© Fotos by Peter Knechtli, OnlineReports.ch
"Es herrscht Aufbruchstimmung": Erstlingstram "Flexity", Taufpaten Lagler, Wessels
Taufe und Jungfernfahrt für den neuen "Flexity" der BVB
Das neue Basler Tram kommt gut an – einige Stimmen kritisieren die "Enge" im Fahrgastraum
Von Peter Knechtli
Grosser Tag für die Basler Verkehrsbetriebe (BVB): Heute Freitag feierten sie zusammen mit Polit-Prominenz die Taufe des neuen "Flexity". Das erste Tram der neuen Generation verkehrt ab Montag auf dem Basler Schienennetz. Erster Eindruck: Es kommt gut an.
Es herrschte viel Symbolik heute Freitagmorgen im BVB-Depot am Wiesenplatz anlässlich des Festakts zum sogenannten "Rollout" des ersten Exemplars der neusten Tram-Generation, die schon bald auf dem Basler Schienennetz verkehren wird: Aus dichtem Nebel (Bild unten) erkämpfte sich das Erstlings-Tram klare Sicht, getauft wurde es auf den Namen "Basilisk". Die Kraft des Fabelwesens soll der neuen Tramflotte mit auf den Weg gegeben werden.
Teuerste Beschaffung in der BVB-Geschichte
Das Feier-Fahrzeug ist eines von insgesamt 61 vollständig mit Niederflur-Technologie ausgestatteten Trams, die die BVB beim Produzenten Bombardier in einem knapp vier Jahre dauernden Bestellungsprogramm geordert hatten. Mit 245 Millionen Franken handelt es sich um die teuerste Beschaffung in der Geschichte der BVB. 44 Fahrzeuge weisen eine Länge von 43 Metern aus, 17 Fahrzeuge der kurzen Variante eine von 35 Metern. Zwei Vorabfahrzeuge befinden sich bereits in Basel. Der "Flexity" wird auf dem gesamten Netz verkehren. Die beiden ersten Fahrzeuge zirkulieren zunächst vor allem auf den Linien 8 und 14. Ab Mai 2015 soll die Flotte sukzessive angeliefert werden – jeden Monat zwei Stück.
Ursprünglich war vorgesehen, die Trams der BVB aus Kostengründen gemeinsam mit der Partnerfirma Baselland Transport (BLT) zu beschaffen und dabei den Typ "Tango", produziert von der schweizerischen Firma Stadler Rail, zu bestellen. Doch der Verwaltungsrat unter dem damaligen Präsidium von Martin Gudenrath holte zu einer Kehrtwende aus, wandte sich von der gemeinsamen Beschaffung ab und entschied sich für den in Bautzen (D) produzierten Typ "Flexity" aus dem Hause Bombardier. Dieses Fahrzeug, so die damalige Meinung, sei den spezifischen städtischen Anforderungen – rasches Ein- und Aussteigen, Schienenradien und Bergstrecken – besser gewachsen als der "Tango".
Diese Ansicht stellte am heutigen Jubeltag niemand in Frage, auch wenn der Härtetest im Alltag noch bevorsteht. Jedenfalls hat sich die politische Eiszeit zwischen den beiden ÖV-Unternehmen inzwischen gelegt: Man ist wieder nett zueinander, ausgesprochen sogar.
BLT-Vertreter des Lobes voll
OnlineReports nutzte die Gelegenheit, erste Meinungen einzuholen, während der "Flexity" Politiker und Journalisten auf ein erstes Fährtchen durchs St. Johanns-Quartier chauffierte. Hanspeter Ryser, früherer Oberwiler SVP-Landrat und Verwaltungsrat der BVB, zeigte sich des Lobes voll: "Sehr sympathisch, räumlich durchgedacht. Ich glaube, das ist das richtige Tram für Basel." BLT-Präsident André Dosé pflichtete bei: "Ich bin froh, dass die BVB ein so modernes und schönes Tram haben. Es gefällt mir gut."
"Sehr gut", so auch die Meinung des Basler SVP-Grossrats Toni Casagrande, der schon in Marseille mit einem Tram dieses Typs unterwegs war. Nicht so gut gefallen mögen ihm die in hellem Holz gehaltenen Bänke: "Sie sind rutschig. Wenn das Tram mit Tempo in die Kurve fährt ...". Journalist Willi Erzberger gefallen die Holzsitze ("auch wegen des Putzens"), er findet sie jedoch etwas eng. "Dafür hat es an jeder Sitzreihe eine Vorrichtung, an der man sich festhalten kann."
Fahrwerke haben Auswirkungen im Innenraum
Major Bernhard Frey Jäggi, Leiter der Verkehrsabteilung der Kantonspolizei Basel-Stadt, findet das Tram "wunderbar". Das Tram sei "sehr hell, es wirkt frisch und modern". Ihm gefallen auch "die zwei Bildschirme, die sich für tolle Anzeigen eignen" und die "Holzstühle, die einen ganz guten Eindruck machen". Der "Flexity" erscheint ihm länger als der "Combino", weil es "keine Stangen hat, die die Sicht beeinträchtigen".
Einigen Passagieren fällt auf, dass einzelne Sitzgruppen erhöht sind und ungenutzte weisse Flächen aufweisen. "Dies sind die Bereiche, die über den Fahrwerken mit Rädern, Achsen und Motoren liegen", erklärt Bombardier Schweiz-Chef Stéphane Wettstein den Grund. "Bei einem 100-prozentigen Niederflur-Tram muss die Technik irgendwo versorgt werden können."
Hauptkritikpunkt ist "die Enge"
"Etwas zwiespältig" ist der Eindruck, den der Basler FDP-Grossrat Peter Bochsler äussert: "Schönes, elegantes Outfit, etwas klobiger als der 'Combino'. Aber innen kann er an gewissen Orten etwas eng sein, und ihm fehlt dort die Eleganz des 'Combino'." Ungewohnt vorsichtig in seinem Urteil ist "Basta"-Grossrat Urs Müller, der damals die parlamentarischen Untersuchungen der Konstruktionsmängel am 'Combino' geleitet hatte. Aufgrund seiner Beobachtungen sei er aber "zuversichtlich, dass wir hier ein gutes Tram bekommen werden".
"Ausdrücklich" gefällt BVB-Verwaltungsrats-Vizepräsident Paul Rüst die grüne Farbe des neuen Fahrzeugs, das imposant wirke "wie ein halber Zug". Gegenüber den Holzsitzen sei er anfänglich "etwas skeptisch" gewesen, doch nun gefalle ihm das helle, offene Intérieur. Der Basler SP-Grossrat und Fraktionspräsident Stephan Luethi hat einen "positiven Eindruck" vom neuen Tram – sowohl bezüglich Technik als auch der inneren Gestaltung, "nicht zu hell, nicht schummrig". Den Niederflurteil findet er "ansprechend".
Der frühere EVP-Grossrat Christoph Wydler hat eine differenzierte Meinung: "Das Tram enthält alle Features, die heute erwartet werden dürfen. Es sieht hübsch aus. Das Design der Sitze gefällt mir sehr." Was ihm aber "nicht unbedingt gefällt", sind die "zum Teil sehr engen Durchgänge im Bereich der Drehgestelle". Das könne "in den Stosszeiten durchaus zu bestimmten Behinderungen führen".
Wessels: "Echt hervorragend"
Der für die BVB politisch Verantwortliche Basler Regierungsrat Hans-Peter Wessels, der nach seiner Hüft-Operation in (wie es scheint) guter Form seinen ersten öffentlichen Auftritt hatte, ist vom neuen Tram angetan. "Sehr hell, sehr fahrgastfreundlich – toller Eindruck, echt hervorragend." Er sei "sehr gespannt, wie sich das Tram im alltäglichen Einsatz bewährt".
"Radio Basilisk"-Reporter Jonathan Noack hielt sich in seinem Kommentar – schon fast politisch korrekt – zurück: "Ist ganz okay, doch." Auf unsere Nachfrage hin gibt er dann noch leichte Skepsis preis: "Es holpert noch ein bisschen."
Vor der Rundfahrt äusserten sich sowohl die BVB-Verantwortlichen wie der Hersteller glücklich über die komplexe Beschaffung. BVB-Präsident Paul Blumenthal sprach von einem "zukunftsweisenden Tag und verwies auf die turbulenten Zeiten, die sein Unternehmen hinter sich hat: "Wir stehen wieder – vielleicht noch etwas wacklig, aber wir sind wieder auf den Beinen." Der Strategie-Chef äusserte auch den Wunsch nach einem "Schulterschluss" mit seinen ÖV-Partnerunternehmen – "allen voran der BLT" – und der Erschliessung des Margarethenstichs durch die BLT-Linie 17, die das Leimental mit dem Basler Bahnhof SBB und dem Roche-Campus verbindet. Besonders freut sich Blumenthal auf die Eröffnung der grenzüberschreitenden Tramlinie 8 nach Weil am Rhein und auf die Linie 3, die 2017 ins elsässische Saint-Louis fährt.
"Sicher, bequem, alltagstauglich"
Bombardier Schweiz-Chef Stéphane Wettstein verwies auf die gesetzlichen Vorgaben an die Behinderten-Gleichstellung, die bei der Tram-Produktion erfüllt werden mussten. Ein grosses Augenmerk habe die Herstellerin auch auf die "Sicherheit der Passagiere" (siehe auch Box unten), aber auch auf die Bequemlichkeit und Alltagstauglichkeit gelegt. Über die Bestellerin sagte Wettstein: "Die BVB hat den Ruf, eine anspruchsvolle Kundin zu sein. Das stimmt. Sie weiss, was sie will."
Der neue BVB-Direktor Erich Lagler, erst seit Anfang dieser Woche in der Funktion, diagnostizierte eine "Aufbruchstimmung im Personal". Das neue "Flexity"-Grün, in dessen Auswahl die Kunden miteinbezogen wurden, wird künftig auch an den "Combinos" und an der Busflotte zu sehen sein. BVB-Technikchef Marcel Kuttler schilderte den mit der Beschaffung verbundenen Papierkrieg, aus dem schliesslich ein Tram resultierte, das keine Netzanpassungen erfordert.
Wessels: Plädoyer für ÖV-Ausbau
Von einem "Nachholbedarf im grenzüberschreitenden öffentlichen Verkehr" und "sehr viel Verbesserungs-Potenzial" sprach Regierungsrat Hans-Peter Wessels. Besonders mit Seitenblick an die anwesenden Grossräte hoffte Wessels auch, dass das Projekt "Margarethenstich" in absehbarer Zeit beschlossen werden könne. Mit Bezug auf das Herzstück der Regio-S-Bahn sagte Wessels: "Wir müssen es schaffen, die Weichen so zu stellen, dass wir wirklich eine funktionsfähige trinationale S-Bahn hinbekommen – so, wie das andere Regionen uns vormachen." S-Bahnen, Trams und Busse dürften "nicht als kokurrenzierende Systeme gesehen werden. Vielmehr seien sie "eng miteinander verzahnt".
Nach den Ansprachen bekam der "Basilisk" einige Champagner-Spritzer ab, die sich schliesslich doch noch zu einer veritablen Dusche ausweiteten (Aufmacher-Bild).
Mitarbeit: Jan Amsler
7. November 2014
Weiterführende Links:
Bald Airbags für Trams?
Was hat Bombardier unternommen, um die Sicherheit bei Personen-Tramunfällen zu erhöhen? Eine Art Front-"Rechen", wie er an andern Trams zu sehen ist, weist der "Flexity" nicht auf. Bombardier-Chef Stéphane Wettstein sagte gegenüber OnlineReports, der Raum zwischen Fahrgast-Boden und Schienen sei "sehr viel geringer als bei andern Strassenbahnen".
Zusammen mit der ETH entwickelt Bombardier überdies einen Airbag aus einer Metallfolie, der ähnlich wie im Auto funktioniert und später an den Trams nachgerüstet werden kann. Zweck sei es, "den Raum zwischen der Fahrerkabine und der Strasse abzuschliessen, bis das Tram zum Stehen kommt". Der Airbag würde in einer Gefahren-Situation durch den Tramführer ausgelöst. Den Entscheid über die Montage von Airbags werde dannzumal die BVB treffen müssen, wenn die Technologie in rund zwei bis drei Jahren spruchreif sei.
"Es holpert auch im Bus"
Es holpert nicht nur beim Flexity sondern auch im Bus am neu geteerten Luzernering da vermutlich die Strasse zu früh frei gegeben wurde. Keine Meisterleistung.
Michael Przewrocki, Basel
"Schöne Trams werden für Geld verunstaltet"
Ich muss Frau Gaby Burgermeister recht geben! Wenn diese lästigen Werbeflächen an Fenstern und auch die hässlichen und abstossenden Voll-Werbetrams von der Basler Bildfläche verschwinden würden, wäre das für das Image der BVB und für das gesamte Stadtbild nur förderlich. Es kann doch nicht sein, dass ganze Tram-Kompositionen so verunstaltet werden. Dazu noch für Firmen, die sowieso nicht das beste Image haben (Syngenta). Scheinbar wird und wurde für Geld alles getan.
Ein bisschen Sinn für Schönheit und Ästhetik würde der BVB gut tun und nicht diese neuen und wirklich schönen Trams sogleich wieder für Geld verunstalten.
Paul Bachmann, Rheinfelden
"Stoppt die mit Werbung verdeckten Fenster"
"Das neue 'Flexity-Grün', in dessen Auswahl die Kunden mit einbezogen wurden, werde künftig auch an den Combinos' und an der Busflotte zu sehen sein", wird uns versprochen.
Wir nehmen die BVB beim Wort und hoffen, Werbung wie z. B. für die IWB, Syngenta, Novartis und andere, bei der ganze Kompositionen als Werbeträger in allen möglichen Farben (nur bezeichnenderweise ohne jegliches Grün), mit den Logos und den Werbesprüchen der Firmen und mit teilweise vollkommen verdeckten Fenstern herumfahren, gehört der Vergangenheit an. Sonst fühle ich mich als Kundin "versegglet". Das Grün sticht aus der Masse des Verkehrs heraus, sodass man es schon von Weitem sieht. Bei den verdeckten Fenstern der Werbe-Trams sieht man zwar gerade noch knapp von innen nach aussen, aber von aussen nach innen ist nichts mehr zu sehen. Man sieht nicht einmal, wie voll das Tram ist.
Gaby Burgermeister, Basel
"Höchstwahrscheinlich eine Retourkutsche"
Wie passt das zusammen, hohe Basler Politiker plädieren publikumswirksam für den ÖV-Ausbau, aber etliche andere BS-Politiker legen sich seit neustem quer betreffs Margarethen-Stich, obwohl beide Kantone schon eine Einigung erzielten. Höchstwahrscheinlich eine Retourkutsche zur beide Basel-Abstimmung. Wie glaubhaft sind solche Staatsvertreter noch? Für mich sind das Kindergarten-Spiele und hat nichts mit ehrlicher Politik zu tun, wenn’s das überhaupt noch gibt.
Bruno Heuberger, Oberwil
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