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"Berge sind cooler": Glücks-Konzentrat Ecstasy-Pille
"Eine Pille zu schlucken ist wie verliebt zu sein"
Report: Der Konsum von Wachmacher-Drogen ist fester Bestandteil auch in Basels Party-Kultur
Von Valerie Zaslawski
Am Anfang der Party scheint die Lebensenergie kein Ende zu nehmen, nächtelang tanzen sie ohne Schlaf durch - am Ende steht die Depression: Der Konsum von Designer-Drogen in der Techno-Party-Szene grassiert auch in Basel. OnlineReports unterhielt sich mit einem exzessiven Wochenend-Konsumenten und mit Fachleuten über Genuss und Gefahren, die von den synthetischen Stimmungsbomben ausgehen.
Silvio* sitzt ohne Zeitgefühl in seinem Zimmer und starrt an die Decke. Drei Tage am Stück war der Biologie-Student wach. Nun versucht er von seinem Drogentrip runterzukommen. Silvio ist "körperlich total fertig" - schlafen kann er aber nicht. Ein schlimmes Gefühl für den angehenden Biologen, plötzlich alleine zu sein.
Wenige Stunden zuvor machte er die Basler Partyszene unsicher, tanzte zusammen mit seinen Freunden von einem Club zum nächsten und warf sich eine Amphetamin-Pille nach der anderen ein. "Ein Gefühl wie im Lotto zu gewinnen", schwärmt Silvio im Gespräch mit OnlineReports". Und seine Freundin Bettina* ergänzt: "Eine Pille zu schlucken ist wie verliebt zu sein."
Beim Konsum von Wachmacher-Pillen schüttet der Körper das Glückshormon Serotonin aus. Das Kreislaufsystem wird dadurch angekurbelt und die Körpertemperatur steigt bis auf 40 Grad. Zwei bis acht Stunden hält dieses Glücksgefühl an. In dieser Zeit sei keiner, "wie er wirklich ist", denn "alle sind viel offener", gibt Silvio seine Erfahrung preis. Lasse die Wirkung nach, werde die nächste Pille gespickt. Doch der Nachschub "verballert nicht mehr gleich stark".
Vom Körperzucken zum Hirnschaden
Ungefährlich ist der Konsum von Designerdrogen keineswegs: "Kein Konsum ohne Risiko", ist der geläufige Slogan von Oliver Bolliger, dem Leiter der Basler Drogenberatungs-Stelle "Drop In", wenn er über mögliche Gefahren aufputschender Drogen spricht.
Schon ein einmaliger Konsum könne tragisch enden. Besonders problematisch sei der Mischkonsum von verschiedenen künstlichen Substanzen wie Ecstasy, Speed oder Gammahydroxybutyrat (Ghb).
Diese Einschätzung teilt auch Alexander Bücheli, stellvertretender Betriebsleiter der Zürcher Jugendberatung "Streetwork": Die Gefahren seien je nach Substanz unterschiedlich. Sei eine Dosierung ungewiss, könnte der Konsum durchaus drastische Nebenwirkungen haben. Vom Körperzucken über Hirnschäden bis hin zu einer Dehydrierung des Körpers oder einem komatösem Zustand sei alles möglich.
Kein neues Problem
Roland Bingisser, Leiter der Basler Notfallstation, bestätigt allfällige Gefahren: "Jede grosse Aufnahmestation hat jährlich eine solche Komplikation". Wobei Andreas Bitterlin, Mediensprecher des Basler Universitätsspitals aber einschränkt: "Wir können nicht von einer signifikanten Steigerung sprechen."
Das Risiko, am Wochenende tatsächlich auf der Basler Notfallstation zu landen, geht Party-Flipper Silvo ein: "Ich bin mir bewusst, was ich mache." Harte gesundheitliche Konsequenzen seien nach seinem Gefühl aber "weit entfernt".
"Ein Alkohol-Absturz ist schlimmer"
Endlos "druff" (wie die Szene den Trip nennt) ist Silvio aber nicht. Lässt die Wirkung der Drogen nach, kommt es laut Strassen-Werker Bücheli nicht selten zu einem "Down". Dieser depressive Zustand hänge mit dem Serotonin-Haushalt zusammen: Da durch den Ecstasy-Konsum das körpereigene Serotonin in unatürlicher Menge ausgeschüttet wird, fällt der Serotoninspiegel unter die "natürliche Schwelle". Werde jedes Wochenende Ecstasy konsumiert, müsse gar mit einer bleibenden Deregulierung des Serotonin-Haushaltes gerechnet werden.
Den Gefühlszustand nach Abklingen der Wirkung zu beschreiben, fällt Konsument Silvio schwer. Lediglich soviel: "Es ist eher ein Psycho-Kater. Ein Alkohol-Absturz ist schlimmer." Für ihn gehört der zermürbende Zustand am Tag danach "halt dazu". Die Verstimmung sei dabei vom Tagesempfinden abhängig: "Wenn es einem schlecht geht, ist auch das Herunterkommen schlimmer."
Tagelange Drogen-Depression
Der Konsum von Drogen, wie sie Silvio einnimmt, beschränkt sich laut Drogenberater Bolliger in der Regel auf die Dauer der Party, also zur Hauptsache auf das Wochenende. Unter der Woche gehen Konsumenten unauffällig ihrem Beruf oder ihrem Studium nach. Das Austragen der Konsequenzen beeinflusse den beruflichen Alltag aber zwangsläufig: Eine Drogen-Depression könne mehrere Tage anhalten, warnt Bücheli.
Dass sich die "Feierei rächt", räumt auch Silvio ein: "Während der Woche ist man fertig und die Arbeit leidet darunter." Für den 26-jährigen Biostudenten heisst es dann: "Nach den Vorlesungen schnell nach Hause und ab ins Bett."
Das Profil der Konsumenten beschränke sich jedoch keineswegs auf junge Menschen: "Den Konsumenten gibt es nicht", präzisiert Bücheli gegenüber OnlineReports. "Von 16 bis 71 Jahren habe ich alles schon gesehen - von der Hausfrau über den Studenten bis hin zum Geschäftsmann." Menschen im jugendlichen Alter seien jedoch experimentierfreudiger.
Selbstauferlegte Standards
Gedankenlose Experimentierfreude kann schlimme Folgen haben. Um die Auswirkungen von Drogen- und Alkohol-Exzessen zum mildern, wurde am 21. April in Basel eine Sektion des nationalen Vereins "Safer Clubbing" gegründet. Seine mit einem Label ausgestatteten Club-Mitglieder verpflichten sich, bestimmte Standards einzuhalten. Ermöglicht haben
die Gründung ein einmaliger Beitrag der Abteilung Jugend, Familie und Prävention des Justizdepartements sowie Gelder aus dem Impulsfonds des Bundesamtes für Gesundheit.
Ziel des selbsttragenden "Safer Clubbing" ist laut Bolliger, eine "Sensibilisierung" der Angestellten zu erreichen und "risikoarme Strukturen aufzubauen, damit im Bereich der Drogen- und Gewaltprävention hohe Standards entwickelt werden können". Dafür werde mit Behörden zusammengearbeitet. Den Konsum von Aufstell- und Durchhalte-Chemikalien dadurch gänzlich aus den Clubs zu verbannen, ist laut Bolliger aber "nicht möglich".
Nicht alle sind im "Safer Clubbing"
Bisher seien die Clubs "Allegra", "Sommercasino", "Sudhaus", "Volkshaus" und "Nordstern" Mitglieder der Basler "Safer Clubbing"-Sektion. Charlotte Strub, für Prävention verantwortliche wissenschaftliche Mitarbeiterin des Justizdepartements, erhofft sich für die Zukunft aber einen Zuwachs an Club-Mitgliedern. Der Konsum von Designerdrogen, so Bolliger hänge stark mit der ebenso monotonen wie rhythmischen elektronischen Musik und den damit verbundenen Techno-Parties zusammen. Demnach wären Clubs wie "Das Schiff", der "Erlkönig" oder das "Gleis 13" klare Favoriten für die "Safer Clubbing"-Liste.
Doch diese Clubs können sich aus finanziellen und personellen Gründen den Vereins-Beitritt nicht leisten: "Wir haben kein Geld und wir geben kein Geld", ergänzt der "Gleis 13"-Wirt Pascal Schärer. Trotzdem ist für ihn klar: "Party-Drogen sind mehr als ein Problem". Werden in seiner Lokalität konsumierende Gäste erwischt, würden sie "sofort rausgeworfen".
Zu wenig Drogen-Fahnder
Gegen den Konsum von Party-Drogen vor Ort anzukämpfen erweist sich als problematisch: Polizeikontrollen seien "schwierig", meint Markus Melzl, Sprecher der Basler Staatsanwaltschaft, gegenüber OnlineReports, da zu dieser späten Stunde nicht genügend Personal vorhanden sei: "Da reichen unsere Ressourcen nicht aus."
Klaus Mannhart, Mediensprecher des Basler Sicherheitsdepartements, ergänzt: "Eine Polizeikontrolle ist nicht verhältnismässig." Wegen blossem Verdacht auf Party-Drogen könnten nicht 300 Leute kontrolliert werden. Die Polizei habe keine spezifischen Clubs im Auge, sie sei aber auch nicht "blauäugig" und glaube, das Problem existiere nicht.
"Natur und Berge sind cooler"
Unbeschwerter zeigt sich Pillenspicker Silvio: "Wenn man fest im Leben steht, ist ein Drogenkonsum keine Sache". Trotzdem scheint der Student nach einem amphetaminreichen Winter ansatzweise zur Vernunft gekommen zu sein. Er möchte künftig sein "Leben ohne Drogen geniessen". Sein überraschendes Bekenntnis: Es gebe "coolere Sachen als Drogen, zum Beispiel die Natur und die Berge". Der Student bereut aber nichts: "Jeder sollte diese Erfahrung mal gemacht haben."
* Namen und Studienrichtung von der Redaktion geändert
16. Mai 2008
"Silvio wird als Zittergreis enden"
Im Gegensatz zu dem, was Herr Wassermann schreibt, nützen Drogentests, auch staatliche, nichts. Die Substanz Amphetamin ist gefährlich, und nicht irgendwelche Beimischungen. Amphetamine erzeugen neben den beschriebenen Reaktionen mit der Zeit auch parkinsonähnliche Symptome. Silvio wird als Zittergreis enden. Schliesslich scheint die Basler Polizei bei Drogen lieber wegzuschauen als aktiv zu werden. Sie behauptet, sie könne bei Drogen nichts ausrichten, will das Rauchen aber ausrotten. Da muss man sich wirklich fragen, wem diese Politik nützt!
Alexandra Nogawa, Basel
"Es gibt keine staatliche Qualitätskontrolle der Drogen"
Ein ganz grosses Problem besteht darin, dass es keine staatliche Qualitätskontrolle der Drogen gibt. So genannte "Ecstasy"-Pillen enthalten meist ein wildes Drogengemisch und oft weniger als 10 Prozent MDMA (das eigentliche "Ecstasy"). Somit nimmt der Konsument, der nur eine einzige Pille einwirft, eine unkontrollierte Mixtur zu sich. Leider wurde dem Verein "Eve and Rave" das anonyme Drogentesten verboten - gesundheitspolitisch ein riesiges Eigengoal.
PJ Wassermann, Hersberg