© Fotos by Peter Knechtli / Christof Wamister, OnlineReports.ch
"Gerempel und Gedränge": Eingangsbereich des Basler Bahnhofs SBB
Sehr viele Planungsköche in der Basler Bahnhofsküche
Der Bahnhof SBB funktioniert technisch – aber Kundenfreundlichkeit sieht anders aus
Von Christof Wamister
Der Dichte-Stress im Basler Bahnhof SBB wird immer grösser: Es fehlt an modernen und ausreichenden Nord-Süd-Durchgängen. Die Margarethenbrücke und die Peter-Merian-Brücke sind erneuerungsbedürftig, und wenn das Meret-Oppenheim-Hochhaus am Süd-Ende des Bahnhofs fertig gebaut ist, wird das Gedränge auf der Passerelle noch ärger.
Vielleicht überschätzen die Basler und Baslerinnen die Grösse und Bedeutung ihres Bahnhofs SBB. Gemessen an den täglichen Passagierzahlen kommt er im schweizerischen Vergleich erst an dritter Stelle. An erster Stelle steht Zürich mit täglich über 400'000 Passagieren, vor Bern mit über 200'000 und dann erst Basel (etwas über 100'000), dicht gefolgt von Winterthur und Lausanne, die ja aus Basler Sicht als eher provinziell gelten.
In einem langen Planungs-, Projektierungs- und Bauprozess (Masterplan, 1987-2003) wurde der mit seinen wesentlichen Elementen seit 1988 unter Denkmalschutz stehende Bahnhof grundlegend erneuert: Autoparking, Veloparking, Einführung der Vorortslinien, neuer Centralbahnplatz, Passerelle mit oberirdischem Zugang zu den Geleisen anstelle der Unterführung.
Gerempel und Gedränge
Allgemein wurde die Abkehr vom düsteren unterirdischen Perronzugang gelobt, doch bald wurden wieder Klagen laut: Über die von links und rechts auf den Centralbahnplatz einfahrenden Trams, welche die Fussgänger verunsichern, über die ungenügenden Standplätze für die Taxifahrer, über das Gedränge am Bahnhofs-Eingang, auf der Passerelle und selbst auf den Perrons. Diese Überlastung entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem Hauptthema der Bahnhofkritiker. "Die Prognosen für die Benützerzahlen wurden wohl zu tief angesetzt," sagt rückblickend Benno Jurt vom Amt für Mobilität im Basler Bau- und Verkehrsdepartement (BVD).
Dass sich die Bahnpassagiere in den Stoss-Zeiten (nomen est omen) immer wieder anrempeln, könnte in der Zukunft laut Jurt auch eisenbahnbetriebliche Probleme bringen: Wenn das Gedränge zu gross wird, droht die Gefahr, dass die Passagiere ihre Anschlusszüge nicht mehr rechtzeitig erreichen.
Das Gewicht der SBB als Landbesitzer
Für dieses Problem zuständig sind die SBB. Die Aufgabenteilung rund um den Bahnhof ist eigentlich klar. Schienen und Perrons gelten als Bahnareal, es herrscht das Eisenbahngesetz und der Kanton hat nichts zu sagen. Den SBB gehört aber auch Areal ausserhalb der Geleise, zum Beispiel im Gundeldinger Quartier, wo Bauten mit kommerzieller Nutzung errichtet wurden oder mit dem Projekt des Meret-Oppenheim-Hochhauses in Vorbereitung sind.
Für dieses Areal waren ein Bebauungsplan und eine Baugenehmigung des Kantons notwendig, denn sie haben direkte Auswirkungen auf Städtebau und Verkehr.
Das belegt das Beispiel der Meret-Oppenheim-Strasse, die verlegt wurde, um Platz zu schaffen für den Bauplatz des Hochhauses. Seit dem 27. November rollt der Verkehr auf der provisorischen Strasse. Absender des Communiqués, mit dem das neue Verkehrsregime im Quartier erklärt wird, sind allein die SBB. Das zeigt, wie dominant das Bahnunternehmen für den Bereich Bahnhofausgang Gundeldingen/Südpark/Meret Oppenheim Platz ist. Das gefällt nicht allen.
Somit stellt sich die Frage, ob das Zusammenspiel zwischen SBB und Kanton funktioniert, wie dies beim ersten Masterplan der Fall war, und ob der Kanton genügend Einfluss nimmt? Nein, meint CVP-Grossrat Oswald Inglin, der sich mit seiner Kritik beim Baudepartement nicht unbedingt Freunde geschaffen hat.
"Es besteht ein etablierter, regelmässiger Austausch", fasst Sprecherin Jasmin Fürstenberger die Position des Bau- und Verkehrsdepartementes zusammen. Departementsvorsteher Hans-Peter Wessels und seine Baselbieter Amtskollegin Sabine Pegoraro tauschten sich mindestens einmal pro Jahr mit SBB-Generaldirektor Andreas Meyer aus. Er stammt aus Birsfelden und kennt eigentlich die örtlichen Gegebenheiten.
Verschiedene Interessen innerhalb den SBB
Ein Problem sieht Inglin auch darin, dass es bei den SBB eine Abteilung "Immobilien" gibt, die aus den SBB-Grundstücken eine möglichst hohe Rendite herausholen will, und eine Abteilung "Infrastruktur", die für die bahnbezogenen Bauten und Anlagen zuständig ist. Die beiden Abteilungen haben nicht dieselben Interessen und sie sprechen möglicherweise zu wenig miteinander, vermutet Inglin. Ein Nachteil sei auch, dass der Bahnhof Basel vom SBB-Sitz in Olten aus dirigiert werde, und dass es im Unterschied zu früher keine kompetente Ansprechperson für die Basler Bahnhofbelange mehr gebe.
Inglins Hauptanliegen ist eine bessere Anbindung des Gundeldinger-Quartiers über oder unter den Geleisen an die Basler Innerstadt. Seine "Neue Gruppe Bahnhof" propagierte an einer Medienkonferenz eigene Vorschläge für eine Personenunterführung West, die aber in grösserem Zusammenhang gesehen werden muss.
Brücken zu niedrig und zu eng
Engpässe gibt es nicht nur in der Mitte des Bahnhofs, sondern an seinen Ost- und Westseiten und damit auch bei den Verbindungen in die südlichen Quartiere und die Vorortsgemeinden des Leimentals. Flankiert wird das Bahnhofsareal von zwei die Geleise überspannenden Brücken, deren Erneuerung fällig wird.
Die Peter-Merian-Brücke entspricht in ihrer Höhe nicht mehr den heutigen SBB-Normen, aber ihr Neubau wurde zurückgestellt, weil nach Testplanungen ein Grundsatzentscheid für die Westseite gefallen ist.
Die dortige Margarethenbrücke (Bild) mit ihrer Tramhaltestelle ist ein Ärgernis für alle und soll wesentlich breiter neu gebaut werden. Die beidseitigen Haltestellen für die Tramlinien 2 und16 werden zwar auf der Brücke bleiben, erklärt Benno Jurt, aber sie sollen den Verkehr nicht mehr so behindern, wie dies heute der Fall ist. Künftig wird zusätzlich auch die Linie 10/17 über diese Brücke verkehren, wenn der Margarethenstich als direkte Verbindung zum Leimental realisiert wird.
Tramhaltestellen kommen an den Rand
Veränderungen sind auch für den Bereich Viaduktstrasse / Centralbahnstrasse vor der Markthalle zu erwarten. Die Tramhaltestellen der Linien 1, 2, 8 in der Mitte der Strasse sind in den Augen der Verkehrsplaner nicht zukunftstauglich und sollen an die Strassenseiten verlegt werden, so dass die Fahrgäste nicht zuerst mehrere Autospuren überqueren müssen, um zum Tram zu gelangen. Bleibt zu hoffen, dass bei diesen Kap-Haltestellen mit ihren hohen Trottoirkanten eine Lösung für die Velofahrer gefunden wird.
Laut den Vorstellungen von SBB und Kanton wird die neue Personenunterführung West mit Gleiszugang und mit einem Eingang auf dem Meret-Oppenheim zwischen dem Elsässer Bahnhof und dem gläsernen Neubau Elsässertor an die Oberfläche treten. Ein Vorprojekt soll gemäss Bericht der "BZ Basel" im kommenden Jahr präsentiert werden. Baubeginn und Kosten sind aber völlig unklar.
Bisher unattraktiver Ort
Die Basler Planer brauchen noch etwas Zeit. Martin Sandtner, Chef des Planungsamtes, und Benno Jurt räumen ein, dass dieser Ort bis jetzt nicht attraktiv ist. Insbesondere sei zu vermeiden, dass die Passanten und Fahrgäste von hier aus wieder den Centralbahnplatz aufsuchen. Ihnen schwebt vielmehr eine attraktive Fussgänger-Verbindung auf der Rückseite der Markthalle hinunter zur Heuwaage und zur City vor.
Dem steht allerdings ein grosses Hindernis entgegen: Eine vierspurige Zubringerstrasse zum Bereich Heuwaageviadukt / Nauenstrasse, welche diesen westlichen Eingangsbereich zum Bahnhof für Fussgänger völlig unattraktiv macht. Wie eine Umgestaltung aussehen wird, ist noch völlig offen. Vielleicht hilft der Umstand, dass die Elisabethenstrasse in Richtung Bankenplatz für den Autoverkehr gesperrt wird, so dass Spurreduktionen bei der Markhalle möglich werden.
Das Postgebäude blockiert alles
Auf der Bahnhof-Ostseite besteht mit der Peter-Merian-Brücke und dem Postreitergebäude ein nicht minder unattraktiver, wenn auch wesentlich engerer Knoten als auf der Westseite. Die Brücke mündet hier in die heikle Verzweigung Hochstrasse/Solothurnerstrasse. Um die Gundeli-Umfahrung Meret-Oppenheimstrasse zu erreichen, muss der Verkehrsteilnehmer eine weitere Kurve absolvieren.
Das rostfarbene Postreitergebäude aus den frühen siebziger Jahren steht wie ein Riegel über den Bahngeleisen, weist schwere Betonschäden auf (Bild) und ist nach Auskunft von Post-Mediensprecher Oliver Flüeler zu dreissig Prozent ungenutzt. Es stehe zum grossen Teil leer, heisst es dazu im Basler Baudepartement. Die Post visiert deshalb eine neue Nutzung an. Es werde aber noch 10 bis 15 Jahre dauern, bis ein Umbau oder eine Sanierung realisiert werde.
Flüeler verweist für ein Vorbild auf den „Postparc“ beim Bahnhof Bern, wo der Umbau der alten Paketpost direkt beim Bahnhof eben fertig gestellt wurde. In der Bundeshauptstadt scheint man schneller und weiter zu sein. Vorbildlich ist dort auch der zweite Perronzugang, die berühmte "Welle", welche unmittelbar an den „Postparc“ anschliesst.
Grossprojekt an der Hochstrasse
In Basel wurde zum Thema Ostseite eine Testplanung eingeleitet, die mittlerweile aber sistiert ist. Ausgangspunkt war das Baugesuch einer Zürcher Immobilien-Anlagestiftung, das Ende Dezember 2015 zum zweiten Mal aufgelegt wurde. 2009 hatten die SBB wegen den Auswirkungen auf ihre zukünftige Planung dagegen Einsprache erhoben. Die Häuserreihe an der Hochstrasse zwischen Solothurnerstrasse und Pfeffingerstrasse soll abgebrochen und durch eine Neuüberbauung ersetzt werden.
Drei der renommiertesten Basler Architekturbüros (Herzog & de Meuron, Buchner Bründler, Morger Dettli) haben Vorschläge für eine Aufwertung der Situation bei der Peter-Merian-Brücke erarbeitet. Die Varianten reichen von einem Totalabbruch des Postgebäudes bis zu einem Umbau in Kombination mit neuen Hochhausakzenten am Ostportal des Bahnhofs.
Ausgang ohne City-Anbindung
Der Vorschlag vom Herzog & de Meuron für eine unterirdische Passage anstelle des Postgebäudes wirkt auf den ersten Blick überzeugend, doch es stellt sich dasselbe Problem wie bei der Unterführung West. Sie würde den Passanten an einen unattraktiven Ort (Nauenstrasse) führen, dem eine Anbindung an die City fehlt. Zwei der drei Vorschläge gehen vom Konzept aus, die Peter-Merianstrasse parallel zu den Geleisen – zwei weitere sind geplant, aber noch nicht beschlossen – direkt in die Meret-Oppenheim-Strasse zu führen. Auch das wirkt auf den ersten Blick logisch, doch stellt sich die Frage der Fussgängerführung. Bis jetzt findet sich dort der ziemlich schäbige, aber nicht unwichtige Bahnhofausgang und Geleisezugang Solothurnerstrasse.
Fazit: Der Bahnhof funktioniert, aber niemand ist zufrieden. Betriebliche, kommerzielle, verkehrsmässige und städtebauliche Aspekte haben sich zu einem Planungsknäuel verwirrt, das nun stückweise aufgerollt werden muss. Damit aus dem stolzen Grenzbahnhof nicht ein Provinzbahnhof wird, an dem nur noch permanent herumgebastelt wird.
Dieser Beitrag war dank des OnlineReports-Recherchierfonds möglich.
12. Januar 2016
Weiterführende Links:
"Herzstück" – zu grosse Ewartungen?
Der grösste Brocken steht am Rande des Planungshorizonts: Das "Herzstück", eine Durchmesserlinie unter der Stadt und dem Rhein für die Regio-S-Bahn. Unter dem Bahnhof SBB würde ein Tiefbahnhof nach Zürcher Vorbild gebaut. Die Personenunterführung West muss also mit einem Projekt kompatibel sein, das noch gar nicht existiert.
Das "Herzstück" ist aber nicht ein Kind der SBB, sondern der Nordwestschweizer Kantone. Der Kredit für ein Vorprojekt im Umfang von 30 Millionen Franken wurde bereits gesprochen und ein Referendum dagegen kam trotz profilierter Gegnerschaft nicht zustande. Die Regierungen beider Basel stehen voll dahinter und beurteilen die Finanzierungs- und Realisierungschancen positiv.
Das Vorhaben ist beim Bundesamt für Verkehr in Bern angemeldet. Für 2018 ist die Botschaft des Bundesrates zum Ausbauschritt 2030 im Rahmen des Strategischen Entwicklungsprogramms Bahninfrastruktur (STEP) zu erwarten, 2019 soll sie im Parlament behandelt werden. Die Regierungen beider Basel sind zuversichtlich, dass sich Bundesrat und Parlament von der Bedeutung des Projektes überzeugen lassen.
Ein Blick in die Dokumentation Planungsgrundlagen von STEP 2030 stimmt da etwas skeptischer. Der Hauptakzent liegt auf dem Ausbau des Ost-West-Korridors (Genf-St. Gallen), aber auch auf "dringlichen Engpässen im Agglomerations- und Regionalverkehr". Es wurden Planungsregionen gebildet (die Nordwestschweiz reicht vom Jura bis zur Aaremündung) und die vorgeschlagen Projekte werden in Modulen zusammengefasst, bei denen die gesamtschweizerische Wirkung erstrangig ist.
Sodann werden diese Module als von erster oder zweiter Dringlichkeit eingestuft. "Die Summe der Investitionsausgaben aller Module der ersten Dringlichkeit wird das verfügbare Finanzvolumen überschreiten", heisst es in dem Planungsbericht. Es beträgt für den Ausbauschritt 2030 rund 7 Milliarden Franken. Die Kosten alleine des "Herzstücks" werden auf 1,5 Milliarden Franken geschätzt.
Gemäss dem Bericht sind beim Verkehrsstandort Basel der Fernverkehr und der Güter-Fernverkehr von nationaler Bedeutung. Die beiden Basel haben somit die nicht ganz einfache Aufgabe, den Bund von der ersten Dringlichkeit der grenzüberschreitenden Regio-S-Bahn zu überzeugen. Im besten Fall tritt ein im Bericht ebenfalls formuliertes Szenario ein: Die Planungsregionen übernehmen einen tüchtigen Anteil der ungedeckten Kosten.
"Fussgänger-Chaos auf der ganzen Linie"
Zu viele Köche verderben den Brei! Dies gilt für die jahrelangen Flickarbeiten, welche auf dem Bahnhofplatz, siehe Tram/Bus-Haltestellen, bestehen. Es herrscht ein totales Fussgänger-Chaos auf der ganzen Linie. Die Herausforderung für ein Durchkommen auf der sogenannten Passerelle mit Fluchtweg via Gundeli scheitert auch hier kläglich. Organisiertes Tohuwabohu im wie um den Bahnhof Basel.
In Zürich wie Bern herrscht täglich reger Verkehr, doch in beiden Städten haben kluge Köpfe die Probleme gelöst, so dass Mann wie Frau über freie Räume für ein Durchkommen in alle Richtungen problem- wie stressfrei ans Ziel kommen.
SRF schafft nun hinter dem Bahnhofplatz Ausgang Gundeli zusätzlich Raum für viele Arbeitsplätze, was heisst, dass unsere Städtebauer nochmals gefordert sind, eine neue gute Lösung zu finden, dieser Visitenkarte Bahnhof ein Ende zu setzen. Basel hat genügend Architekten, welche die Situation schon längstens erkannt haben und Lösungen finden werden, bevor Basel-Stadt zur Provinz wird mit Umfahrungs-Strassen und Bahnhöfen, "ännet der Gränze!"
Yvonne Rueff-Bloch, Basel
"Nicht ganz richtig"
Eigentlich besitzt Basel drei Hauptbahnhöfe: den Bahnhof SBB, den Bahnhof SNCF und den Badischen Bahnhof. Somit ist es nicht ganz richtig, wenn man den Bahnhof SBB isoliert betrachtet und so mit den Hauptbahnhöfen von Bern und Zürich vergleicht. Auch das "Herzstück" kann man nicht isoliert betrachten.
Jean-Marie Kiefer, Basel
"Kleine Massnahme würde genügen"
Um den Dichtestress im Bahnhof-Innern schnell und doch auch wirksam zu beheben, würde eine kleine Massnahme wie im Bahnhof Bern bereits realisiert, genügen: Ein Rauchverbot im Bahnhofareal. Denn kürzlich wurde ich wieder von einem Glimmstengel gestreift, als ich die Treppe hochstieg.
Ruedi Eggimann, Ramlinsburg