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"Ein ordentlicher Schub": Basler Klima-Engagierte Vergeat, Urgese
Ende 2035: Schluss mit Ölheizung im Kanton Basel-Stadt
90 Vorschläge: Die grossrätliche Spezialkommission Klimaschutz legt ihren Schlussbericht vor
Von Peter Knechtli
Ab 2035 soll im Kanton Basel-Stadt mit fossilen Heizungen Schluss sein: Die ist die Forderung mit der grössten direkten Öffentlichkeits-Wirkung, die die Spezialkommission Klimaschutz in ihrem heute Montag veröffentlichten Schlussbericht stellt. Insgesamt stehen 90 Vorschläge auf dem Wunschzettel der Kommission, darunter energetische und ökologische Massnahmen an Gebäuden und klimafreundliche Innovationen.
Hier ist ganz bewusst von einem Wunschzettel die Rede, weil man sich die konkrete politische Umsetzung von Klima-Massnahmen – ob auf globaler oder auch lokaler Ebene – nicht als Hauruck-Entscheid vorstellen muss. Vielmehr ist es ein Zusammenspiel von verschiedenen Ebenen und Gremien, Vorschlägen und Prioritäten, die im demokratischen Prozess zu einer mehrheitsfähigen Lösung zusammengefügt werden müssen. Forderungen und Terminziele entwickeln sich dynamisch – der Dringlichkeit entsprechend meist verschärfend.
Entschädigung für Hauseigentümer
So legte schon die Regierung dieses Jahr ein sogenanntes "Stadtklima-Konzept" vor, das sich nicht primär mit der Bekämpfung des Klimawandels beschäftigt, sondern mit Massnahmen zugunsten der Bevölkerung zur Milderung der Sommer-Hitze im städtischen Raum. Was die Spezialkommission unter dem Vorsitz der Grünen Jo Vergeat jetzt in 13 Vorstössen, 19 Forderungen und 58 Empfehlungen vorlegt, geht nun erstmals in Richtung eines verbindlichen Handlungsanspruchs gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern des Kantons.
Die hervorstechendste Forderung ist die am ehesten erwartete und wohl auch eine der effizientesten: der Ersatz aller fossil betriebener Heizungen (Öl und Gas) bis 2035. Schon heute können solche Anlagen nur noch mit einer Ausnahmebewilligung installiert werden. Um den Hausbesitzern (und letztlich auch den Mietenden) den Paradigmawechsel erträglich zu machen, wird eine Restwert-Entschädigung für Heizungen vorgesehen, die noch nicht am Ende ihres Betriebs-Zyklusses angekommen sind.
Viele Firmen noch beratungsresistent
Weiter in die Pflicht genommen werden soll der Kanton mit all seinen Verwaltungen und Betrieben wie Immobilien Basel-Stadt, BVB, IWB, Pensionskasse und Spitäler. Bei Immobilien-Investitionen soll er mit einem Netto-Null-Konzept eine "Vorbildrolle" einnehmen, wenn es um energetische Sanierungen, Abbruchvermeidung, graue Energie, nachhaltige Baustoffe oder Kreislaufwirtschaft geht.
Ebenfalls in den Bereich der sanften Forderungen gehört der Ausbau der Energieberatung für Unternehmen. Was etwas erstaunt, hat einen realen Hintergrund, wie die Kommission festgestellt hat: Zu viele Unternehmen beteiligen sich noch nicht an Energieberatungen, "obwohl sich dabei häufig mit wenig Aufwand eine relativ starke Effizienzsteigerung erzielen liesse", wie die Kommission schreibt.
Wenig schmerzhafte Forderungen
Eine weitere, in der Umsetzung nicht schmerzhafte Forderung ist die "Projektklausel für mehr klimafreundliche Innovation". Dieser etwas umständlich formulierte Ansatz soll ermöglichen, dass neue Lösungen im Bereich des Klimaschutzes nicht nur erarbeitet, sondern auch in der Praxis erprobt werden. Beispiele: Hellerer Asphalt, Solarfassaden oder intelligente Strassenbeleuchtungen. Der Kanton soll sich damit als "Sparring-Partner für noch nicht vollends etablierte Technologien" anbieten.
Den von 34 Experten begleiteten Schlussbericht präsentierten heute Präsidentin Jo Vergeat (Grüne) und Vizepräsident Luca Urgese (FDP) in Anwesentheit ihrer Kommission nicht zufällig im sinnigen Sektor "Willkommen im Anthropozän" des Naturhistorischen Museums.
Nachdem, sensibilisiert durch Demos der Klima-Jugend, der Grosse Rat im Februar 2019 den "Klimanotstand ausgerufen" und im November jenes Jahres als Folge des Anzugs von Jürg Stöcklin (Grüne) die Klimakommission ins Leben gerufen hatte, will dieses Gremium mit seinem 136-seitigen Bericht nun auch Geschichte schreiben und den konzeptionellen Grundstein für einen fundamental geänderten Gesellschaftsbetrieb zugunsten eines entschleunigten Klimawandels legen.
"Ambitiös, realistisch und konkret"
Die Umsetzung des Berichts im Grossen Rat, dem er noch im Dezember zur Kenntnisnahme vorgelegt wird, und durch die Regierung soll "der Klima-Lobby ordentlich Schub geben", sagte Vergeat und sprach gleichzeitig von einer "grossen Mammutaufgabe". Ein dreieinhalbminütiges
Erklär-Video veranschaulicht, wozu sich die Kommission aus sieben Fraktionen in den letzten 20 Monaten in 37 Sitzungen durchgerungen hat.
Laut Vizepräsident Urgese sei das Ziel gewesen, mit "ambitiösen, realistischen und konkreten Forderungen" einen "möglichst breiten Konsens" zu erzielen. Er erwarte, dass die Regierung die Vorstösse entgegennehme und der Katalog im Parlament auf eine klare Mehrheit stosse, so Urgese. Aber die "Bevölkerung muss auch mitmachen".
Davon dürfte auszugehen sein: Die 13-köpfige Kommission hatte den Schlussreport mit elf zu zwei Simmen verabschiedet. Die Vertetenden aller Fraktionen hatten zugestimmt ausser jene beiden der SVP. Als Grund für die Ablehnung durch seine Partei nannte Grossrat David Trachsel gegenüber OnlineReports das Verbot von Öl- und Gasheizungen, die Finanzmarkt-Regulierungen, die "Nudging"-Strategie (offizielles Verhaltens-Anstupsen) und damit die "Manipulation der Bevölkerung") oder die Entwicklung von Verkehrsvermeidungs-Massnahmen durch die Regierung – während Aktivisten des "Klimastreiks Basels" vor dem Museum mit einer klickenden Carbon-Uhr (Bild) Präsenz markierten.
Wenig Konkretes zum Luftverkehr
Die zahlreichen Kommissions-Vorschläge, Anregungen und Ideen beschränken sich auf den kantonalen Handlungs-Spielraum. So kommt der Flugverkehr als einer der weltweit grössten CO2-Emittenten nur am Rande vor. Es heisst beispielsweise bloss, die Regierung soll im Rahmen ihrer Möglichkeiten darauf hinwirken, "dass es sich für Flugunternehmen lohnt, umweltfreundlich(er) betriebene Flugzeuge einzusetzen". Umfangreich sind dagegen die Erläuterungen von Experten und mögliche Lösungsansätze ("Mobilitätskonzepte ohne Flugverkehr").
Konkret behandelt werden aber etwa das Konsumverhalten, sowohl was die Ernährung wie auch den Umgang mit Energie betrifft. Als Ziel nennt der Bericht die Stärkung einer regionalen Lebensmittelversorgung und Wertschöpfung, die Förderung einer vielfältigen, gesunden, fairen und umweltverträglichen Verpflegung, sowie die Vermeidung von Lebensmittelabfällen.
Alle mussten Kröten schlucken
Der Schlussbericht ist ein breit getragenes Kompromiss-Konstrukt. Die Linke Tonja Zürcher hätte beispielsweise "verbindlichere Formulierungen im Finanzsektor" gehabt. Für den freisinnigen Luca Urgese war das vorgezogene Ende der Ölheizungen und die "recht weit gehenden Konzessionen" im Bereich der Areal-Entwicklungen die grössten Kröten, die er schlucken musste.
Nach der Behandlung des Berichts im Grossen Rat wird die Kommission im wahrscheinlichen Falle einer Zustimmung formell aufgelöst. Für die Regierung allerdings beginnt die Arbeit erst recht.
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15. November 2021
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