"Out of Bubble"-Erfahrungen: Nein danke!
Früher war ich manchmal ein bisschen neidisch auf die Militär-Jungs, die gemeinsame Geschichten in der RS erlebten. Sie erzählten bei jeder Gelegenheit, wie geil es sei, mit Handgranaten werfen zu dürfen.
Inzwischen weiss ich, dass es auch bei uns Zivildienstleistenden diese verbindende Erfahrung gibt: die obligatorischen Ausbildungskurse am Schwarzsee. Dort erzählen wir uns aber eher, wie wir in den Kursen gelernt haben, gewaltfrei zu kommunizieren oder unsere Bedürfnisse zu formulieren. Und dass wir erst einmal miteinander reden sollen, bevor wir zuschlagen. Nun, ich hoffe, dass die meisten nicht erst Anfang 20 zum ersten Mal davon gehört haben.
Wie so oft im Alltag erlebe ich es auch bei den Zivis so: Wer die Kurse am ehesten nötig hätte, geht in der Tendenz am wenigsten darauf ein und zieht stattdessen die Inhalte als "Gspürsch mi, fühlsch mi"-Getue ins Lächerliche.
Andere wiederum beteiligen sich äusserst aktiv, nehmen dann bei den Gesprächen in der Gruppe aber so viel Raum ein, dass der Rest fast nicht mehr zu Wort kommt. Für meinen Geschmack freuen sie sich zu sehr darüber, endlich einmal unter Männern diskutieren zu können.
Dabei wäre der Austausch unter Zivis eine grosse Chance. In diesen Kursen werden grundlegende Themen wie Familie, Kindheit und Jugend angesprochen. Männer hätten die Möglichkeit, untereinander über ihre Unsicherheiten, Sorgen und vielleicht sogar über ihre Gefühle zu reden. Selbst in "meiner Bubble", die ich als offen empfinde, wird wenig darüber gesprochen.
Doch der Kurs hat nicht nur Positives. Immerhin verbringt man eine Woche in einer ehemaligen Kaserne – zwar unter relativ humanen Bedingungen, aber praktisch nur von Männern umgeben.
Man spricht jeden Gedanken einfach aus,
sei er noch so problematisch.
Ich war denn auch erstaunt, wie krass in einem solchen Setting die Hemmschwelle sinkt: Man spricht jeden Gedanken einfach aus, sei er noch so problematisch.
Was so heftig ist, dass es selbst "unter Männern" nicht gesagt werden darf, landet auf den Wänden. Inzwischen weigern sich die Betreibenden des Areals, die Filzstiftspuren im Schlafgebäude entfernen zu lassen. Zu schnell sind die Wände wieder vollgekritzelt mit diskriminierenden und sexualisierenden Sprüchen oder Zeichnungen.
Das Zeug verfolgt einen bis auf die Toilette. Etwa wenn man beim Feierabendbier mit der Haltung eines Mit-Zivis konfrontiert ist, der trotz aktuellen Skandals den Sänger einer deutschen Band bis aufs Blut verteidigt – obwohl dieser sexualisierte Gewalt ausgeübt haben soll. Man verzieht sich dann für eine kurze Verschnaufpause auf die Toilette, um dann dort an der Tür Vergewaltigungsfantasien zu lesen. Eine menschenfreundliche Umgebung sieht anders aus.
Im Zivi-Kurs hätte ich die "bessere" Hälfte der Menschen erwartet. Die "Friedlichen". Diejenigen, die sich entschieden haben, nicht das militärische Grundhandwerk mit der persönlichen Waffe zu erlernen, sondern Zivildienst zu leisten. Umso frustrierender ist für mich diese Erfahrung.
Mit manchen Leuten möchte ich gar nicht
über gewisse Themen reden.
Schwer vorstellbar, wie es in der Rekrutenschule gewesen wäre.
Es gab aber durchaus auch Begegnungen, die mir einen Blick über das Altbekannte hinaus ermöglicht haben. Ich habe Zivis kennengelernt, die einen komplett anderen Bildungs- und Berufsweg eingegangen sind als ich, mit denen ich aber viele Interessen teile. Das war spannend.
Dennoch stört mich die Erwartungshaltung, jede Begegnung ausserhalb der eigenen Blase pauschal als positiv werten zu müssen. Mit manchen Leuten möchte ich gar nicht über gewisse Themen reden. Denn bei ihnen ist schon von Anfang an klar, dass sie sofort entrüstet reagieren. Sobald sie jemand auf etwas hinweist, das sie sich selbst so noch nicht überlegt haben, beginnen sie von Verboten und Moralpolizei zu schwadronieren.
"Out-of-Bubble"-Erfahrungen hin oder her: Manchmal möchte ich mir diese Begegnungen einfach ersparen.
24. Juli 2023