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"Ein Regiefehler": FDP-Finanzdirektor Ballmer, Perla-Mail
Der Baselbieter Finanzdirektor steht in struben Zeiten
Adrian Ballmer zwang seine finanzpolitisch schlingernde FDP-Fraktion zwar in die Knie, aber seine Sekretärin spricht von "Königsmord"
Von Peter Knechtli
Harte Zeiten für den Baselbieter Finanzdirektor Adrian Ballmer: Er sieht sich – wenige Monate von den Wahlen – scharfen Angriffen aus Medien und der eigenen Fraktion ausgesetzt. Hauptvorwurf: Er habe die Kantonsfinanzen nicht im Griff. Enge Mitarbeitende Ballmers befürchten, dass ihm die Lust am Regieren vergehen könnte.
Die Wolken über dem Baselbieter Finanzhimmel verdüstern sich: Das Budget schreibt mit einem Defizit von 91 Millionen Franken leuchtend rote Zahlen und eine Neuverschuldung von 375 Millionen Franken. Dabei schleppt der Kanton ein strukturelles Defizit mit sich herum, das auch in rosigeren konjunkturellen Zeiten bestehen bleibt, sofern die Regierung nicht rigoros den Sparstift ansetzt.
"Baselland kann nicht mehr zahlen", titelte die "Basler Zeitung" am 23. Oktober auf der Frontseite und schrieb, ein "Investitionsstau" von 3,4 Milliarden Franken führe im Kanton dazu, dass wichtige Grossprojekte nicht mehr finanzierbar seien.
Sofort-Reduktion von 50 Millionen
Nur zwei Tage später holte die FDP-Fraktion des Landrates in einer Medienmitteilung zu einer Schelte von bisher nicht gekannter Schärfe an der "finanziellen Schieflage des Kantons" aus. Obschon darin immer von der "Regierung" die Rede ist, zielt die Verlautbarung ganz klar auf den zentral Verantwortlichen: FDP-Finanzdirektor Adrian Ballmer. Dieses Dokument aus der Feder des FDP-Fraktionsvorstands war an einer ausserordentlichen Fraktionssitzung "praktisch einstimmig und mit einer unverkennbaren Begeisterung beschlossen worden" (wie OnlineReports aus erster Hand erfuhr). Darin fordern die Freisinnigen im Hinblick auf die Budgetberatung Anfang Dezember nicht nur einen "Ausgaben-Stopp", sondern "als Sofortmassnahme" eine Reduktion des betrieblichen Gesamtaufwands um 50 Millionen Franken. Überdies verlangte die Fraktion von der Regierung, "umgehend ein wirksames Sparpaket vorzulegen". Das Forderungspaket floss in mehrere Budgetpostulate ein.
Zwar wussten die freisinnigen Abgeordneten schon seit längerer Zeit um die sich verdüsternde Lage der Kantonsfinanzen. Aber die Alarm-Zeitungsmeldung habe die Fraktion in ihrem radikalen Sparkurs "bestärkt" (so eine FDP-Quelle). Ballmer ebenso wie FDP-Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro waren weder zu dieser Spar-Fraktionssitzung eingeladen worden noch konnten sie zur Medienmitteilung Stellung nehmen.
Kleinlauter Rückzug der Budgetanträge
Als Ballmer jedoch vom Sparplan seiner Fraktion erfuhr, muss er an die Decke gefahren sein. "Sehr emotional" (ein Augenzeuge: "er heulte fast") habe der 63-jährige Kassenwart in der ordentlichen Fraktionssitzung vom 28. Oktober zu verstehen gegeben, dass ihm die Lust am Regieren – und damit an einer erneuten Kandidatur – definitiv vergehe, wenn die einschneidenden Budgetanträge nicht zurückgezogen würden. Er habe "ganz klar" ein Ultimatum gestellt, war aus Fraktionskreisen zu erfahren.
Ballmers entnervter Auftritt gegen den finanzpolitischen Handstreich der FDP-Abgeordneten zeigte Sofort-Wirkung: Kleinlaut zog die Fraktion, von ihrem Mut-Anfall jäh verlassen, ihre Budgetpostulate inklusive den Sparauftrag über 50 Millionen Franken zurück.
Es sei ein "Regiefehler" gewesen, dass Ballmer und Pegoraro nicht zur ausserordentlichen Fraktionssitzung eingeladen worden seien, meinte Fraktions-Vizepräsident Rolf Richterich stellvertretend für den erkrankten Fraktionschef Daniele Ceccarelli zu OnlineReports. Die 50-Millionen-Sparforderung sei "unter extremem Zeitdruck eine unseriöse Hau-Ruck-Übung gewesen, die nichts bringt". Ballmer habe die Fraktion davon überzeugen können, dass für massgebliche Streichkonzerte ein "sauberer Prozess" nötig sei.
Andere Fraktionsmitglieder zeigen sich entnervt ("Erpressung!") oder frustriert: "Wir haben seit Wochen für den Abfall gearbeitet."
Ballmer-Umfeld spricht von "Königsmord"
Gegenüber OnlineReports hielt Adrian Ballmer fest, er habe nicht mit dem Rücktritt gedroht: "Erstens pflege ich grundsätzlich nicht zu drohen und zweitens nicht mit Rücktritt." Ihn habe aber "irritiert", dass er nicht vor der Publikation zur Medienmitteilung habe Stellung nehmen können. Die im FDP-Communiqué enthaltenen Vorwürfe wollte Ballmer nicht kommentieren: "Dazu äussere ich mich intern."
Dass Ballmer jedoch Signale wachsender Regierungs-Unlust verströmte, wird aus einem Mail deutlich, das seine langjährige persönliche Sekretärin Karin Perla an die Fraktion am 26. Oktober an die Fraktionsspitze verschickte und das OnlineReports vorliegt: Die FDP habe "den Vogel abgeschossen", nämlich "als Handlanger der BaZ 'Königsmord' zu begehen". Und weiter: "Für uns enge Mitarbeiter von Adrian gibt es ein einziges Horrorszenario: dass er den Bettel hinschmeisst, um seinen wohlverdienten Ruhestand zu geniessen. Ihr habe einiges dazu beigetragen, dass es wahr werden kann."
100-Millionen-Sparpaket, nach den Wahlen
Tags zuvor hatte Perla schon zusammen mit Bartolino Biondi, dem Akademischen Mitarbeiter im Generalsekretriat der Finanzdirektion, und Roger Wenk, dem Leiter der Abteilung Finanzen und Volkswirtschaft, bei der "Basler Zeitung" die Front-Schlagzeile "Baselland kann nicht mehr zahlen" als "ruf- und kreditschädigend" kritisiert. Gegenüber OnlineReports sprach Ballmer von "effekthaschendem Sensationsjournalismus, den ich aufs Schärfste verurteile". Diese "grobfahrlässige" Behauptung sei "tatsachenwidrig": Standard & Poor's habe Ende August dieses Jahres dem Kanton Basel-Landschaft "das Top-Bonitätsrating AAA bestätigt".
Die Budget-Hektik hat Gründe: Wie Ballmer gegenüber OnlineReports erklärte, will er ein Sparpaket in der Höhe von 100 Millionen Franken vors Parlament bringen – aber erst nach den Wahlen vom kommenden Frühjahr. Die Regierung werde ab Ende dieses Jahres über die strategischen Schwerpunkte des neuen Regierungsprogrammes brüten, bevor sie dem Landrat im zweiten Quartal vorgelegt werden. Ballmer will "alles daran setzen", das Sparpaket "so früh wie möglich zu bringen". Auf einen konkreteren Zeitpunkt wollte er sich nicht festlegen. Der Prattler SP-Landrat und -Parteisekretär Ruedi Brassel: "Ballmer will nicht vor den Wahlen zu erkennen geben, wo es weh tun wird."
Harte Kritik an Finanzpolitik
Mit Ballmers Arbeit geht Brassel hart ins Gericht: "Er macht eine miserable Finanzpolitik und denkt dabei nur an seine Klientel." Unter dem "Deckmantel der Steuersubstrat-Pflege" betreibe der Finanzdirektor eine "merkwürdige Finanz-Alchemie". Indem er ständig – wie neuerdings mit einer geplanten Senkung der Vermögenssteuer im Umfang von 48 Millionen Franken – weniger Steuereinnahmen verlange, erhoffe er sich am Schluss "mehr Einnahmen". Brassel: "Diese Rechnung kann nicht aufgehen."
Adrian Ballmer, der lange Zeit als "starker Mann" in der Baselbieter Regierung galt, erhält derzeit nirgends ein gutes persönliches Rating. Die neuste Ausgabe des Wirtschaftsmagazins "Bilanz" etikettiert ihn gar brutal als den "schlechtesten Finanzdirektor" der Schweiz. Auffällig: Ballmers führungslos wirkende Partei gab ihm nach diesem vernichtenden Pauschalurteil bisher keine öffentliche Schützenhilfe.
FDP will Zweier-Vertretung retten
Für seine Partei, die FDP, ist die Lage derzeit delikat. Sie scheint Ballmer dazu gedrängt zu haben, kommendes Frühjahr im Alter von 64 Jahren und nach elf Amtsjahren und gesundheitlich nicht mehr topfit nochmals zu den Wahlen anzutreten. Mit der Bisherigen-Doppelkandidatur Ballmer/Pegoraro, so das Kalkül, gelinge es den Freisinnigen am ehesten, ihre umstrittene Doppelvertretung in der fünfköpfigen Regierung nochmals vor den Begehrlichkeiten der SVP oder von Links-Grün über die Runden zu retten.
Etliche Beobachter – auch aus seiner Partei – sind indes der Meinung, dass der früher für seine "Elefantenhaut" bekannte Regierer "unverkennbar Lustlosigkeit" verströme und "Dünnhäutigkeit" erkennen lasse.
Um nicht zu riskieren, dass er doch noch den Bettel hinschmeisst und nicht erneut in den Wahlkampf steigt, sondierte FDP-Nationalrat Hans Rudolf Gysin, der bei Ballmer immer offene Türen hat, bei der CVP ihr beabsichtigtes Verhalten bei der kommenden Budgetberatung. Denn die SVP will das Budget an die Regierung zurückweisen – unter anderem mit dem Auftrag, den budgetierten Aufwand um insgesamt 3,5 Prozent zu reduzieren mit dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts.
Geringe Chance für Rückweisung
Fände der Rückweisungsantrag der SVP eine Mehrheit, könnte Ballmer tatsächlich auf eine Wiederkandidatur verzichten und seine Partei in eine delikate Lage bringen.
Doch für die Christdemokraten "kommt eine Rückweisung nicht in Frage", wie Kantonalpräsidentin und Landrätin Sabrina Mohn gegenüber OnlineReports erklärte. Die CVP wolle diesmal aussergewöhnlicherweise auch keine Budgetpostulate einreichen, weil "einzelne Anträge wenig bringen". Einzig die Grünen reichten noch Sparforderungen in der Gesamthöhe von 20 Millionen Franken ein. Wenn die "minimalen Anträge" (so Landrat Isaac Reber) von 20 Millionen nicht durchkommen, wollen die Grünen dem Budget nicht zustimmen.
Angesichts einer vermuteten Mehrheit kann Adrian Ballmer der Haushaltsdebatte einigermassen beruhigt entgegenblicken: Der SVP-Rückweisungsantrag scheint nur geringe Chancen zu haben. Die geforderte pauschale Budgetkürzung von 3,5 Prozent sei "absolutes Wunschdenken", so der Freisinnige Richterich.
Der grüne Regierungsratskandidat Reber findet es "zu billig, die Schuld allein bei Ballmer oder der Regierung zu suchen". Denn: "Das Parlament gab bisher keine Leitplanken und die Regierung raufte sich nicht zusammen. Die Budgets hätten, wie wir es verlangt haben, schon in den letzten Jahren korrigiert werden sollen." Für SVP-Fraktionschef Thomas de Courten allerdings kein Grund, konkrete Massnahmen zu vertagen: "Wenn das Parlament erkennt, dass der Haushalt strukturell überlastet ist, und aus wahltaktischen Überlegungen nicht handelt, dann ist das unverantwortlich."
7. November 2010
"Rolle des Parlaments muss hinterfragt werden"
Mit Interesse habe ich ihren Artikel gelesen. Während acht Jahren war ich Mitglied in der Finanzkommission und habe zwei Finanzdirektoren kennengelernt. Ich kann bestätigen, dass Regierungsrat Ballmer mit seinem Team die Finanzen im Griff gehabt hat. Er hat uns immer darauf hingewiesen, dass politische Entscheide, welche durch das Parlament gesprochen wurden, auch finanzielle Auswirkungen haben. Er hat sogar eingeführt, dass bei jeder Vorlage darauf hingewiesen wird, ob diese Ausgabe für den Kanton tragbar ist oder nicht. Er hat sogar eingeführt, dass alle Vorlagen aus allen Direktionen, auf die Finanzierbarkeit von seiner Direktion beurteilt werden müssen.
Jeder Regierungsrat weiss somit, was seine Vorlage für finanzielle Konsequenzen hat. Leider möchte die Regierung nicht in jedem Fall die finanziellen Auswirkungen publik machen. Sie wissen alle, dass es immer eine Mehrheit im Regierungsrat braucht und RR Ballmer ist einer von "vielen".
Die Rolle des Parlamentes muss auch einmal hinterfragt werden. Die heutige Defizitbremse ist ein wichtiges Instrument, um die Begehrlichkeiten im Griff zu halten. Und wie wir sehen, wirkt sie bereits. Es ist natürlich verrückt, wenn man den Gesamtkuchen der Ausgaben betrachtet und feststellt, dass die grössten Ausgaben in der Bildung und im Gesundheitswesen anfallen. Beide Ressorts sind klar gesetzlich geregelt. Das heisst, um Kosten zu sparen, muss das Parlament auch bereit sein, auf Dienstleistungen zu verzichten und dies in entsprechenden Gesetzesänderungen anzupassen.
Aus meiner Erfahrung tut sich das Parlament sehr schwer damit, weil man damit keine Lorbeeren beim Stimmvolk holen kann. Besonders nicht ein halbes Jahr vor den Wahlen.
Falls das Parlament kein Vertrauen in sich selber hat, kann es dem Baselbieter Volk ja beliebt machen, dass das Volk das letzte Wort im Bezug auf eine Steuererhöhung haben kann.
Übrigens ist das Investitionsvolumen, welches das Parlament bewilligt hat, nicht von einem Tag auf den anderen so herangewachsen. Also schlagen wir nicht den Sack, wenn wir den Esel meinen.
Juliana Nufer-Gerster, e. Landrätin FDP, Laufen
"Man stelle sich die aufgeregten Reaktionen vor ..."
Man schliesse kurz die Augen und stelle sich die aufgeregten Reaktionen vor, wenn nicht eine bürgerliche Regierung und ein bürgerliches Parlament, sondern Rot-Grün oder gar eine sozialdemokratische Finanzdirektorin eine derart liederliche Finanzplanung präsentieren würde.
Roland Stark, Basel
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