Theater Basel, Schauspielhaus
Schweizer Erstaufführung
"Die Unverheiratete"
Autor: Ewald Palmetshofer
Inszenierung: Felicitas Brucker
Bühne: Viva Schudt
Kostüme: Esther Bialas
Dramaturgie: Constanze Kargl
Musik: Patric Catani
Licht: Cornelius Hunziker
Video: Jonas Alsleben
Mit Carina Braunschmidt, Marlen Diekhoff, Franziska Hackl, Pia Händler, Barbara Horvath, Katja Jung, Cathrin Störmer
Sich lieber erhängen als ein Schuldgeständnis
Das brennend grelle Neonlicht geht zu nervigen Störgeräuschen länger flackernd an. Mehr als nur ein Eröffnungseffekt: Die nächsten zwei Theaterstunden sollen wir mit allen Mitteln der Kunst zwischen hell und dunkel in Spannung gehalten werden. Eine Untat mit ihren Folgen wird ins gleissende Licht geholt. Schemenhaft dunkel aber bleibt als letztes Geheimnis das ursprüngliche Warum. Täterin (Marlen Diekhoff) ist "die Alte", abseits auf der Bühne windet sie sich in einem Fauteuil, wenn nicht gerade die Unruhe sie leise aufstehen heisst.
Der Fall hat sich real in Österreich abgespielt: Nur wenige Wochen bevor die Alliierten im April 1945 das Naziregime niederrangen, hatte sie einen ihr unbekannten, 20-jährigen Wehrmachtssoldaten angezeigt, der angeblich habe desertieren wollen. Der Mann wurde auf ihre mehrfach bestätigenden Aussagen hin erschossen, sie selber ein Jahr später zu zwölf Jahren Frauengefängnis verurteilt.
Ein antiker Chor aus vier "hundsmäuligen Schwestern" (Programmheft) in Dirndlkostüm und Vierziger-Jahre-Frisur wiederkäut ihren Prozess, demütigt sie als Gefängiswärterinnen, bevormundet sie als Krankenschwestern im Spital. Eine Welt aus kaltgrober Lieblosigkeit, ledrigem Durchhalten und verborgener, fast infantiler Angst erdichtete der österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer für die historische Täterin. Und ein Innenleben, indem ihre Begriffe "Saugericht", "Volljud" (für den Richter) und "Doppelvolljud" (für den Staatsanwalt) emotional lebendig geblieben sind.
Denn, und daraus scheint das Stück zu bestehen, die Alte führt ein Leben in zwei voneinander geschiedenen Welten und beide sind jederzeit gegenwärtig: hier die freundliche, beinahe zugängliche Mutter und Grossmutter, dort die damalige, in ihr tief eingeschlossene, dumpf-pragmatische Gesinnungstäterin, die der Hierarchiewut des Regimes mit sadistischen Reflexen folgte. Die sich jetzt weinerlich über das Gericht und das Gefängnis auslässt. Und die, von der Enkelin (Pia Händler als "Die Junge") gestellt, nur auf Nebenschauplätze ihrer Tat ausweicht. Von Schuldgeständnis keine Spur, ja nicht einmal über ihre konkrete Handlung spricht sie. Gerade in der Szene erreicht die Vorstellung eine fast existentielle Dringlichkeit.
Gleich darauffolgend nochmals, wenn die Tochter (Katja Jung, mutig und intensiv) sich in einen antiken Elektra-Monolog hineinsteigert, sich vom Axt-Mord an ihrer Mutter träumend wutschäumend aufbäumt. Erst da erkennen wir definitiv, wie sie als "Die Mittlere" unter der dienstfertigen und gleichzeitig desillusionierten Oberfläche einen tödlichen Hass auf die Alte verwaltet, der ihr ganzes Leben bestimmte. Da erkennt man den Zweck der Übung: Die unbewältigte Tat, sie wirkt fort, auf die Tochter, auch auf die Enkelin, die wahllos anonymen Sex mit Männern hat, die sie mit dem Handy fotografiert. Die Alte wird sich, Jahrzehnte "danach", erhängen.
Die Anziehungskraft der Basler Aufführung, das ist der kalte, eiskalt ausgeleuchtet Raum, der einmal aufgesperrt als Ort eines unauflösbaren Dramas ausgespannt bleibt. Das ist die Kargheit von Raum, Spiel, Stille, die nur selten, einmal von einem Schlager fast ironisierend, unbelasteten Alltag simulierend, durchbrochen wird. Das ist die verrätselte, durchgeformte Sprache in Jamben, die mit zerrissenen Sätzen die volle Aufmerksamkeit einfordert.
Es sind gar viele und komplizierte Textpassagen, die über uns ergossen werden. Vielleicht wären nicht alle nötig – etwa die etwas gar spassigen Verweise auf die Postmoderne, mit denen sich Palmetshofer als moralischer Dramatiker auf die Schippe nimmt. Unmöglich auch, alles beim ersten Hören ohne vorheriges Lesen zu verstehen. In den weniger geglückten Momenten klingt der Text wie eine forcierte Kunstübung.
Es dominieren aber klar die Strecken, wo der sprachliche Ausdruck den schmalen Grad zwischen Lebensnatürlichkeit und Kunstausdruck halten kann. Und von beidem zum Schauspielerlebnis potentiert wird. Palmetshofers Sprache wird immer dann saftig und wahrhaftig, wenn sie rücksichtslos mit ganzem Gefühlseinsatz, als wäre sie alltäglich, gespielt wird. Katja Jung und Pia Händler bilden auf diese Weise immer wieder einen unausweichlichen Sog. Es wäre sehr erstaunlich, wenn daran nicht viel und intensiv gearbeitet worden wäre. Das gut trainierte Ensemble spielt gesamthaft kraftvoll und eindeutig.
Regisseurin Felicitas Brucker hat sich diszipliniert darauf konzentriert, nur das für das Stück Wesentliche zu machen, es selber sprechen zu lassen. Das Publikum dankte mit langem Applaus.
24. März 2017