© Screenshot by Telebasel
Die Basler 1. Mai-Schlappe: Eine Kundgebung ohne BotschaftWas in der Einkesselung von Demonstranten gipfelte, war die Folge undurchsichtiger Vorgänge bei Polizei und Veranstaltern Von Peter Knechtli Keine Frage: Aus der Kontroverse um den Polizei-Einsatz an der diesjährigen 1. Mai-Kundgebung in Basel ist die Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann als Siegerin hervorgegangen. Sie hat politisch gepunktet und damit im Meinungseinklang breiter Bevölkerungskreise ein Zeichen gesetzt: Nicht schon wieder Krawall in der Innenstadt.
Ob der Entscheid rechtsstaatlich und in der Abwicklung sauber war, als die Ordnungskräfte den als "schwarz" verdächtigten separat vorausmarschierenden Block schon einkesselte, noch bevor der Zug durch die Stadt begonnen hat, steht auf einem anderen Blatt. War die Vermutung eines zu Chaos und Radau fähigen "Schwarzen Blocks" eine Fehl-Wahrnehmung?
Die Meinungen dazu sind überaus kontrovers: Es gehe nicht an, willkürlich eine Gruppe während Stunden und ohne Betreuung einzukesseln, wenn Gewaltbereitschaft nur vermutet, aber nicht durch eine Tat bewiesen wird, meinen die Einen. Endlich habe die Polizei mit ihrem Gewaltmonopol einem weiteren Chaoten-Exzess wirkungsvoll den Riegel geschoben, meinen andere. "Klare Hinweise auf Gewaltbereitschaft Tatsächlich befanden sich im "Block" vermummte Teilnehmende, ausgerüstet mit Utensilien wie Pyros und Spraydosen – aber auch viele Unvermummte, die klar keine "Schwarzblöckler" sind, und, wie zu hören ist, auch Kinder. Ein typischer "Schwarzer Block" war es nicht.
Darauf hätten klare Hinweise über die beschlagnahmten Gegenstände geben können, die unzweifelhaft auf Gewaltabsicht hindeuteten. Doch gerade diese Hinweise, die in früheren Polizeimitteilungen dokumentiert wurden, sind im jüngsten Fall bisher nicht belegt.
Fragen sind aber genauso auch an das 1.-Mai-Komitee zu richten. Wie kam es dazu, dass es überhaupt eine Art Voraus-Block akzeptierte, der – was der Veranstalterin klar sein musste – nichts Anderes als eine Provokation darstellte und mit dem Front-Slogan "Revolutionäre Bewegung aufbauen" dem gesamten Demonstrationszug gestandener friedlicher Arbeitnehmenden den inhaltlichen Stempel aufdrückte? Wer ist dafür verantwortlich, dass der von der SP ausgearbeitete und von Gewerkschaften befürwortete Codex gegen Gewalt am 1. Mai nicht in Kraft trat, und weshalb wurde darüber nicht transparent begründet informiert?
Sicher ist nur eines: Dieser 1. Mai war für die gesamte Linke, insbesondere auch für die Gewerkschaften, ein Debakel. Weil sie nicht in der Lage war, eine ganz gewöhnliche Laufkundgebung zu organisieren, lief sie der Polizei, kaum war sie gestartet, ins Messer. Blauäugig, wenn sie kalkulierte, die Polizei drücke wieder mal ein Auge zu. "Für die frisch gezimmerten Slogans Zudem hatten vor einem Jahr die wüsten Sachbeschädigungen marodierender Chaoten – ohne dass die Polizei eingeschritten wäre – die jüngste Demonstration in einem Mass emotional aufgeladen, dass keine Frage medial dringlicher im Raum stand als die eine: Krawall oder kein Krawall.
Nahmen im analogen Zeitalter nicht wenige gewerkschaftlich organisierte Journalisten um den damaligen "AZ"-Redaktor Martin Herter mit medienpolitischen Anliegen wie Entlassungen auf Redaktionen oder Pressekonzentration noch aktiv am Demonstrationszug teil, standen die zahlreichen Medienschaffenden (gewerkschaftlich sind sie so gut wie nicht mehr organisiert) jetzt noch als gespannte Beobachter am Rande, um im Falle einer Eskalation hautnah dabei zu sein (was auch ihre Aufgabe ist).
Wenn aber der Krawall-Kick – aufgrund der Vorgeschichte zwangsläufig – zum Treiber der medialen Berichterstattung wird, dann hat die 1. Mai-Manifestation ihre Raison d’Être endgültig verloren. Dann soll die "werktätige Bevölkerung" bei Wurst und Bier ihren arbeitsfreien Tag geniessen.
Schon vor Jahren bemängelte OnlineReports in einem Kommentar die Unfähigkeit der Linken, ihrem wichtigsten Tag des Jahres mit einer überzeugenden "inhaltlichen Struktur und einem dramaturgischen Willen" ein machtvolles politisches Statement zu verpassen.
Stattdessen jedes Jahr der gleiche Trott, kein langfristiges Konzept: Jedes Votum versucht das jeweils vorangegangene in kampfrhetorischer Intensität zu übertrumpfen. Und dann verzieht sich der Pulverdampf ohne weitere Folgen. Kein analytisches Glanzlicht, keine überraschende Botschaft, kein bleibender Denkanstoss.
Dieses Jahr monopolisierte der unerwartete Polizeieinsatz die mediale Berichterstattung – ein GAU für die Veranstalter und eine Frustration für die Teilnehmenden, deren frisch ausgedachte Transparent-Slogans keinen Menschen interessierte. "Die linke Distanzierung von Gewalt Dabei böte die grösste gesellschaftliche Verunsicherung seit dem Zweiten Weltkrieg – militärisch unsichere Weltlage, Klimawandel, sich öffnende Schere zwischen Armen und Reichen, Verschwörungs- und Fake-Manie, das Absterben des gesellschaftlichen Bewusstseins – eine immense Fülle an Ansätzen, die auf die Welt der Arbeit heruntergebrochen werden könnten.
Weshalb nicht einmal eine kritische Aussensicht? Und weshalb nicht einmal ganz gewöhnliche Arbeiterinnen und Arbeiter über ihren beruflichen Alltag oder ihre Wohnsituation reden lassen statt ihre Funktionäre in Verbänden und Parlamenten? Ein thematischer Schwerpunkt? Ein solidarischer Spendentag?
Am robusten Eingriff der Ordnungshüter ist die Linke nicht ganz unschuldig. So laut jeweils ihre Proteste gegen Polizeieinsätze gegen unbewilligte Demos waren, so milde blieben ihre Distanzierungen gegen saubannerähnliche Streifzüge durch die Innenstadt. Nicht zu Unrecht stellte der besonnene frühere deutsche Bundespräsident Joachim Gauck generell die entscheidende Frage: "Fangen wir an, eine Spezialberechtigung für normüberschreitendes Handeln zu gewähren?"
So weit möchte ich gegenüber dem im Basler Parlament vertretenen linken Spektrum nicht gehen. Es ist im Auftreten kämpferisch, in seinen Aktionen aber durchwegs moderat. Die ausserparlamentarische Radikalisierung vermochte sie aber nicht aufzuhalten. So erstaunt es auch nicht, dass es der machtvollsten Kraft in der Stadt Basel nicht mehr gelingt, am "Tag der Arbeit" gerade mal tausend Mitlaufende zu mobilisieren – während in Zürich das Zehnfache die Strasse bevölkert. 5. Mai 2023
"Zeugnis von traditionellem Journalismus" Auch ich werde die fundierten und genauen Analysen vermissen. Wenn ich auch die Meinung nicht immer teile, wird sie doch in einem eleganten Stil und begründet kundgetan. Ganz einfach gesagt ist dies ein Zeugnis von traditionellem Journalismus, der recherchiert und persönliche Meinung von Tatsachen zu unterscheiden weiss. Erika Paneth, Basel "Vandalen müssen gestoppt werden" Wird ein Auto entdeckt, das sich in einer Amokfahrt gegen eine Menschenmenge rast, müssen Sicherheitsorgane alles unternehmen, um dies vorbeugend zu verhindern. Mutmassliche Vandalen in einer Demo müssen ebenso vorbeugend gestoppt werden. Die Idee der Ausladung des schwarzen Blocks am 1. Mai-Umzug war hervorragend. Wenn das 1. Mai-Komitee dies wieder aufhebt, zeugt es nicht von grossem Verständnis. Absprachen und die Kommunikation unter den Linken müssen sich deshalb deutlich verbessern. Und: Weshalb lassen Eltern ihre Kinder im schwarzen Block mitlaufen? Sie können davon ausgehen, dass dort etwas passiert. Ruedi Basler, Liestal "Kompetente Analysen" Wie werde ich Ihre neutralen, kompetenten Analysen vermissen! Vielen Dank für diese – und auch für alle anderen.
Rosemarie Mächler, Aesch |
www.onlinereports.ch - Das unabhängige News-Portal der Nordwestschweiz
© Das Copyright sämtlicher auf dem Portal www.onlinereports.ch enthaltenen multimedialer Inhalte (Text, Bild, Audio, Video) liegt bei der OnlineReports GmbH sowie bei den Autorinnen und Autoren. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Veröffentlichungen jeder Art nur gegen Honorar und mit schriftlichem Einverständnis der Redaktion von OnlineReports.ch.
Die Redaktion bedingt hiermit jegliche Verantwortung und Haftung für Werbe-Banner oder andere Beiträge von Dritten oder einzelnen Autoren ab, die eigene Beiträge, wenn auch mit Zustimmung der Redaktion, auf der Plattform von OnlineReports publizieren. OnlineReports bemüht sich nach bestem Wissen und Gewissen darum, Urheber- und andere Rechte von Dritten durch ihre Publikationen nicht zu verletzen. Wer dennoch eine Verletzung derartiger Rechte auf OnlineReports feststellt, wird gebeten, die Redaktion umgehend zu informieren, damit die beanstandeten Inhalte unverzüglich entfernt werden können.
Auf dieser Website gibt es Links zu Websites Dritter. Sobald Sie diese anklicken, verlassen Sie unseren Einflussbereich. Für fremde Websites, zu welchen von dieser Website aus ein Link besteht, übernimmt OnlineReports keine inhaltliche oder rechtliche Verantwortung. Dasselbe gilt für Websites Dritter, die auf OnlineReports verlinken.