... Sapa: Pizza, Rösti und Bordeaux
Sapa liegt im äussersten Norden von Vietnam an der Grenze zu China. Vor nicht allzu langer Zeit ein touristischer Geheim-Tipp, ist der Höhenkurort der ehemaligen französischen Kolonialherren zum Tourismus-Magneten mutiert. Mit allen Vor- und Nachteilen. Von der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi ist die Grenzstadt Lao Cai mittlerweile in Luxus-Schlafwagen in acht Stunden erreichbar. Für Rucksacktouristen mit schmalem Portemonnaie und diejenigen, die engen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung suchen, ist auch die sehr viel längere und unbequemere Reise in der Holzklasse zwischen Menschen, Hühnern, Schweinehälften und Gepäck eine durchaus empfehlenswerte Möglichkeit. Von Lao Cai geht’s dann auf einer – des Tourismus wegen – gut ausgebauten Strasse in die malerischen Berge.
In Sapa, auf 1'500 Metern über Meer, herrscht unterdessen unangefochten der Tourismus. Gasthäuser und Hotels von null bis fünf Sternen. Von Pizza, Nudeln, vietnamesischen Spezialitäten, Frühlingsrollen bis hin zu Rösti, vom Reiswein über Coke und Tee bis zum Bordeaux gibt es alles. Vom global verbindenden Internet und dem Handy ganz zu schweigen. Und allüberall die Minoritäten, die von der staatlichen vietnamesischen Tourismusbehörde über allen Klee gelobt werden, an weniger touristischen Orten aber ein klägliches Dasein fristen, nicht selten unterdrückt, gemassregelt oder drangsaliert vom Staatsvolk der Viets.
Das hat, neben Dünkel, auch geschichtliche Wurzeln. Die französischen Kolonialisten nutzten die Minoritäten im Unabhängigkeitskampf gegen Ho-Chi-Minhs Vietminh, die Amerikaner übernahmen diese Taktik von den Franzosen im Kampf gegen den Vietcong während des Vietnamkrieges, den die Vietnamesen den "amerikanischen Krieg" nennen. Viele Minoritäten galten nach dem Ende des Krieges bei der Wiedervereinigung von Nord- und Südvietnam 1975 unter den Kommunisten als Verräter. Die Minoritäten von Sapa – Tays, Rote Dao, Schwarze Hong – litten dann nochmals, als die Chinesen Anfang 1979 nach der Invasion Kambodschas durch die vietnamesische Armee Vietnam eine "Lektion erteilten", an der Grenze angriffen, unter anderem Sapa zerstörten und sich danach "siegreich" zurückzogen und rund 40'000 chinesische gefallene Soldaten zu beklagen hatten.
Sapa ist heute ein einziger Markt. Hongs, Daos, Tays verkaufen ihr Kunsthandwerk. Da die Konkurrenz gross ist, geschieht das ziemlich aggressiv. Der Tourismus – offiziell gefördert – wird auf Teufel komm raus expandiert. Allerdings gibt es auch sanftere, "grüne" Projekte. Die von einer dänischen Firma entwickelte "Topas Lodge" ist eines davon, knapp zwanzig Kilometer von Sapa entfernt. In der Nähe eines Dao-Dorfes wurden 25 Bungalows mit lokalem weissem Granit gebaut. Elektritzität wird zu hundert Prozent aus Solarzellen generiert. Gemüse fürs eigene Restaurant wird gleich um die Lodge herum organisch angebaut. Dabei halfen nach Angaben des Topas Lodge-Managers, dem Dänen Mogens Leth Nielsen, die Einheimischen mit ihren Wasserbüffeln. Auch glückliche schwarze Hängebauchschweine suhlen sich im Dreck, eifrig digital photographiert von Touristen. Das Personal stammt aus der näheren Umgebung. Die Lage ist einmalig: Es ist wie im Paradies. Von der Hügelkuppe reicht der Blick tief in die Täler. Die Hänge voller Reis-Terrassen, eine Technik, welche die aus dem Norden eingewanderten Minoritäten aus Südchina mitgebracht haben.
Dennoch: Auch dieses Projekt verändert nachhaltig Gesellschaft und Kultur. Zum Guten? Nun, das ist eine Frage des Standpunktes. Einerseits bringt der Tourismus einen gewissen Wohlstand für die Region genauso gut wie für die Minoritäten, anderseits lernen die Kinder betteln, und alte Bräuche gehen verloren. Mit andern Worten: Es gibt keine weissen Flecken mehr auf dem Globus. Die Menschen in Sapa durchleben einen Prozess, den zum Beispiel Bergbewohner in der Schweiz vor über hundert Jahren erduldet haben, und dem Menschen von Tibet bis in den Amazonas gleichermassen unterworfen sind. Etwas Positives daraus zu machen, dazu gehören Weitsicht, Zivilcourage und transparente Regierungsmassnahmen.
Nur eines gibt es nicht und gab es nie: Grünen Tourismus. Wer das behauptet, glaubt an Ballenberg.
5. Januar 2009
"Wäre das nicht schon ein Anfang?"
Lieber Herr Achten, Sie schneiden ein spannendes Thema an: Grüner Tourismus, warum es den nicht gibt. Mich würde es interessieren, was Sie dazu für Erfahrungen und Gedanken gemacht haben. Einen Unterschied halten Sie ja beispielsweise fest, wenn Sie die Reise im Luxus-Zug oder eben in der Holzklasse bis Lao Cai empfehlen. Auch beschreiben Sie die Achtung vor Minoritäten wenigstens in den Tourismus-Orten. Kann das nicht ein Anfang sein? Das Thema scheint mir sehr bedeutungsvoll und komplex. Ich würde mich freuen, Ihre Gedanken dazu zu vernehmen.
Viktor Krummenacher, Bottmingen