Sagt nein, wehrt Euch!
Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb der jung gestorbene deutsche Dichter Wolfgang Borchert, von den Erfahrungen des Kriegs und der sinnlosen Ideologie, die ihn verursacht hatte, gezeichnet: "Sagt nein!" Lasst euch nichts vormachen und aufschwatzen, seid kritisch, wehrt Euch. Verneinung ist heute keine populäre Einstellung. Wir haben positiv zu sein, zustimmungsfreudig, optimistisch. Aber ich denke, dass nein sagen auch eine starke positive Haltung ausdrücken kann.
Widerspruch ist Widerstand gegen den Obskurantismus, gegen das Ressentiment, gegen die integrierte Realität, die totalisierte Welt, die alles verschlingende Einheit, die pensée unique. Nein sagen ist Widerstand gegen die schöne Glätte der ausgebügelten, homogenisierten Welt, gegen den Jubel, gegen den Triumphalismus, der sich als Apotheose der Freiheit andient.
Wenn sie morgen kommen und zum Beispiel sagen: Ihr sollt Abstriche an den Volksrechten machen (zum Beispiel das Verbandsbeschwerderecht aufgeben oder die allgemeine Volksinitiative abschaffen), damit die Demokratie weniger Behinderungen verursacht und die Wirtschaft umso besser läuft – sagt nein.
Wenn sie morgen kommen und sagen: Ihr sollt den Politikern, Kommunikationsberatern, Anlageberatern, Lebensberatern, Fachleuten und Experten für Strömungslehre, Biotechnologie und so weiter, Projektleitern, offiziellen Festrednern, Kolumnisten, Moderatoren, Animatoren, Verbands- und Vereinspräsidenten, Beschwerdekommissionsmitgliedern, Sekten- und anderen Führern, Gerechtigkeitsaposteln, Heilsbringern, Welterlösern, Gurus und so weiter glauben – sagt nein. Vor allem misstraut denen, die Euch weismachen wollen, dass es zu Eurem eigenen Wohl ist, wenn ihr bereitwillig befolgt, was sie Euch einreden.
Der Fundamentalismus ist kein nur religöses Problem. Die Besserwisser, Programmatiker, Propheten, Scharlatane, Marktschreier, Ideologen, Überbauagenten sitzen überall und haben es auf Euch abgesehen. Wenn ihr auf sie eingeht, haben sie Euch im Griff.
Widerspruch ist eine fröhliche Wissenschaft des Widerstands und ein lustvoller Souveränitätsgewinn, aber keine mephistophelische Praxis ("Denn alles, was besteht, verdient, dass es zu Grunde geht"). Gemeint ist ein grundsätzliches Misstrauen gegen den Bären, den man Euch aufbinden, und den Karren, vor den man Euch spannen will.
Skepsis ist eine Methode, um sich vor Vereinnahmung zu schützen und die Unabhängigkeit des eigenen Urteils zu bewahren, denn manchmal muss man Stellung beziehen. Gerade daher muss man aufpassen, im Propagandadschungel und in der allgemeinen Kakophonie und Konfusion der Meinungen und Überzeugungen nicht zum Mitläufer oder Parteigänger zu werden. Oder zum Gläubigen. Glauben, sei es an das Gute oder das Unheil, an die Wahrheit oder den Weihnachtsmann, macht blind und abhängig.
Widerspruch ist ein Protestprinzip, das ein Maximum an Denkenergie mobilisiert. Der Zweifel ist mein Cogito. Ich sage nein, ich überlege mir alles noch einmal, ich lasse mich nicht drängen – also bin ich. Das zählt.
10. September 2007
"Die Besserwisser sitzen überall"
Lieber Herr Schmidt, lesen Sie doch Ihre eigene Kolumne. "Vor allem misstraut denen, die Euch weismachen wollen, dass es zu Eurem eigenen Wohl ist, wenn ihr bereitwillig befolgt, was sie Euch einreden."
Der Fundamentalismus ist kein nur religiöses Problem. Die Besserwisser (insbesondere diese), Programmatiker, Propheten, Scharlatane, Marktschreier, Ideologen, Überbauagenten sitzen überall (oft in den Redaktionen der Medien) und haben es auf Euch abgesehen. Wenn ihr auf sie eingeht, haben sie Euch im Griff." Trotzdem, Neinsagen ist nicht alles und, wie einzelne Parteien, Gewerkschaften etc. immer wieder zeigen, beweist es noch nicht, dass man denkt.
Hans Rudolf Bachmann, Basel