Die Scheingefechte der Anwälte und Politiker
Wahlkampf, und sie lügen, dass sich die Balken biegen. Genau wie die Rechtsverdreher. Machen jeden Täter zum Opfer und jedes Opfer zum Täter. Ein einzig Volk von Manipulatoren, Politikerinnen wie Anwälte. Wirklich?
Vollster Unschuld begann ich Jus zu studieren mit dem hehren Ziel, denjenigen zu helfen, die sich im Dschungel der Paragraphen nicht zu helfen wissen. Ich durchlief das Prozedere, war irgendwann Anwältin, und tat, was mein Job war: Ich brachte das vor, was zu Gunsten meiner Partei sprach, der andere Anwalt tat ebendies für seinen Klienten, und die Richter sprachen Recht.
Irgendwann traf ich dann die Gegenpartei auf der Strasse, grüsste natürlich freundlich. Und kassierte einen hasserfüllten Blick. Genau da kam ich auf die Welt. Der hasste mich, mich persönlich, nicht die Anwältin Strahm. Auf ewig. Damit musste ich erst mal klarkommen. Denn ich hatte doch nichts gegen den, hatte nur meine Arbeit gemacht und seine Exfrau vertreten.
Kürzlich sass ich in einer Beiz, und mein Gegenüber entsetzte sich mit „was, Du grüsst DEN?!?“. DER war ein politischer Gegner, er lief gerade an uns vorüber, und natürlich grüssten wir uns. Dasselbe in grün, wie bei den Anwälten: Man kennt sich, arbeitet zusammen, kreuzt die rhetorischen Klingen, die Wählerschaft aber, die hasst.
"Politiker und Anwälte hassen sich
nicht so, wie sie tun."
Ein Anwalt vertraut darauf, dass die Gegenanwältin das Nötige für ihren Mandanten tut, und hofft natürlich dennoch, dass er den Fall gewinnt, so wie sie auch. Es wird argumentiert, nicht gelogen, jedenfalls in der Regel nicht – und nicht bewusst. Allerdings wird von Anwälten erwartet, dass sie sich ebenso hassen, wie ihre beiderseitigen Klientinnen. Das tun sie natürlich nicht, siezen sich vorneduure und schauen sich böse an, will ja keiner seinen Ruf als scharfer Hund verlieren. Aber jeden Dienstag rauchen sie im Club zusammen eine "Havanna" oder trinken im "Schiesser" ein Cüpli. Das ist zugegebenermassen ein wenig verlogen. Aber lassen wir das.
Den politisch Aktiven geht es genau gleich. Rhetorisch haut jeder den andern einigermassen in die Pfanne, und im Übrigen vertraut auch hier jede der Pol-Parteien darauf, dass die Gegenargumente von der Partei am andern Ende des Links-Rechts-Schemas schon vorgebracht werden. Sollen doch die Parteien in der Mitte einen Kompromiss vorschlagen. Und so hängen sie sich voll in ihr Thema, ohne Rücksicht auf Verluste, vordergründig. Und auch hier hagelt es Vorwürfe, nämlich schönzufärben und schlecht zu reden was nicht so schön oder nicht so schlecht wäre.
Tatsache ist, dass Fakten der Vergangenheit auf dem Tisch liegen und es sich folglich nicht lohnt, die schön zu lügen. Und was die Zukunft betrifft: Wer weiss denn schon, wie viele Flüchtlinge wirklich noch kommen, wer wieviel Wähleranteil haben wird, und wie schnell die Gletscher schmelzen werden, und wann und ob das Kernkraftwerk Gösgen in die Luft geht? Keiner. Natürlich tun viele dergleichen, und sie könnten ja Recht haben mit ihren Behauptungen, das schon. Aber lügen? Nicht mehr als der Metzger, dessen Fleisch das zarteste sein soll, jedenfalls das, welches er zwecks Verkaufs über den Ladentisch schiebt.
Und dann sitzen sie alle zusammen in den gleichen Kommissionen und Sitzungen, sehen sich an Anlässen, durchkämpfen gemeinsam, wenn auch gegeneinander, stundenlang Vorlagen und Argumente. Wanken mit Augenringen und erschöpft aus Nachtsitzungen. Kriegen die Krise des andern mit, die Schwächen der parteifernen Kollegin. Und mögen sie nicht mehr reden über die zerstrittene Vorlage, dann reden sie über die Kinder, den Umzug, den neuen Haarschnitt. Parteiübergreifend. Es sind Menschen. Und so passiert es, dass die Classe politique zusammensteht, wenn einer von den Medien unfair in die Pfanne gehauen wird. Man fährt sich weniger hart an den Karren als auch schon. Und die Medienlandschaft heult auf, langweiliger Wahlkampf. Selber schuld.
Es ist gut so. Natürlich gibt es Antipathien. Aber die Lager hassen sich nicht so, wie sie tun. Anders könnten Anwältinnen mit ihren Gegenanwälten keine Vergleiche erarbeiten und Politiker mit denen aus dem Gegenlager keine Gegenvorschläge. Es ist beste schweizerische Tradition, dass versucht wird, auszukommen. Roger Federer mag Rafael Nadal schliesslich auch. Ganz unverlogen.
28. September 2015