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"Politischer Working Poor": Angeklagter Gerspach, Verteidiger Ueberwasser
Fall Gerspach: 18 Monate Gefängnis bedingt
Bei den fetten Beträgen waren die Revisoren der Zunft zu Weinleuten während acht Jahren blind
Von Peter Knechtli
Zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 18 Monaten verurteilte das Basler Strafgericht heute Dienstagnachmittag Fernand Gerspach (68), den früheren Seckelmeister der Zunft zu Weinleuten. Er hatte sich während acht Jahren aus der Zunft-Kasse bedient - ohne dass ihm die Revisoren auf die Spur kamen.
Während acht Jahren hatte sich Buchhalter ("Seckelmeister") Gerspach vor allen über das Postcheckkonto am Vermögen der Zunft bedient. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft spricht von einer Deliktsumme von 1,34 Millionen Franken, wobei Gerspach immer wieder Teiltranchen zurückverschob. Formell kaschierte er die deliktischen Bezüge mit fiktischen Käufen von Wertschriften, Fonds-Anteilen, Wandelanleihen oder Festgeldanlagen und fiktiven Kauf-Belegen.
Geschäftlich keine glückliche Hand
Geldbedarf hatte Gerspach, weil er geschäftlich offenbar keine glückliche Hand hatte. Den Verkauf seines Sportgeschäfts in der Basler Innenstadt an René C. Jäggi habe er "zum Nulltarif" getätigt, weil der Umbau der Altstadt-Liegenschaften mit vier Millionen Franken das Dreifache des budgetierten Betrags gekostet habe. Auch ein Engagement in einem Handelsunternehmen für Oelbindemittel brachte dem angeklagten Geschäftsmann nur Verluste.
Die deliktisch transferierten Beträge benutzte Gerspach aber vor allem zur Finanzierung oder Vorfinanzierung der von ihm organisierten Immobilienmessen "Immofoire". Als schmerzhafter finanzieller Flop erwies sich die im Zürcher Hauptbahnhof durchgeführte dreitägige "Immofoire": Allein für die Platzmiete musste er mindestens 100'000 Franken hinblättern. Auch habe er sich verpflichtet, den Anlass dreimal durchzuführen, obschon keine Rentabilität erwartet werden konnte, sagte der Angeklagte.
Er nutzte Zunftvermögen aber auch zur Bestreitung seines privaten Lebensunterhalts. Wie heute Dienstagmorgen vor Gericht bekannt wurde, lebt er seit der Anzeigeerstattung vergangenen März im Wesentlichen von der AHV-Rente und von einzelnen Einkünften aus Projektentwicklungen. Damit könne er auch seinen "Jaguar" finanzieren, der im Unterhalt nicht teuer sei, sagte der frühere CVP-Grossrat und Gewerbeverbands-Vizepräsident auf eine Frage des Gerichtspräsidenten.
Wundern über "kollegiale Revisionen"
In der heutigen überzeugend geführten Gerichtsverhandlung legte Gerichtspräsident René Ernst den Schwerpunkt der Befragung zunächst auf die Rolle der drei Revisoren, die alternierend die Rechnung "Weinleute"-Zunft prüften. Die Revisonen dauerten jeweils zwischen zwei und drei Stunden und spielten sich hälftig in fachlichem Rahmen und - zunftgemäss - hälftig bei Wein und Sandwich an Gerspachs Privat-Domizil ab. Aus den Akten geht hervor, dass den teils professionellen, teils amateurhaften Rechnungsprüfern Gerspachs Verfehlungen in teils sechsstelliger Grössenordnung während acht Jahren unbemerkt blieb, worüber sich der Gerichtspräsident sichtlich wunderte. Einer der Revisoren gab zu Protokoll, er könne "mit Abgenzungskosten nichts anfangen", der Begriff "Wandelanleihen" sage ihm "überhaupt nichts" und Buchhaltung bedeute ihm ein "Fremdwort".
Ein Revisor erklärte laut Akten, er habe Gerspach jeweils gefragt, ob es "zu wesentlichen Änderungen gegenüber dem Vorjahr" gekommen sei. Wenn der Seckelmeister verneint habe, habe er nicht weiter nachgefragt.
Gerspach verfasste die Revisionsberichte
Auf die Frage des Gerichtspräsidenten, ob es sich beiden Prüfungen gar um "eine Pro forma-Revision" gehandelt habe, widersprach Gerspach. Hingegen kam ans Tageslicht, dass nicht die Revisoren die Berichte verfassten, sondern der angeklagte Buchhalter selbst: Die Prüfer unterschrieben, was Gerspach schriftlich vorbereitet hatte. Ihnen war nebst Anderem auch nicht bewusst, dass Gerspach im Verwaltungsrat der Firma "Riag Regio Invest AG" sass, von der die Zunft angeblich angenehm verzinsliche Wandelanleihen erwarb. Zum fiktiven Kauf-Beweis hatte Gerspach in seinem Computer fiktive Belege der "Riag" vorbereitet - laut dem Richter "Fantasie-Dokumente bar jeglichen Realitätsbezugs". Vor den Revisionen - so Gerspach zu seiner mentalen Verfassung - habe er jeweils "schlaflose Nächte gehabt".
Neben fünf- und sechsstelligen Bezügen listete die Staatsanwaltschaft auch kleinere "Barbezüge" (so der nicht näher spezifizierte Buchungstext) von 2'500 und 3'000 Franken auf. Gerspach bestritt, diese Beträge zum Eigengebrauch abgehoben zu haben. Vielmehr habe es sich um Anerkennungen gehandelt, die der Zunftmeister verdienten Zunftbrüdern "in Kuverts verteilt" habe.
140'000 Franken zurückbezahlt
In seinem Plädoyer sagte (Pflicht-)Verteidiger Heinrich Überwasser, der Angeklagte habe "durch die Berichterstattung in der Öffentlichkeit geschäftlich und gesundheitlich gelitten". Gerspach habe der Zunft in der Zwischenzeit 140'000 Franken zurückbezahlt – "umständehalber nicht so schnell wie er wollte und noch längst nicht alles". Er unternehme aber "alles in seiner Macht Stehende, um den Schaden wiedergutzumachen". Die Aussichten seien "intakt". Aus diesen Gründen erkläre sich Gerspach "ausdrücklich und unwiderruflich bereit", sich der von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafe zu unterziehen.
Schon am 4. Juli hatte der auf Wirtschaftsdelikte spezialisierte Leitende Staatsanwalt Lukas Schaub beantragt, Gerspach wegen mehrfacher Veruntreuung und mehrfacher Urkundenfälschung schuldig zu sprechen und zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs bei einer Probezeit von zwei Jahren zu verurteilen. Laut Überwasser sei Gerspach inzwischen klar geworden, dass er die Zunft "zutiefst enttäuscht" habe. Auch hätten ihm die Revisoren "blind vertraut".
Ein "Opfer des Systems"
Der Verteidiger stellte den Angeklagten als ein "Opfer des Systems des Scheins" und einen "politischen Working Poor" dar. Überwasser sprach in seinem eigenen Namen, als er bekannte, er stelle "einen Teil unseres politischen und gesellschaftlichen Systems in Frage". Überwasser weiter: "Warum ist keinem dieser grossen politischen Player je aufgefallen, dass sich mein Mandant in der geschilderten Notlage eines 'politischen Working Poor' befunden hat?" Es gebe ein "Tabu der Krisen bei etablierten Leuten" und "wenig Empathie bei der Krisenbewältigung zwischen den Etablierten".
Schweres Verschulden - leicht gemacht
Da Gerspach geständig war, liess sich der Staatanwalt für die Verhandlung dispensieren. Das Dreierstrafgericht verurteilte den Angeklagten wegen mehrfacher Veruntreuung und mehrfacher Urkundenfälschung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 18 Monaten auf zwei Jahre - zwei Monate untr dem Antrag des Staatsanwalts. Zudem muss er die Verfahrenskosten und die Urteilsgebühr zahlen.
In seiner Urteilsbegründung bezeichnete Gerichtspräsident Ernst Gerspachs Verschulden als "doch recht schwer". Es bezifferte die Schadensumme auf "unter 800'000 Franken". Gerspach habe seine "Vertrauensstellung über acht Geschäftsjahre hinweg missbraucht". Zugunsten des Angeklagten spreche anderseits, "dass man es Ihnen sehr leicht gemacht hat". Selbst eine Laie erkenne, "dass es keine vertiefte Prüfung gab". Vor allem die grossen Posten seien seien nicht näher unter die Lupe genommen worden. Richter Ernst: "Die Revisoren machten ihren Job nicht."
Beschädigtes Ansehen ist auch Strafe
Das Gericht widersprach aber der Meinung des Verteidigers, der Angeklagte sei "das Opfer der Politik". Sicherlich sei Gerspach in grösserem Umfang ehrenamtlich tätig für Zunft und Grossen Rat tätig gewesen. Aber alle diese Tätigkeiten hätten ihm beträchtliches Ansehen verschafft, was ihm "auch kommerzilelen Nutzen verschafft" habe.
Zugunsten Gerspachs spreche aber auch, dass er sich im Strafverfahren kooperativ verhalten habe und sein Bemühen durch Tatbeweis bestätigt habe, den Schaden wieder gut zu machen. Das Gericht habe auch in Rechnung gestellt, dass Gerspach mit seinen früheren Verbindungen als Ehrenmann "sehr strafempfindlich" sei. Das beschädigte Ansehen und die öffentliche Ächtung seien auch ein Teil der Strafe. "Das gibt ein rechtes Stück Rabatt", begründete der Richter das Urteil von 18 Monaten.
Wie Fernand Gerspach im Anschluss an die Gerichtsverhandlung gegenüber OnlineReports erklärte, will er das Verdikt akzeptieren. Eine einfache Aufgabe steht ihm nicht bevor: Knapp 700'000 Franken will und muss er der Zunft zurückzahlen. Die Verhandlungsführung durch Richter René Ernst bestach durch klare Fragen, plausible Erwägungen und einer ausgewogenen Balance von strafrechtlicher und menschlicher Argumentation.
18. Dezember 2007
Weiterführende Links:
"Kein Geld für verdiente Zunftbrüder"
Die Aussage, die Fernand Gerspach vor dem Gericht machte, muss wie folgt korrigiert werden, weil sie einen falschen Eindruck erzeugt: Die genannten Barbezüge sind nicht dem Zunftmeister ausgehändigt worden. Die jeweiligen Zunftmeister haben nämlich den alljährlich im normalen Budget aufgeführten Beitrag "Handöffnung" auf ihr Konto überwiesen erhalten. Dieses Geld haben sie nicht für irgendwelche "verdiente Zunftbrüder" als Anerkennung eingesetzt, sondern zum Beispiel für bedürftige Zunftmitglieder, für Leistungen der Zunftmusik oder des Zunftchors.
Urs Häusel, Mitglied Vorstand Weinleutenzunft, Basel