© Foto by Peter Knechtli, OnlineReports.ch
"Uns geht es um etwas Anderes": Roche-Mitbesitzer Hoffmann, Bundespräsident Cassis
Wolkenkratzer-Eröffnung mit einer deutlichen Prise Polit-Marketing
Der Basler Pharmakonzern Roche feierte Fertigstellung des 205 Meter-Turms mit Bundespräsident Ignazio Cassis
Von Peter Knechtli
Der Basler Pharmakonzern Roche hat am Freitagnachmittag mit dem "Bau 2" das grösste Schweizer Bauwerk eröffnet. Bundespräsident Ignazio Cassis erwies dem Forschungs-Unternehmen die Ehre und erhielt unkaschiert eine politische Agenda-Empfehlung mit auf den Weg ins Bundeshaus.
Fast sieben Jahre sind es her, seit Roche den Büro-Turm "Bau 1" eröffnete, der mit seinen 178 Metern Höhe das höchste Gebäude der Schweiz war und – was der Basler Seele fraglos schmeichelte – den Züricher "Prime Tower" mit 127 Metern deutlich unter sich liess. Jetzt toppten sich die Basler nochmals: mit derselben Bauherrin (Roche) und denselben Architekten (Herzog & de Meuron).
Wie ein Blick aus dem Flugzeug
205 Meter hoch ist der soeben zeitgerecht und leicht unter Budget fertiggestellte "Bau 2", der wie sein ebenfalls abgetreppter Zwillingsturm 550 Millionen Franken kostete. Oben in der begehbaren Balustrade von Etage 47 auf 190 Metern Höhe öffnet sich ein Rundum-Blick auf
Basel und das Dreiländereck wie aus einem Flugzeug. Ganz natürlich und ruhig liegt die Stadt organisch im EU-Raum. Von sichtbaren Grenzen keine Spur.
Architekt Pierre de Meuron sagte auf die Frage von OnlineReports, ob er, der mit seinem Partner Jacques Herzog einen Steinwurf vom Roche-Gelände aufgewachsen war, stolz sei, wenn er aus jedem erdenklichen Winkel Basels sein Mammut-Werk in unterschiedlichster Erscheinungsform betrachte: "Nein, uns ging es um etwas ganz Anderes."
Arbeitsplätze in Wohnlandschaften
Worum es Bauherrin und Architekten ging, veranschaulichten einerseits ihre Statements zu Beginn der Eröffnungsfeier und anderseits der Rundgang durch einige der 50 Etagen. In seiner Grundkonzeption entspricht "Bau 2" ganz seiner kleineren Schwester, aber in zahlreichen Details weist er Veränderungen und Verbesserungen auf.
Ganz offensichtlich hat Basels neuster Wolkenkratzer erst recht nichts mehr mit einem herkömmlichen Geschäfts-Hochhaus zu tun. Feste Büros gibt es nicht. Wir streifen hier durch Etagen von Grünpflanzen-geschmückten Wohnlandschaften mit Liegemöbeln und Hängekorb, die sich abwechseln mit offenen Austausch-Räumen und einigen geschlossenen Räumen, die als Gag auch mal kleine baseldeutsche Beschriftungen aufweisen ("e Vorträgli", "Färnseh glotze", "zämme plaudere"). Alles in edelsten Materialen und diversester Wohlfühl-Anmutung.
Gebot der Nachhaltigkeit
Selbst Wendeltreppen über mehrere Stockwerke ("Transfergeschosse") hinweg sollen zu kreativen Schauplätzen werden. "Wir bieten eine Vielzahl an Arbeitsformen.
Die Mitarbeitenden können sich ihren Arbeitplatz aussuchen", wie Präsident Christoph Franz in seiner Begrüssung sagte.
In irgendeiner Ecke rasen Kinder umher und im Keller ist Platz für über 400 Velos samt Ladestationen. Ein Auto-Parking fehlt. Der Weg zur Arbeit ist ein Gebot der Nachhaltigkeit: ÖV (Hauptanteil), Velo oder zu Fuss.
3'200 Mitarbeitenden bietet der elegante, gegen ein Erdbeben der Stärke 6,9 auf einem Pfahlfundament gesicherte Vertikal-Koloss Platz, die bisher in 20 Gebäuden über die ganze Stadt verteilt waren. Man kann sich vorstellen, wie viele Büroräume dadurch verwaist werden und in welche Richtung sich die dortigen Mietpreise entwickeln könnten.
Politisch stabiler Standort
Die Vollendung des Roche-Clusters ist aber noch nicht abgeschlossen. Das benachbarte Forschungs- und Entwicklungszentrum (Investition: 1,2 Milliarden Franken) ist noch im Bau und soll Ende nächsten Jahres in Betrieb gehen. "Bau 3", der die Turm-Trilogie vollendet, soll abhängig vom Bedarf "erst zu einem späteren Zeitpunkt realisiert werden", wie Roche schreibt.
Bis 2030 soll der Standort Basel/Kaiseraugst mit seinen 11'000 Mitarbeitenden klimaneutral werden.
Man nimmt es Roche ab: So spektakulär in die Höhe und so gediegen nach innen gebaut wird nicht, um den Basler Besitzer-Familie Hoffmann und Oeri oder dem Konzern eine reputative Umriss-Erweiterung zu bescheren.
Es geht am Standort Basel in der politisch stabilen und rechtssicheren Schweiz einzig und allein darum, rechtzeitig die Voraussetzungen dafür zu schaffen, sich im Kampf und den Spitzenplatz als grösstes Biotech-Unternehmen der Welt auch künftig zu behaupten.
Ein Magnet für Top-Forscher
Neben dem politisch-kulturell interessanten Umfeld ist es jetzt auch die topmoderne Umgebung für die Arbeitswelt der Zukunft, die die Roche-Türme zu den "weltweit nachhaltigsten" macht. Da ist für Roche nur das Beste gut genug: Mit hochattraktiven Arbeitsplätzen in einer Wohlfühl-Atmosphäre sollen magnetartige Bedingungen geschaffen werden, um die weltweit besten und kreativsten Forscher zu gewinnen.
Mit dem Standort Basel und dem Standort Schweiz, in den in den letzten zehn Jahren sieben Milliarden Franken investiert hat, ist Roche im Reinen. (Novartis ist öffentlich kaum noch ein Thema.) Dieses Langfrist-Bekenntnis der Eigentümerfamilie um André Hoffmann und Jörg Duschmalé habe der Verwaltungsrat "selbst verinnerlicht und zur eigenen Handlungsleitlinie" gemacht, sagte Präsident Franz – zur Freude der anwesenden regionalen Polit-Prominenz.
Auf sie kann sich Roche verlassen, und ihr kann sie in den regelmässigen Gesprächen ihre "Wünsche" signalisieren. Selbst die Anwohnerschaft, die unter der Bautätigkeit seit Jahren leidet, blieb vergleichsweise ruhig. Alle wissen, warum.
Roche-Forderungen an den Bund
Nach den freundlichen Begrüssungs-Worten nutzte die Roche-Spitze die Anwesenheit des Bundespräsidenten sodann auch für ein Live-Lehrstück in Sachen Signal-Einspeisung in den Bundesrat.
So sorgt sie sich um den Ausschluss der Schweiz aus dem Foschungs-Talentschmiede "Horizon Europe", aber auch um die "zu zögerliche Digitalisierung" im Gesundheitswesen. "Wir sind hier leider, ehrlich gesagt, arg im Rückstand", verdeutlichte Franz die Forderung nach digital verfügbaren Gesundheitsdaten und fügte an: "Für den künftigen Erfolg des Life Science-Standorts Schweiz braucht es einen raschen und signifikanten Fortschritt."
Warnung vor "fatalem Zeichen"
Der Roche-Chef warb ausserdem für die Verstärkung des Patentschutzes, um es Unternehmen – Stichwort Covid – auch künftig zu erlauben, "hochriskante Projekte voranzutreiben". Die Schweiz sollte sich deshalb gegen die Verwässerung des Patentschutzes ("ein fatales Zeichen") zur Wehr setzen, die zu einer Entschleunigung der Innovation führe.
Einen ähnlichen Forderungs-Fokus hatte ein von Annette Luther, Sekretärin des Verwaltungsrats, geführtes oder besser: gelenktes Gespräch zwischen Konzernchef Severin Schwan und Bundespräsident Cassis. Schwan lobte zunächst die "ganz ausgezeichnete und prägmatische Zusammenarbeit mit den Behörden", bevor er seine übliche Gelassenheit ablegte und dem Bundesrat seinen Wunschzettel vorlegte.
Bund soll antizyklisch investieren
So sorgt sich Schwan über den "Druck auf die Budgets" und den "Spardruck", der Forschungs-Institutionen wie die ETH treffen und "langfristig einen grossen Schaden anrichten" könnte. Darauf – so Schwan unverfroren – müsse Cassis "bei der nächsten Bundesratssitzung genau hinschauen". Wünschenswert
sei ein "antizyklisches" Investitionsverhalten des Bundes, um Forschung und Ausbildung als die "entscheidende Lebensader in der Schweiz" nicht zu schwächen.
Hier relativierte Cassis die "Erwartung" von Roche: Die Forschungsgelder hätten in Bundesrat und Parlament schon "immer eine grosse Priorität genossen". Sogleich fügte Cassis die "Erwartung" an Roche als einflussreiche Arbeitgeberin an, um gegen das "Stocken" im Dialog mit der EU wegen der Sozialpartner zu kämpfen.
Ohne darauf einzugehen, nahm Schwan den Finanzierungsfaden nochmals auf, um für Zusatzgelder zugunsten der Basisforschung zu werben. Wenn der Fluss an Dynamik und Nachwuchstalenten unterbrochen werde, werde es für Firmen schwierig, wieder einzusteigen. Überall in gleichem Mass zu sparen sei "das Schlimmste, was man machen kann", gab Schwan dem Gast aus Bern zu bedenken. Vielmehr sollte der Bundesrat in bestimmten Bereichen wie der Forschung "bewusst grosszügiger" sein und "Prioritäten" setzen.
Cassis schlagfertig
Der Bundespräsident erwies sich als überraschend souverän. Roche stosse mit seinem Plädoyer auf "sehr sehr offene Türen". Unter Applaus entgegnete Cassis: "Ich könnte sagen: schon erledigt, Herr Schwan." Eine andere Frage sei, wie sich die Finanzlage des Bundes angesichts der "Zeitenwende" in der nächsten Legislatur entwickle.
Auf der Wunschliste des Unternehmens steht auch ganz forschungsfrei das handfeste Anliegen, das Basler Roche-Gelände mit einer Haltestelle bei der Solitude besser an das S-Bahn-Netz anzuschliessen.
Die Öffentlichkeit kann kostenlose Führungen durch "Bau 2" buchen und dabei auch den faszinierenden Ausblick auf die Region geniessen.
Mehr über den Autor erfahren
2. September 2022
Weiterführende Links:
"Termine schon ausgebucht"
Besten Dank für den ausführlichen Artikel und speziell für den direkten Link zu Führungen im "Bau 2". Glücklicherweise konnte ich noch eine Führung in französischer Sprache buchen, sonst waren die Termine schon ausgebucht.
Ich konnte als Arbeitsmediziner schon im "Bau 1" das Konzept mit "activity based working" kennen lernen. Mein Eindruck war auch in diesen Zonen sehr bunt und wertig. Die im "Bau 1" noch reichlich vorhandenen "Normalbüros" wirkten daneben wie langweilige Vorgärten einer Reihenbausiedlung. Wie das Arbeiten mit "activity based working" real funktioniert, ist mir selber eher noch ein Rätsel, jedenfalls bedeutet es ein Ablegen vieler Gewohnheiten.
Mich interessiert, wie sich hier die Situation im "Bau 2" weiterentwickelt hat. Nach der Führung weiss ich mehr, und der Ausblick von oben auf Basel ist einfach genial.
Bernhard Meier, Riehen