin, Professor eines Think-Tank der Zentralregierung - bleibe genügend Raum, um sich zu entwickeln. Für Hongkong sprechen die Internationalität, die Transparenz des Geschäfts, der Rechtsstaat ("Rule of Law"), die unerreichte kapitalistische Wirtschaftsfreiheit und nicht zuletzt die freie, kritische Presse.
Für jeden mit China befassten Journalisten deshalb ein guter, ja zwingender Grund, immer wieder nach Hongkong zu reisen, um am Puls der chinesischen Zeit zu bleiben. Hongkong jedoch wird Shanghai oder Singapur weit jenseits der Finanzen auch für gestresste Journalisten immer etwas voraus haben: Das Essen, die Meeresfrüchte, die in unzähligen Variationen und allen Preisklassen erhältlichen "Dim Sum"-Häppchen. Doch auch hier, fürchte ich gehen die Meinungen auseinander wie bei den Finanzen. Nur aus einem andern Grund: De gustibus – wie wir Chinesen zu sagen pflegen – non est disputandum. Über Geschmack lässt sich nicht streiten.
20. April 2009
"Wir Chinesen sind auch höchst diszipliniert"
WIR Chinesen sind nicht nur erfinderisch, flexibel und mutig, sondern auch höchst diszipliniert. Denn nur so ist es möglich, in unseren 7- oder 12-Millionen-Städten praktisch ohne sichtbare Polizeipräsenz auskommen zu können, was in einer Kleinstadt wie Basel ja nicht mehr möglich zu sein scheint. Dieses nicht-demokratische Modell auf die Schweiz oder andere europäische Länder zu übertragen, wird darum wohl nicht ganz so einfach werden. Zum Glück. Denn immer noch zählt China zu einem der ärmsten Länder der Welt, was es in Zukunft dringend zu ändern gilt und zwar so schnell als möglich und koste es was es wolle. Armut hat in dieser Welt nichts mehr zu suchen. Genauso wenig wie diese Spekulations-, Bonifikations- und Misserfolgs-Belohnungswahn-Managergilde. Beide gehören schlicht abgeschafft.
Bruno Omlin, Hongkong