Messias statt Markt
Die Menschen sind elend, hilflos, unselbständig. Sie befinden sich in einem dunklen Loch, aus dem sie aus eigenen Stücken nicht herauskommen.
Kein Wunder: Wir leben in einer Dienstleistungsgesellschaft. Steuerberater, Psychiater, Yogalehrer, Experten und Sozialagenten suchen Kundschaft und reden den Menschen ein, dass es ohne sie nicht geht. So erklärt sich das weit verbreitete Verlangen nach Führerschaft.
In Andermatt will der ägyptische Hotelier und Millionär Samih Sawiri das verschlafene Dorf vom Fatalismus des Umfahrungsverkehrs befreien und es in ein Premium-Resort umbauen. Ein Ski-Paradies soll entstehen - Schnee vorausgesetzt. Sonst muss es im Sommer ein Golfplatz tun, wo einst die Kühe weideten und die Milch für den Käse lieferten, den Goethe so sehr gerühmt hat. Die gestiegenen Boden- und Liegenschaftspreise von Göschenen das Reusstal hinunter bis Amsteg und Altdorf und von Airolo die Leventina hinunter sind die ersten Vorboten des neuen Frühlings.
Den Menschen in Andermatt ist ein Erlöser erschienen. Der Investor ist der neue Messias - auch wenn er im Urserental das Land für die Wohlhabenden und Verwöhnten in Besitz nimmt, falls sie in der Lage sind, den Preis (das heisst die Preise) dafür zu bezahlen. Die Andermatter sind froh und dankbar, als Hotelportiers und Zimmermädchen einen Job zu finden, abgesehen von ein paar Nobel-Boutiquen, für die sich schon Interessenten gemeldet haben.
Auch Frankreich hat einen neuen Erlöser bekommen. Er heisst Nicolas Sarkozy. Frankreichs Staatspräsidenten agierten bisher als Monarchen auf Zeit - neuerdings werden sie als Messiasse gewählt. Diese neue Gläubigkeit hat Ségolène Royal mit ihrer Partizipations-Idee nicht verstanden. Sarkozy hat sich als Retter angeboten, Frankreich eine neue nationale Identität verheissen und dem Land energische Reformen versprochen, also eine Modernisierung, wie es im neoliberalen Jargon heisst. Tüchtigkeit, Disziplin, tiefere Steuern, endlich, endlich. Auch ein neuer Frühling.
Bleibt nur die Frage, warum das bisher unmöglich war. Warum die Menschen nicht aus eigener Kraft die Initiative ergriffen haben, zur Tat geschritten sind und ihre Verhältnisse selbst eingerichtet haben - in Andermatt, in Frankreich. Warum es dazu der Sawiris und Sarkozys bedurfte.
Es sieht aus, als ob es auf die grossen Persönlichkeiten ankommt, die historische Dynamik entfalten, die Ereignisse in Gang setzen und einen politischen Klimawandel einleiten. Das ist in der Geschichte ein bekanntes Phänomen (Julius Cäsar, Napoleon, Mao Dsedong).
Bisher haben Historiker wiederholt versucht, den Agenten des historischen Fortschritts im Volk auszumachen und die Kraft der Geschichte in den Volksmassen (in den Revolutionen) zu lokalisieren. Diese Annahme scheint jetzt widerlegt zu sein.
Aber noch eine andere Hypothese dürfte widerlegt sein. Nämlich dass der Markt und die invisible hand des Adam Smith alles regulieren und richten, wenn man den Einen und die Andere nur gewähren lässt.
Im Augenblick scheinen die Messiasse eindeutig die Oberhand über den Markt zu haben.
4. Juni 2007
"Es gibt auch einen helvetischen Götzendienst"
Eine präzise Beobachtung, die der Kolumnist uns da liefert. Es gibt eine interessante Ergänzung dazu aus der Sicht der Befreiungstheologie. Sie sieht nicht den Atheismus für die grosse Gefahr gegenüber dem Gottesglauben, sondern den Götzendienst. Damit meint sie den ständig wiederkehrenden Versuch, etwas anderes als Gott zu Gott zu machen. Etwa die nationale Sicherheit, oder der freie Fluss des Kapitals. Die Absage an das Christentum ist so nicht der Zweifel an Gott. Er führt vielmehr eher zu einem tieferen Verständnis dessen, was mit diesem Wort gemeint ist. Abkehr vom Christentum ist der Götzendienst. Unter den Götzen gibt es viele, eben auch die, welche als Messiasse daherkommen, wie Aurel Schmidt treffend diagnostiziert. Man müsste aber auch von helvetischem Götzendienst reden. Dazu gehört die als Rettung des christlichen Abendlandes kachierte Fremdenfeindlichkeit grosser Teile der SVP. Dazu gehört aber auch jede Politik, die nicht dem Menschen Vorrang vor dem Kapital gibt, sondern das Kapital über den Menschen entscheiden lässt. Diese Götzendienerei lässt sich in praktisch allen Schweizer Parteien finden und bei unzähligen unserer Zeitgenossen.
Xaver Pfister, Theologe, Basel
"Andere Analysen wären eventuell interessanter"
Werden wir Zeugen einer erneuten Kohabitation von Sozialismus und Katholizismus? Schmidt irrt insofern, als er doch tatsächlich zu glauben scheint, in der französischen Politik hätte es einen Markt gegeben. Bis zum 6. Mai herrschten dort, sagen wir ziemlich "römisch-katholische" Konditionen. Nun eher protestantische, Gott sei Dank aber ohne Prüderie! Wäre es eventuell interessanter, Analysen Schmidts beispielsweise zu "UDSSR 1917, WaPa 1989: Weshalb?" zu studieren? Oder Machtpolitik in der Volksrepublik China: Worauf gründet sie? Oder aber Berlinguer: Woran scheiterte er? Oder Benedikt der XVI.: Wieso wird er scheitern?
Patric C. Friedlin, Basel
"Auch Christoph Blocher ist ein Messias"
Scheinbar passt Herrn Friedlin die Einschätzung von Aurel Schmidt nicht so recht in sein liberal-politisches Weltbild. Verdächtig nur, dass er als "Ausweichthemen" nur politische Geschehnisse weit ausserhalb der Schweiz vorschlägt. Wie wär’s mit einer Analyse über unseren gutbürgerlichen Herrn Blocher, auch er ein selbsternannter Messias zum wohl unseres Landes, auch er hat eine "Marktlücke" gefunden, doch auch er wird früher oder später scheitern. Die Geschichte wiederholt sich bekanntlich immer wieder.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Hoffnung auf Sarkozy ist vielleicht gar nicht blöd"
Aurel Schmidt ist so ein netter Mensch. Er macht sich kluge Gedanken und hört in der Hälfte auf. Was hätten wir denn davon, wenn Ségolene Royal gewonnen hätte und dann nichts erreicht? Vielleicht ist die Hoffnung auf Nicolas Sarkozy gar nicht blöd. Er wird etwas erreichen und daran wird sich sein Land reiben, vor allem die Augen. Ich kann den Kerl zwar nicht ausstehen, aber als Innenminister ist er viel weiter gekommen, als seine Vorgänger. (Zum Beispiel in der Anzahl Verkehrstoter. Repressiv. Was anderes hätte in Frankreich gar nicht funktioniert.) Jetzt schauen wir mal.
Die schweizerische Messias-Nummer, Blocher, ist dagegen lächerlich. Nichts, aber auch gar nichts Konkretes. Nur Wind. (Spital-Talk für Furz.) Ernste Ansätze können hierzulande Linke wie Rechte präsentieren. Warum haben wir nur 45 Prozent Wahlbeteiligung und die Franzosen 85?
PS zu den anderen Voten: Berlinguer wäre zur Zeit ein Traum-Politiker für die Schweiz. Kennt den noch jemand ausser Herr Friedlin?
Arthur Bliss, Basel
"Gott zu Blocher: Woran glauben Sie?"
Nehmen Sie es doch nicht so ernst! Wichtig ist doch, als was sich Herr Blocher versteht. Denn ich hatte den folgenden Traum: Herr Leuenberger, Frau Calmy-Rey und Herr Blocher kamen - nach diskretem Einlass durch Petrus, versteht sich - in den Himmel und standen nun vor Gott. Dieser frägt sie der Reihe nach: "Herr Leuenberger, an was glauben Sie?" Dieser meint: "Ich glaube an die Lastwagen-Börse". Darauf Gott: "Na, dann setzen Sie sich mal links von mir. Und Frau Calmy-Rey, an was glauben Sie?" "Ich glaube an den Durchbruch der Menschenrechte in sämtlichen Staaten." - "Ja, gut, dann setzen Sie sich mal rechts neben mir. Und Herr Blocher - was glauben Sie?" Dieser: "Ich glaube, Sie sitzen auf meinem Stuhl." Aufgeschnappt und weitergeleitet.
Gerold Zoller, Raperswilen