© Foto by Christof Wamister
"Interesse an diversifizierter Bildungslandschaft": Rudolf Steiner Schule in Basel
Die Rudolf Steiner Schule hat in Basel grosse Pläne
Die Schule mit dem bekannten Namen an einem unbekannten Ort will ihr Areal auf dem Bruderholz besser nutzen
Von Christof Wamister
In mehreren Etappen will die Rudolf Steiner Schule am Jakobsberg in Basel ihre Bausubstanz erneuern und neue Schulgebäude errichten. Dabei erhält sie Unterstützung von einer "zugewandten" Stiftung, die das Land erworben hat, auf dem die Schule steht. Der Kanton unterstützt die Privatschule vorerst nur durch die Zoneneinteilung.
Den Aufstieg zur Rudolf Steiner Schule muss man sich verdienen. Im steilen Zufahrtsweg müssen Velofahrer in die Pedale treten oder steigen besser gleich ab. Die Schule liegt auf einem leicht ansteigenden Geländesporn oberhalb der Kurve und Haltestelle "Jakobsberg" der Tramlinie 16 und unterhalb der Einfamilienhaus-Reihen des Bruderholzquartiers. Parkplätze für Besucher gibt es keine.
Das Prunkstück ist die Aula
Ins Auge fällt als erstes die Theater- und Versammlungshalle, die wie ein riesiger Kopf oder eine Muschel oder ein Ritterhelm frei über das Gelände ragt. Der Neubau der Basler Steiner-Schule entstand 1964 bis 1967, und die Aula ist ihr Prunkstück. Architekt war Hans Felix Leu, der selber eine Steiner-Schule besucht hat. Für die Statik war Ingenieur Heinz Hossdorf verantwortlich, der auch die Aula der Universitätsbiblikothek und das Dach des Stadttheaters mitentworfen hat.
Die schrägen Säulen der Aula am Jakobsberg sind nur möglich, weil der ganze Bau durch im Spannbeton verborgene Stahlkabel zusammengehalten wird. Ein beeindruckender Raum und ein Beispiel für "organisches Bauen", das aber in die Jahre gekommen ist – nicht wegen der Statik – sondern mit seiner Ausstattung. Die grosse Fensterfront, die bei Abendveranstaltungen so schön leuchtet, besteht aus Einfachverglasung. Der Raum ist kaum zu heizen, und überdies fehlt ein heute feuerpolizeilich vorgeschriebener Notausgang.
Das "Wesen der Anlage" wird fortgeschrieben
In die Jahre gekommen ist die ganze Schulanlage, ein etwas unübersichtliches Konglomerat von Gebäuden, das nicht so anthroposopisch wirkt, wie man es von den Bauten in Dornach her kennt. Die Verantwortlichen der Steiner-Schule haben nun ein Raum- und Erweiterungsprogramm (www.raum-schafft-zukunft.ch) entworfen, mit dem den gestiegenen Anforderungen der Schule mit ihren 700 Schülern entsprochen werden soll. Architekt Christoph Standke (Basel) möchte das "Wesen der Anlage fortschreiben".
Begonnen wird im nächsten Jahr mit der Sanierung der grossen Halle, dann folgt in den nächsten Jahren die Erweiterung nach Norden mit neuen Schul- und Funktionsräumen und einer neuen unterirdischen Turnhalle. Auffälligstes Element ist ein Neubau für das "Erste Jahrsiebt", wie die Vorschul- und Kindergartenstufe in der anthroposophischen Pädagogik heisst. Die Kindergärten der Steiner-Schule sind bis jetzt auf verschiedene Orte verstreut. Der Neubau wird auf einem unbebauten Areal oberhalb der Tramlinie errichtet, auf dem sich zur Zeit noch Familiengärten befinden.
Nutzung im öffentlichen Interesse
Probleme mit der Familiengarten-Vereinigung dürfte es aber nicht geben, denn das Schulareal, auch das noch nicht bebaute, befindet sich in der Zone für Nutzungen im öffentlichen Interesse und war somit schon als Erweiterungsreserve für die Schule ausgeschieden.
Damit ist eigentlich schon klar, dass der Kanton die Leistungen der Rudolf Steiner Schule schätzt. "Wir haben Interesse an einer diversifizierten Bildungslandschaft," sagt Barbara Freyberger von der Abteilung Volksschulen im Erziehungsdepartement. Gemäss einer Neufassung des Schulgesetzes werden jetzt aber alle Privatschulen neu bewilligt und nach vier Jahren wieder überprüft. Die Privatschulen müssen einen umfangreichen Anforderungskatalog erfüllen. Als neues Element nennt Barbara Freyberger eine interne Beschwerdestelle mit einem entsprechenden Verfahren, was in der Steiner-Schule bereits eingeführt ist.
Edith Maryon Stiftung als neue Eigentümerin
Bis vor kurzem befand sich das Land der Rudolf Steiner Schule im Besitz der Christoph Merian Stiftung, die ihr einen günstigen Baurechtszins gewährte. Der günstige Baurechtszins bleibt, aber die neue Eigentümerin heisst Edith Maryon Stiftung, eine "zugewandte" Organisation. Sie hat sich als sozial ausgerichteter Investor in Basel ("Ackermannshof", "Unternehmen Mitte", "Hotel Krafft") und anderswo einen Namen geschaffen, ist aber "keine anthroposophische Einrichtung", wie Geschäftsleitungsmitglied Ulrich Kriese betont. Gegründet wurde sie 1990 von vier jungen Männern, die alle eine Steiner-Schule absolviert hatten. Die Namensgeberin der Stiftung war eine englische Bildhauerin und Arbeitsgefährtin von Rudolf Steiner in den Dornacher Pionierzeiten.
Die Edith Maryon Stiftung begann mit 10'000 Franken und weist heute eine Bilanzssumme von 145 Millionen Franken auf, die vor allem durch Schenkungen und Erbschaften zustande kam. Gemäss der Stiftungsphilosophie werden Grundstücke langfristig gehalten und so der Spekulation entzogen. Das nicht vermehrbare Gut Boden sei keine Ware, heisst es in den Grundsätzen. Die Stiftung ist damit den wirtschaftsreformerischen Lehren verpflichtet, wie sie in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur von Steiner formuliert wurden.
Wald gehört zur Schule
Als Baurechtnehmer profitiert nun auch die Basler Rudolf Steiner Schule davon. Die jetzt der Stiftung gehörenden Grundstücke gliedern sich in drei Teile: eine Waldparzelle (mit Spieleinrichtungen und einem frei zugänglichen Waldparcours), das Grundstück, auf dem heute die Schule steht, und neu das Grundstück für die bauliche Erweiterung, für das die Schule aber vorerst keinen zusätzlichen Zins zahlen muss. Sie wird mit dem Aufbringen der Mittel für die Neubauten noch genügend beschäftigt sein. Denn Subventionen vom Kanton gibt es bis jetzt keine.
17. März 2015
Weiterführende Links:
In Basel schon früh willkommen
Die Rudolf Steiner Schulen verweisen mit dem Namen auf ihren Impulsgeber. In Deutschland heissen sie Waldorfschulen. Zwölf Wochen nach der Eröffnung der ersten Schule dieser Art in Stuttgart hielt Steiner im November 1919 in Basel einen Vortrag über seinen pädagogischen Ansatz. Dies auf Einladung des sozialdemokratischen Erziehungsdirektors Fritz Hauser, der 1924 auch die Bewilligung für die erste Steiner-Schule in Basel erteilte.
Die Leistungen der Anthroposophie in der Pädagogik, Behindertenpädagogik, Medizin, biodynamischer Landwirtschaft eventuell finden heute allgemeine Anerkennung und Zuspruch. Dagegeben bleibt der Kern der Steinerschen Lehre einem inneren Kreis von Anhängern vorbehalten und stösst bei nüchternen Zeitgenossen auf Skepsis. Steiner war der Überzeugung, dass man nach langen Übungen der Versenkung "sein vorirdisches Dasein" erleben könne. So formulierte er es in einem Vortrag, den er 1923, nach dem Brand des ersten Goetheanums, im Basler Hans-Huber-Saal hielt.
Steiner begründete eine eigene Wissenschaft, weil seine Auffassungen von den etablierten Wissenschaften und der christlichen Theologie zurückgewiesen wurden. Wie alle Glaubenssätze und mystischen Erkenntnisse sind seine Lehren mit wissenschaftlichen Methoden weder beweisbar noch widerlegbar.
Auf die Pädagogik der Steiner-Schulen kann an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden. Vereinfacht gesagt, handelt es sich um ein Schulmodell, das mehr Geborgenheit verspricht als die von Integrationsproblemen und Schulreformen gebeutelten Staatschulen. Zu den Kernüberzeugungen gehört, dass die Entwicklung des Kindes nicht linear, sondern in charakteristischen Phasen oder Zyklen abläuft.
Durch die Art des Unterrichts und den vermittelten Stoff sollen die Kinder und Heranwachsenden in ihren Entwicklungsschritten unterstützt werden. Der besondere Geist der Steiner-Schulen ist vielen Eltern ein Schuldgeld von durchschnittlich 12'000 Franken wert. Der Betrag wird nach den finanziellen Verhältnissen der Eltern bestimmt. Aber auch von den Lehrern werden Opfer verlangt, denn die Saläre in der Steiner-Schule liegen um einiges tiefer als in den öffentlichen Schulen.
"Politischer Handlungsbedarf"
Ich bin darüber erfreut, dass man in der Schweiz damit beginnt, die Steiner-Schulen ernst zu nehmen. In Deutschland, wo diese Schulen einerseits staatlich gefördert werden (70 Prozent), werden in sie in kirchlichen Kreisen in sog. "Schwarzbüchern" als Sektenschulen geführt (u.v.m.), wie merkwürdig rückständig! Ein Wermuthstropfen bleibt aber: Warum werden Steinerschulen in der Schweiz immer noch finanziell diskriminiert, obwohl sie doch einen öffentlichen Auftrag erfüllen?
Gerade auch die Tatsache, dass immer mehr StaatsschullehreInnen – also Menschen, die um die kulturfördernde Wirkung der Pädagogik am besten Bescheid wissen sollten - ihre Kinder nicht mehr in Staats- sondern Steinerschulen schicken, muss doch zu denken geben. Und: Kann es wirklich sein, dass die LehrerInnen an Steinerschulen für ihre etwa 20 Prozent-Mehrleistung (gegenüber den Leistungen der StaatsschullehrerInnen) 50 Prozent weniger Lohn erhalten? Wo bleibt da die Gerechtigkeit?
Hier besteht von Seiten der Politik Handlungsbedarf. Und von Seiten aufgeklärter BürgerInnen die Pflicht einmal genauer auf das Gebiet der Anthroposophie zu schauen. Denn so wie es unmöglich ist, dass aus einem Müllhaufen ein Biosalat wachsen kann, ist es unsinnig anzunehmen, dass auf dem Fundament einer lediglich auf "Glaubenssätzen und mystischen Erkenntnissen" aufbauenden "Irrlehre" ein gesundes Schulsystem hervorspriessen kann…Dies müsste jedem wirklich "nüchternen Zeitgenossen" bei unbefangener Betrachtung der Grundlagen klar werden können.
Joachim Pfeffinger, Basel