Lieber eine offene Auseinandersetzung
Ich sehe nicht ein, warum es unmöglich sein soll, die Einwanderungs- und Einbürgerungsbestimmungen zu verschärfen. Was soll fremdenfeindlich oder rassistisch daran sein, wenn das Land sich vor absehbaren Problemen schützt?
Niemand heisst Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Diskriminierung gut, aber diese Begriffe üben keine zivilisierende Wirkung aus. Wer davor warnt, bescheinigt sich selber moralische Überlegenheit und klemmt die notwendige Auseineindersetzung ab.
Wenn Bundesrat Christoph Blocher die Rassismus-Bestimmungen lockern will, sehe ich schlecht ein, was es dagegen einzuwenden gibt. Ein so unbestechlicher Denker wie Noam Chomsky bezweifelt, dass es Aufgabe des Staats sei, die historische Wahrheit festzulegen. Wie unerlässlich und vertretbar eine möglichst breite Kontroverse für eine offene, demokratische Gesellschaft ist, hat Agnès Callamard in Le Monde diplomatique vom 13. April 2007 deutlich gemacht (siehe auch www.article19.org; Artikel 19 der Allgemeinen Erkärung der Menschenrechte behandelt die Meinungsfreiheit).
Das absolut abscheuliche Auftreten von Neo-Nazi-Schlägertypen in Mügel oder von FCB-Fans mit Nazi-Parolen kann nicht zwingend heissen, dass wir die Augen vor anderen Zeitproblemen verschliessen müssen. Ich befürworte die Idee einer Leitkultur und eines dezidierten Europa und stütze mich dabei auf Überlegungen der Islam-Kritikerin Ayaan Hirsi Ali. Etwas anderes anzunehmen wäre eine naive Selbstverabschiedung aus der Geschichte.
Die politische beziehungsweise multikulturelle Korrektheit von heute hat etwas Devotes an sich, so wie sich in der Forderung nach Respekt vor anderen Kulturen eine gönnerhafte Geste ausdrückt. Jeden Obskurantismus zu akzeptieren kann damit nicht gemeint sein. Respekt vor dem Türkentum? Vor dem sinozentristischen Dünkel des Reichs der Mitte? Von den afghanischen Clans? Was ist mit den Gläubigen, die alle ausser sich als Ungläubige bezeichnen? In Addis Abeba hielt mir ein Rastafari einmal auf der Strasse einen Vortrag, der in der Behauptung gipfelte: "We are the choosen people" (Wir sind das auserwählte Volk).
Das ist das wahre Gesicht der Multikulturalität, aber zum Erbrechen, denke ich. Niemand ist ohne Tadel, aber vielleicht muss man manchmal trotzdem die Dinge beim Namen nennen und den Mut haben zu einem anstössigen Urteil, das zu einer Öffnung des Denkens führt.
An Stelle von Multikulturalität wäre es übrigens besser, von Weltoffenheit oder internationaler Kooperation wie zum Beispiel im Wissenschaftsbereich zu sprechen.
In einer Welt, in der die Migrationsströme (Menschen, Waren, Informationen, Kapital) anschwellen und das Durcheinander zunimmt, ist es nicht schlecht, sich auf die eigenen Wurzeln und Werte zu besinnen, damit die Diversität bestehen und die Möglichkeit einer Alternative gewahrt bleibt.
Wenn ich das schreibe, fürchte ich allerdings, dass unsere Börsen-Player, Fussball-Fans und Disco-Pilger keine Ahnung haben, was auf dem Spiel steht.
Ganz möchte ich die Aussicht aber nicht aufgeben, dass es noch eine Rest-Form von Besinnung gibt.
24. September 2007
*Eine Besinnung stünde uns gut an"
Die Vorschläge, mit welchen Herr Schmidt das Abendland retten will, befremden mich doch sehr! Abgesehen davon, dass sie extrem dünkelhaft sind, spiegeln sie exzellent den Mainstream, zu welchem man laut meiner Interpretation von Wolfgang Borchert (siehe die vorige Kolumne) ein "Nein" sagen sollte.
Spöttisch bemerkt er, dass es zum Erbrechen sei, "Respekt vor dem Türkentum" zu verlangen. Was versteht er überhaupt unter Türkentum? Ich bin nun seit geraumer Zeit mit einem Türken verheiratet, aber mit diesem Begriff lebe ich nicht. Meint er eventuell die Jungtürken? Das war eine politische Bewegung vor knapp 100 Jahren, das kann 2007 ja wohl nicht sein Ernst sein?
Respekt vor türkischen Menschen hier in der Schweiz zu haben, halten sehr viele Einheimische für absolut unnötig, davon können wir leider bereits aus dem Umgang mit gewissen Behörden ein Lied singen. Als ich jung war, hat man auf die Italiener herabgeschaut, jetzt sind es die Menschen von weiter weg. Aber unsere Spitäler sauber zu halten, wie es mein Mann und seine Schwester seit Jahren zuverlässig tun, ist ihnen freundlicherweise gestattet. Welch edle Geste!
Und zum Vertreter des "auserwählten Volkes": Es gibt bekanntlich in unserem südlichen Nachbarland ein Kirchenoberhaupt, welches sich von Milionen, grösstenteils "aufgeklärten" Menschen, als "Papa" ansprechen lässt. Kürzlich betonte er, dass seine Kirche die Alleinseeligmachende sei. Der Aufschrei im Abendland blieb weitgehend aus.
Im Allgemeinen vergisst man ausserdem gerne, dass auch uns völlig fremde Völker genauso das "Recht" haben, einen gewissen Anteil von Spinnern, Psychotikern oder Neurotikern aufzuweisen. Das ist primär ein medizinisches Problem, wenn auch gesellschaftlich "lästiges". Diesen Drang zur Normalität habe ich auch bei meinem schwer körperbehinderten Sohn früher erlebt: Viele Leute hatten die Erwartung, er müsse stets ach so dankbar sein, wenn man ihm Hilfe leistete, auch für Dinge, die ihm selber schlicht nicht möglich waren. Hatte er dann einfach mal schlechte Laune, waren viele gleich entsetzt!
In diesem Sinne wünsche ich ebenso eine gewisse Besinnung, sie stünde uns gut an.
Brigitte Wenger Sahin, Basel
"Dem Weib haftet doch nichts Negatives an!"
Lieber Herr Heuberger, die Aufregung liegt doch ganz bei Ihnen. Ich bin die Ruhe selbst. Ich weiss nicht, im welchem Dialekt Sie zu Hause sind. Aber nach meinem Sprachverständnis - und schon weil ich ein alter Gotthelfer bin - haftet dem Weib überhaupt nichts Negatives an. Gibt es im Baselbiet denn keine Weiberfasnacht? Sollen wir etwa unser ganze schöne Literatur auf den Scheiterhaufen werfen - von Gotthelf und Keller und Meyer bis Spitteler? Bloss um dem sprachlichen Mainstream zu genügen? Also bitte.
Heinz Moll, Prag
"Muss es unterste Schublade sein?"
Herr Moll, warum eigentlich ihre Aufregung? Ich bin wie Sie der gleichen Meinung, es braucht couragierte Frauen (Weiber hört sich so abwertend an) und Männer mit Schpeuz, die Sprache muss klar sein und dann wird gehandelt. So wie es sich’s gehört und Ihnen auch vorschwebt. Aber bitteschön, muss das umsverworgen abstossend, ketzerisch und zum Teil unterste Schublade sein? Es soll Leute geben, die diesen "Stil" gut finden. Es ist aber zu vermuten, dass auf Dauer nicht mehr alle Bürger ein solches Niveau goutieren werden. In diesem Sinne grüsse ich Sie freundlich.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Das Larifari muss ein Ende haben"
Sie wohnen zwar im respektablen Oberwil, Herr heuberger, aber man könnte meinen, Sie seien auf dem Mond daheim. Der eidgenössische politische Fechtboden ist kein Pfarrhöfchen, sondern ein Kampfplatz - und das mindestens schon seit Gotthelfs Zeiten. Dort braucht es Männer mit Schpeuz und couragierte Weiber, aber keine verzärtelten Schlaffis. Und die drängenden Probleme unseres Landes verlangen auch nach einer deutlichen Sprache, wie sie die von Ihnen angepflaumten SVP-Politiker Blocher, Maurer, Mörgeli und Schlüer gottseidank pflegen. Das ewige Larifari muss ein Ende haben. Dem Volk ist lange genug ein X für ein U vorgemacht worden.
"Handeln, Handeln, das ist es, wozu wir da sind." Das Wort Fichtes gilt mehr denn je.
Heinz Moll, Prag
"Ohne manierliche Zusammenarbeit geht es nicht"
Ich wage jetzt einmal die nicht so abwegige Behauptung: Wenn SVP-Exponenten und Scharfmacher wie Blocher, Maurer, Mörgeli oder Schlüer ect. eine andere, nicht so abstossende und ketzerische Polit-Umgangssprache und -formen pflegen würden, wären andere Parteien und Organisationen längst bereit, die anstehenden Migrations-Probleme und deren Folgen gemeinsam zu diskutieren, um allgemein akzeptierte Lösungen zu suchen und zu finden. So, wie es aber zur Zeit läuft, scheint es eher aussichtslos, es fehlt offensichtlich schlicht und einfach der nötigte Wille. Denn Druck erzeugt bekanntlich Gegendruck.
Basel lieferte ja das Beispiel, als die aggressive und deshalb umstrittene SVP-Präsidentin "ausgewechselt" wurde, die Polit-Umgangsformen wurden auffällig zivilisierter. Und die paar SVP-Jungspunde im Baselbiet und anderswo werden es auch noch lernen, dass mit hetzerischen Plakaten und dümmlichen Mord-Filmchen im Internet keine Lösungen zu den Problemen gefunden werden. Auch hier wird es nicht ohne manierliche Zusammenarbeit aller gehen. So man überhaupt eine Lösung will, denn es muss klar festgehalten werden, dass sich heutzutage mit Angst- und Scharfmacherei gut Wahlen gewinnen lässt.
Und wer möchte schon gerne seine Pfründe und Einfluss abgeben! Dass dabei Anstand und Respekt zum Teufel gehen ist scheinbar nebensächlich geworden. Eine offene Auseinandersetzung ja, aber bitte nicht mit allen Mitteln. Wo bitteschön soll sich in Zukunft unsere Jugend ihre Vorbilder holen? Oder hat die Anständigkeit schon abgedankt?
Zum Wohle des "Vaterlandes" oder zum Wohl des Eigennutz? Das letztere dürfte eher der Fall sein.
Bruno Heuberger, Oberwil
"... sonst enden wir in einer Diktatur"
Aurel Schmidt hat Recht. Wer gute Argumente hat, kann seine Meinung auch in einer Diskussion verteidigen und braucht nicht einen Rassismus-Artikel, um jede Diskussion im Keime zu ersticken, sonst enden wir in einer Diktatur.
Alexandra Nogawa, Basel
"Rechte und Linke können Fehler nicht eingestehen"
Mit der Devise "Augen zu und durch" haben die Parteien erst das Erstarken der SVP möglich gemacht, neben der EU-Haltung war es die Ausländerpolitik der letzten 15 Jahre, die dafür entscheidend war. Wir haben eigentlich eine politische Tradition, die versucht, nach einer Diskussion über eine Problemsituation gemeinsam Lösungen zu finden. Das kann aber nicht funktionieren, wenn der Diskurs schon vorher abgewürgt wird.
Politische Parteien sind selten fähig, Fehler der Vergangenheit einzugestehen. Die Bürgerlichen sind zum Einen nicht fähig, die falsche Weichenstellung in der Energiepolitik der letzten 20 Jahre einzugestehen, und präsentieren sich jetzt trotzdem als Förderer von alternativen Technologien. Die Linken sind ebenso nicht fähig, ihre falsche Ausländerpolitik der letzten 20 Jahre zu benennen, die jeden abgewiesenen Wirtschaftsflüchtling gleich zur Humanismusfrage stilisiert hat, und tendenzielle Frauenunterdrückung und fehlende demokratische Kultur von gewissen Einwanderern negiert hat.
Keine politische Frage sollte ohne Intelligenz und Nachhaltigkeits-Aspekt behandelt werden. In der Ausländerpolitik haben wir seit rund zwei Jahren eine durchdachte Politik, die qualifizierte Menschen zu uns ins Land bringt. Zuvor waren es 20 verlorene Jahre aufgrund der fehlenden offenen Auseinandersetzung. Das wäre nicht nötig gewesen.
Karl Linder, Basel