Zweidimensional, geruch- und geschmacklos
Wie das wieder gfäggt het, am "Em Bebbi si Jazz", vulgo "Bebbijazz", unglaublich guter Sound, Funk & Soul in diesem Jahr, da geht die Kolumnistin doch ab wie ein Schnitzel.
Kann nicht still stehen, egal, wer was darüber denkt. Freude und Genuss pur. Jedenfalls war das bis vor kurzem so, das mit dem Abgehen.
Denn zunehmend leuchten links und rechts und vor und vermutlich auch hinter mir bläuliche Rechtecke auf. Da sind Heerscharen damit beschäftigt sind, ihr Handy über die Köpfe der andern zu halten um ein Videöchen zu drehen, krampfhaft bemüht, das ganze Stück hindurch den richtigen Ausschnitt zu treffen und ja nichts zu verwackeln. Sie finden die Musik wohl gut, würden ja nicht filmen sonst, aber sieht so geniessen aus? Was haben die vom Konzert? Wieso tun die das?
Schauen die das dann zu Hause an und rocken im stillen Kämmerlein ab? Oder geht es nur ums Posten im weltweiten Netz, zum Beweis, dass sie irgendwo waren und saumässig den Plausch hatten? Hatten sie ja gar nicht, waren viel zu sehr mit der Technik beschäftigt. Es ist eine Zumutung, diese Filmerei, und ein absoluter Stimmungskiller dazu, all die Handys in der Höhe rundum, denn wer will schon zufällig gefilmt werden in diesem doch intimen Moment des Geniessens.
"Die Handy-Community filmt hemmungslos
und stellt ins Netz auf Teufel komm raus."
Szenenwechsel. Prügeleien, Feuer, Katastrophen, Unfälle. Und sie halten ihre Handys hin, wie die Paparazzi. Spielen Leserreporter, die Gratiszeitung freut's, kriegt Gratisreportagen dank dem unersättlichen Bedürfnis mancher Nullen, doch auch noch irgendwie irgendwer zu sein. Auf Kosten anderer, der Gefilmten, denen, gerade bei Unfällen, geholfen werden müsste, und die eine Intimsphäre hätten, eigentlich. Die anonyme Handy-Community ist gnadenlos, filmt hemmungslos und stellt ins Netz auf Teufel komm raus.
Und sie schnallen die Dinger an die Spiegel im Auto und filmen die andern Verkehrsteilnehmer, an den Skihelm, an Lenker von Töff und Fahrrad, und filmen und filmen, könnte ja mal der grosse Wurf passieren, ein Verbrechen geklärt werden dank der Dashcam vom Fritzli Hugentobler, und der Fritzli wäre dann international auf allen Frontseiten, mit Mikrophonwald vor der Nase. Von oben mit Drohnen, von unten mittels Verlängerungsstöcken, an alles binden sie ihre Mini-Spionier-Kameras. Es scheint nichts reizvoller zu sein, als Szenen von nicht zu überbietender Banalität zu drehen – auf Kosten anderer.
Voyeurismus ist salonfähig geworden und nicht nur das: alltäglich, verbreitet, bald jeder glotzt jeden an, jeder jedem überall rein. Nicht direkt, sondern mit dem Handy, der Dashcam, der Drohne oder einer andern winzigen mobilen Kamera. Das glasige Auge ist überall. Das menschliche auf dem Screen, unbeweglich stierend, Stöpsel in oder Kopfhörer auf den Ohren, die Umgebung nicht mehr hörend, spürend, wahrnehmend. Sondern konsumierend. Das Leben als Konserve.
Dumpf ist das. Kopfkino statt Leben, zweidimensional statt dreidimensional, geruchlos und geschmacklos, letzteres in mehrerlei Hinsicht. Verpassen das Leben, vergessen zu leben, diese Konserven-Esser.
Mir droht übrigens demnächst eine Klage wegen Sachbeschädigung. Schon alleine der Gedanke daran macht Spass. Mit menschlichem Auge liege ich nämlich auf der Lauer, als harmlose Sonnenanbeterin getarnt, und wenn sie wieder heransirrt, die Drohne, wird sie mich dabei filmen können, wie ich anlege, ziele und abdrücke. Und das entsetzte Herrchen wird fassungslos den Chip aus dem kaputten Wrack klauben und zur Polizei gehen.
Denen werde ich was erzählen. Das wird ein erstklassiges Drama, ungefilmt und nicht auf You Tube. Fun Faktor: unbezahlbar.
10. September 2018
"Waffentragschein für Anti-Drohnen-Flab"
Andrea Strahm trifft einmal mehr voll ins Schwarze. "Musche" sagten wir im Dienst. Abhilfe gegen Filmchen-Terror? Zu Hause kann ich immerhin die Vorhänge ziehen. Aber irgendwo unterwegs oder auf der Terrasse? Und zweifellos werden bald auch Drohnen/Handys mit Nachtsicht- oder Wärmebildkameras angeboten, welch letztere durch Vorhänge sehen! Wie nun seinem Recht auf Privatsphäre Nachachtung verschaffen? Ich fürchte, ich würde keinen Waffentragschein für Anti-Drohnen-Flab bekommen. Alternative wäre eine Fliegenklatsche, doch die ist meist zu kurz. Aber vielleicht hilft ein Selfistick zur Verlängerung des Wirkungsradius der Fliegenklatsche?
Rebecca Burkhardt, Basel