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"Sie lernen, wie man ökologisch fährt": SBB-Nachhaltigkeits-Chefin Amacker
Eine Baselbieter Pharmazeutin verordnet den SBB grüne Politik
Kathrin Amacker ist in der SBB-Konzernleitung für die Umsetzung der Nachhaltigkeits-Strategie zuständig
Von Peter Knechtli
Die SBB stehen seit Jahren in der öffentlichen Kritik. Doch was weniger bekannt ist: Als einer der grössten Stromverbraucher des Landes setzt der staatliche Bahnkonzern eines der stärksten Energiespar- und Klimaschutzprogramme um. Dafür in der Konzernleitung zuständig ist die frühere Baselbieter CVP-Nationalrätin Kathrin Amacker.
Sie ist die einzige Frau an der SBB-Unternehmensspitze, aber sie verantwortet einen Bereich, der gesellschaftliche Zukunftswirkung hat wie kaum ein anderer. Die promovierte Pharmazeutin (57), in der Region auch als Präsidentin der Regio Basiliensis bekannt, verschreibt dem Bahnbetrieb Rezepte, wie er stromsparender, klimafreundlicher und ganz generell grüner in die Zukunft zu fahren hat.
Kaum ein anderes Unternehmen in der Schweiz benötigt so viel Elektrizität wie die SBB: Der Gesamtverbrauch von 2'600 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr. Dies entspricht dem Viereinhalbfachen dessen, was der Baselbieter Energieversorger Elektra Baselland in seinem Verteilgebiet absetzt.
20 Fachleute für Nachhaltigkeit
Bei einem solchen Mammutverbrauch schenkt jede eingesparte Gigawattstunde klima- wie finanzpolitisch ein. Nicht weniger als 20 Fachleute beschäftigen sich innerhalb der SBB mit Nachhaltigkeit.
Als der Zürcher Wirtschaftsführer Alfred Escher die Gotthardbahn gründete, ging es ihm darum, durch Elektrifizierung über Wasserkraft von ausländischer Kohle autark zu werden. "Nachhaltigkeit" war damals ein Begriff, der nicht existierte.
Heute, im Zeitalter der Massenmobilität, haben sich die Verhältnisse im Bahnverkehr extrem verändert. Energiesparen und die Umstellung auf erneuerbare Energien beschäftigen die SBB schon lange. Nachhaltigkeit ist seit zehn Jahren offizielles Konzernziel.
Atomkraft soll ersetzt werden
Bis Ende 2015 senkten sie ihre jährlichen CO2-Emissionen gegenüber 1990 um 37 Prozent auf 132'575 Tonnen. Und die Sparbemühungen halten an. "Bis 2025 wollen wir gegenüber 1990 eine Halbierung dieser Emissionen erreichen", sagt Kathrin Amacker im Gespräch mit OnlineReports. Im Strombereich streben die SBB zwischen 2010 und 2025 eine Reduktion von 600 GWh an, was dem Stromverbrauch von 150'000 Haushaltungen entspricht.
Schon heute fahren die Züge der SBB mit einem Energieanteil von 90 Prozent aus Wasserkraft, die mehrheitlich aus eigenen Kraftwerken oder Kraftwerken mit Minderheitsbeteiligungen stammt. Bis 2025 sollen die verbleibenden zehn Prozent Atomenergie ersetzt und der Bahnstrom zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie bestehen.
Das steht im Einklang mit der "Energiestrategie 2050" des Bundes, der seine Betriebe "zu Musterknaben machen" will. Amacker: "Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten."
Versorgungssicherheit wichtigstes Kriterium
Das wichtigste Kriterium bei der Beschaffung Strom aus erneuerbarer Energie ist die Versorgungssicherheit: Es soll sichergestellt werden, dass Bahnstrom jederzeit verfügbar ist, so dass es zu keinen Zugsausfällen wegen Stromlücken kommt.
"Ja, man war bisher etwas verschwenderisch", räumt Kathrin Amacker selbstkritisch ein. Dabei hat die weltweite Klimaschutz-Bewegung durchaus auch eine unterstützende Funktion: " Wir nehmen dadurch wahr, dass das Umweltbewusstsein in der Gesellschaft und insbesondere bei den jungen Menschen steigt, meinte Kathrin Amacker und fügt an: "Wir freuen uns natürlich, wenn sich die Jugend vermehrt für klimafreundliche Mobilität interessiert und die Bahnangebote mehr nutzt."
"Grüne Welle" für Lokführer
Aber das bisherige Verhalten soll jetzt ändern. Die Steigerung der Energie-Effizienz erfolgt in allen Bereichen des Unternehmens. Ein "grosser Hebel" (Amacker) betrifft das Fahrverhalten der Lokomotivführer durch digital gesteuerte "adaptive Lenkung". Sie lernen in Kursen, "wie man ökologisch fährt", und erhalten Empfehlungen, wie schnell sie fahren müssen, damit sie von der "grünen Signal-Welle" profitieren können. Vor allem bei schweren Güterzügen hat der Verzicht auf den Stop-and-go-Fahrstil einen stark stromsparenden Effekt.
Elektrizität eingespart wird auch, indem im Winter die Beheizung der Personenzüge erst relativ kurz vor Betriebsaufnahme programmgesteuert in den wärmenden Schlummermodus gesetzt wird.
In kalten Zeiten sorgt die Digitalisierung in Abstimmung mit Wetterstationen für eine gezieltere Einschaltdauer der Weichenheizungen, die dadurch jährlich rund 120 Stunden kürzer in Betrieb sind. Bis 2030 wird allein dadurch mit einer jährlichen Einsparung von 9,3 GWh und einer CO2-Reduktion von 1'600 Tonnen gerechnet.
Neue Hybrid-Rangierlokomotiven
Ein Beispiel aus der Region: Im Jahr 2018 setzten die SBB im Rangierbetrieb der Basler Rheinhäfen erstmals Hybrid-Lokomotiven des Typs H3 ein. Sie verbrauchen bis zu 50 Prozent weniger Traktionsdiesel und haben damit "einen signifikant geringeren Stickstoffdioxid-Ausstoss als herkömmliche Lokomotiven". Zudem fahren sie im Batteriebetrieb ruhiger, was in der Nacht störende Immissionen reduziert.
Die SBB streben zudem einen Verzicht auf fossile Energieträger zur Gebäudebeheizung an. Wenn immer technisch und wirtschaftlich möglich, werden im Rahmen von Sanierungen und Neubauten beispielsweise auf Holz-Pellets eingesetzt werden.
SBB betreiben Artenschutz
Eine wachsende Bedeutung im Rahmen der Biodiversitäts-Strategie erhält der Naturschutz. Denn die 3'000 Kilometer Bahnböschungen sollen als "Reservoir für seltene Arten" geschützt werden. Beim geplanten, aber noch immer umstrittenen Bau des "Gateway Basel Nord", bei dem Naturschutzgebiete überbaut werden, sollen an Ersatzstandorten Brachen gesichert und Schlangenburgen errichtet werden.
In Lugano wurde bei einer Bahndamm-Stabilisierung auf die seltenen Eisvögel und Wassernattern besonders Rücksicht genommen werden. In St. Ursanne arbeiten die SBB zusammen mit dem Kanton Jura am Projekt einer Trockenwiese zum Schutz der Schuppenhaarigen Kegelbiene und weiterer seltenen Arten.
Firmeneigene Umweltexperten setzten zusammen mit Fachleuten der ETH Drohnen ein, um entlang von Bahnlinien beispielsweise Neophyten zu erkennen.
Unerwartete Gleitlawinen
Eine grosse Bedeutung kommt der Pflege der 900 Hektaren Schutzwald zu. Durch klimabedingte Erwärmung des Bodens und des Permafrosts lösen sich Gleitlawinen an Orten wie Crans-Montana vergangenen Februar, "an denen sie bisher nicht vorkamen". Aktualisierte Gefahrenkarten helfen dabei, "neue Gefahrenherde rechtzeitig zu identifizieren". Kathrin Amacker: "Wir müssen uns rüsten, aber immer auch die erforderlichen Kosten transparent machen."
Wichtig wird zunehmend die Nutzung der Sonnenenergie. So steht ein aus dem SBB-Klimafonds finanziertes Solardach auf einem Gütergebäude in Muttenz. Dieser Fonds wird jährlich mit rund drei Millionen Franken aus der CO2-Rückvergütung geäufnet.
Grün-Anspruch auch an Lieferanten
Ihren ökologischen und sozialen Anspruch geben die SBB aber auch an ihre Lieferanten weiter, die von Einkäufen in Höhe von jährlich fünf Milliarden Franken profitieren. So müssen die wichtigsten Kunden entsprechend zertifizierte Qualitätslabels vorweisen können.
Umweltschonung und Kostensenkungen winken bei den SBB auf tausend und einem geschäftlichen Nebengleis wie bei der Abfall- und Plastik-Verminderung, oder bei grünen Produkten wie "Green Class", einem Kombiangebot von General-Abo, Mobility und E-Bikes.
"Umweltfreundlichkeit schafft Sympathie"
Nachhaltigkeits-Strategin Amacker räumt ein, dass nicht nur ethisch-politische Motive die SBB zum Umdenken zwingen. Ebenso starker Treiber der Energieeffizienz ist die Kostenreduktion. Anderseits sei Umweltfreundlichkeit auch ein klarer Wettbewerbsvorteil, weil sie "bei den Kunden Sympathie auslöst".
Angesichts des rauen Windes, der den SBB in Bezug auf Fragen wie die "Dosto"-Beschaffung, die Pünktlichkeit oder weiteren Merkwürdigkeiten entgegenweht, wäre es bestimmt kein schlechtes Rezept, der Öffentlichkeit die respektablen Anstrengungen auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft intensiver bewusst zu machen.
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13. Dezember 2019
"Geld wird zweckgebunden reinvestiert"
Sehr geehrter Herr Krummenacher, der Fonds finanziert jedes Jahr zahlreiche Nachhaltigkeits-Projekte. Das Geld wird also zweckgebunden reinvestiert. Das im Artikel erwähnte Solardach in Muttenz zum Beispiel wurde so finanziell unterstützt.
Kathrin Amacker, Binningen
"Ich schäme mich über den Zustand"
Die SBB wird sehr gefördert, ist aber einer der grössten Stromverbraucher. Je mehr Flatterstrom (Solar- und Windstrom) wir haben werden, desto mehr wird es zu unvorgesehenen Stopps und Unterbrechungen kommen. Mich nervt das ganze Geschwafel über den Klimawandel, das von uns nur mehr Steuern als Resultat will.
In Frankreich haben sie das gemerkt und die Gilets jaunes haben auch deswegen gestreikt. Wir glauben noch unseren Regierungen. Mir wäre lieber, die SBB würde ihre Toiletten und Züge nicht nur täglich, sondern vor jeder Fahrt putzen, ich schäme mich wirklich über den Zustand der Wagen, wenn ich sie zum Beispiel mit den japanischen Zügen vergleiche. Dort sollten die SBB-Verantwortlichen vieleicht einmal eine Studienreise unternehmen und eine Prüfung ablegen.
Alexandra Nogawa, Basel
"Was wurde mit dem vielen Geld gemacht?"
Wenn die Nutzung der Sonnenenergie bei der SBB zunehmend wichtiger sein soll, so wäre interessant zu erfahren, was mit dem vielen Geld aus dem Fonds gemacht wird, resp. gemacht wurde, der jährlich mit über 3 Millionen Franken gespiesen wird. Die CO2-Rückvergütung besteht ja nun schon seit über 10 Jahren. Wie gross ist dieser Fond inzwischen? Welche Projekte wurden realisiert und wie sieht der zukünftige Verwendungszweck aus.
Viktor Krummenacher, Bottmingen