... Chaoyang: Qualitäts-Journalismus
Die mediale Strukturkrise der westlichen und auch der Schweizer Medien ist unübersehbar. Dank Internet weiss man das sogar in Chaoyang, dem Epizentrum des chinesischen Journalismus. In diesem Pekinger Bezirk nämlich ist nicht nur das Zentrale Chinesische Fernsehen CCTV im futuristischen Gebäude von Rem Kolhaas untergebracht, auch die Redaktionen des Sprachrohrs der allmächtigen Kommunistischen Partei - "Renmin Ribao" (Volks-Tageszeitung) -, des Qualitätsblatts "Jingnian Bao" (Jugend-Zeitung), des Pekinger Radios, des Pekinger Fernsehens und der "Global Times" haben in Chaoyang ihren Sitz.
Aus Pekinger Sicht kann man nur ausrufen: China Felix! Nicht, dass hier die Neuen Medien und vorab das Internet noch keine Themen wären. Im Gegenteil. China hat die USA im vergangenen Jahr bereits als jenes Land überholt mit den zahlreichsten Internauten (rund 300 Millionen), den meisten Websites oder der grössten Business-to-Business-Plattform der Welt (Alibaba). Mit andern Worten: Auch im IT-Bereich geht in China die Post ab.
Doch die liebe alte Zeitung blüht. Noch immer. Und immer mehr. Zwar ist die Medienlandschaft im parteilichen beziehungsweise staatlichen Monopolgriff (westliche Korrespondenten schreiben freilich lieber von Würgegriff). Denn nicht nur hat, wie in jedem kommunistischen Land, die Partei immer recht, sondern die KP verfügt mithin auch uneingeschränkt über das Meinungsmonopol. Wie denn können unter solch widrigen Umständen Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsendungen wirtschaftlich über die Runden kommen? Und wie soll unterdiesen Voraussetzungen Qualitäts-Journalismus blühen?
Die Verleger und die Journalisten-Kolleginnen und -Kollegen im Westen und in der Schweiz können beruhigt sein. Das Verlagsgeschäft nämlich ist profitabel. Zudem ist trotz KP-Meinungsmonopol die Qualität meist gut bis sehr gut. Und dies vor allem: Die Journalistinnen und Journalisten sind noch mit Herzblut bei der Sache. Es ist eben (noch) nicht nur Job, sondern ein wenig mehr, was sich wohl aus den von der Partei diktierten Leitplanken erklären lässt.
Die Chinesen und Chinesinnen in den Städten jedenfalls sind trotz Internet noch immer fleissige Zeitungsleser. Die Wirtschaftsreform hat dazu geführt, dass die zuvor von Staat und Partei subventionierten und finanzierten Medien-Unternehmen gezwungen wurden, profitabel zu werden oder unterzugehen. Sie stehen jetzt im Wettbewerb mit andern Medien-Unternehmen. Qualitätssteigerung war die Folge, das heisst, dass beispielshalber todlangweilige Tageszeitungen interessanter, leserfreundlicher, spannender wurden.
Zwar diktiert die KP noch immer die Leitplanken. Politik zum Beispiel ist tabu und funktioniert nach dem kategorischen Imperativ: "Den Kaiser nicht beleidigen!" Ansonsten aber ist – insbesondere in den letzten zehn Jahren – die Qualität journalistischer Arbeit sowohl im Print als auch bei den elektronischen Medien markant angestiegen. Vor allem die jungen Reporter und die Journalisten mittleren Alters recherchieren gekonnt, mutig und bis an, zuweilen über den Rand der parteilich gesetzten Grenzen. Kurz, westliche Kollegen könnten hier in China noch was dazu lernen, denn China ist eben – medial – (noch) kein Land der Beliebigkeit. Noch spielt es eine Rolle, was einer wie schreibt, filmt, spricht. Qualitäts-Journalismus ist tatsächlich noch ein Thema, das unter die Haut geht, und nicht nur ein Sujet für Symposien, Talk-Runden oder für eine Laudatio bei der Verleihung von Journalistenpreisen.
Der tägliche Konsum chinesischer Medien Ihres Kolumnisten beginnt mit der Lektüre der "Renmin Ribao" (Volks-Tageszeitung), dem Sprachrohr der Kommunistischen Partei. Schliesslich muss man ja wissen, woher der ideologische, poltische, wirtschaftliche und kulturelle Wind weht. Aber selbst das Parteiblatt ist mittlerweile etwas interessanter geworden, und der Internet-Auftritt (www.people.com.cn) in verschiedenen Sprachen kann sich sehen lassen.
Nach der etwas beschwerlichen chinesischen Lektüre ist dann das offizielle Regierungsorgan in englischer Sprache an der Reihe, "China Daily". Im modernsten Design aufgemacht (Sie wissen schon: mehr weisser Leerraum, grössere Photos, kürzere Texte, bessere Leserführung durch ausgefeilte Blatt-Architektur und weitere Schmonzetten), jedoch ziemlich langweilig. Der politisch korrekte Medien-Wolf im Schafspelz sozusagen. Dasselbe liesse sich von der Informationssendung von "Radio China international" sagen. In der Form international, doch wenig informativ und bemühend halbaktuell, ganz im Gegensatz zu den Info-Sendungen auf zahlreichen chinesischen Kanälen.
Der Lichtblick des Tages sind jedoch zwei Publikationen: Die "Jingnian Bao" (Jugendzeitschrift) auf chinesisch und ganz neu seit Ende Mai die "Global Times" auf Englisch. Ein Lesevergnügen in jeder Hinsicht. Täglich. Obwohl ich doch immer sage, wenn ich nicht Journalist wäre, würde ich nur noch Wochenzeitungen lesen.
1. Juni 2009