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"Kontrolle ist nötig": Basler Chemiesicherheits-Experte Urs Vögeli
Sicherheits-Alarm auf Amtsdeutsch
Viele riskante Basler Betriebe sparen auch an der Sicherheit - Staatliche Kontrollstelle unter Druck
Von Peter Knechtli
Die Basler Kontrollstelle für Chemie- und Biosicherheit spricht Klartext: Die Eigenverantwortlichkeit der Betriebe sinkt, die Übersicht über die Gefahrenpotenziale verschwimmt, das Risiko steigt. Doch auch die staatliche Inspektionsstelle gerät unter Druck: Sie muss immer mehr Vollzugsaufgaben übernehmen.
Der 46-jährige Basler Biologe Urs Vögeli ist nicht der Typ Kontroll-Apparatschik. Er kneift höchstens mal die Augen zusammen oder leistet sich Ansätze eines verschmitzten Lachens. Er hält aber gar nichts darauf, im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stehen.
Kontrollstelle ist eine Folge von "Schweizerhalle"
Doch was er eben als Leiter der staatlichen Kontrollstelle für Chemie- und Biosicherheit (KCB) in einer unscheinbaren Passage des Jahresberichts publizierte, lässt aufhorchen: „Viele Betriebe“ hätten „Mühe mit ihrer gesetzlichen Pflicht“, wesentliche Änderungen an ihren störfallrelevanten Anlagen oder an ihrem Sicherheitsmanagement mit einer Ergänzung des Kurzberichts gemäss Störfallverordnung zu melden. Nachinspektionen hätten ergeben, „dass die Listen der im Betrieb vorhandenen Höchstmengen an Stoffen, Erzeugnissen und Sonderabfällen oft nicht mehr den aktuellen Gegebenheiten entsprechen“. Die Kenntnis der vorhandenen Gefahrenpotenziale sei jedoch die „wichtigste Grundlage“ zur Beurteilung, ob das vorhandene Sicherheitsdispositiv ausreiche oder nicht.
Die Ausdeutschung dieses amtlichen Rapports ist nicht weniger als der Alarmruf einer staatlichen Stelle, die als Folge der Sandoz-Brandkatastrophe vom 1. November 1986 in Schweizerhalle geschaffen wurde mit dem Ziel, die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung insbesondere gegenüber den mächtigen Chemiekonzernen wahrzunehmen. Hat es die staatliche Kontrollbehörde aber mit veralteten Listen und unterlassenen Sicherheitsberichten zu tun, so wird ihr anfänglich die Information, später die Glaubwürdigkeit und schliesslich die Legitimation entzogen. „Es herrscht kein Notstand“, relativiert Vögeli im Gespräch. Die öffentliche Sicherheit sei nicht gefährdet.
Staatliche Inspektoren unter erhöhtem Rechtfertigungsdruck
Dennoch markieren die Wahrnehmungen der dem Kantonalen Laboratorium angegliederten Kontrollstelle ein verschärftes Klima gegenüber der staatlichen Sicherheitspolitik. „Generell kann festgestellt werden, das der Spardruck in vielen Firmen gerade im Sicherheitsbereich zum Ausdruck kommt“, dokumentiert der Jahresbericht. Die Behörde stehe „bei der Anordnung von Sicherheitsmassnahmen unter einem erhöhten Rechtfertigungsdruck“. Massnahmen, die „vor zehn Jahren von den Firmen eigenverantwortlich ergriffen worden wären, werden heute teilweise nur noch nach behördlicher Verfügung und nach Prüfung der Rekurschancen akzeptiert“.
OnlineReports stiess bei Recherchen in der Region Basel auf drei aktuelle Fälle, die diesen Trend in Chemie-, Lager- und Diagnostikbetrieben belegen, und die von Urs Vögeli grundsätzlich bestätigt wurden:
• Novartis baut im Basler St. Johanns-Quartier einen Campus für Forschung und Verwaltung. Im Rahmen eines Teilprojekts widersetzte sich die Pharmafirma dem geforderten Einbau von Gasmeldern in einen Energieleitungstunnel, weil es „ums Prinzip ging, ob dies als Auflage gerechtfertigt ist“, sagt Hansueli Amsler von der Abteilung Gesundheit, Sicherheit und Umwelt Novartis-Werke Basel. Und er fügt an: „Doch nun werden die verlangten Gasmelder eingebaut“.
• Swisscom betreibt in der Region Basel Telefonzentralen Batterieanlagen, um mögliche Stromausfälle zu überbrücken. Weil potenziell explosiver Wasserstoff austreten kann, forderte der Kanton den Umbau der zur Lüftung dienenden Fensteranlagen in einer Zentrale. Swisscom dagegen beruft sich laut Sprecher Sepp Frey auf internationale Normen für Batterieräume und lehnt die Fenstersanierung „aus Kostengründen“ ab.
• Das Rehab - früheres „Paraplegikerzentrum“ - bezog samt seinem klinischen Labor, in dem auch bakteriologische Untersuchen gemacht werden, einen Neubau. Neue Vorschriften wie die Einschliessungsverordnung verlangten laut Projektleiter Thomas Hardegger „erhöhte technische Anforderungen“ wie eine Sicherheitswerkbank und die Inaktivierung lebendiger Abfallorganismen durch Hitze. Das Rehab versuchte mit einer Ausnahmebewilligung des Bundesamtes für Gesundheit, die verlangten Investitionen abzuwenden. Doch das Bundesamt lehnte ab. Jetzt steht das Rehab vor dem Entscheid, die bakteriologischen Untersuchungen auszulagern.
Weniger Eigeninitiative in den Betrieben
Mit diesen Fällen konfrontiert, erklärte KCB-Chef Vögeli, diese zeigten auf, „dass seitens der Bauherrschaften mehr Widerstand zu erwarten ist“. Dies komme auch darin zum Ausdruck, dass die bei Baubegehren eingereichten Unterlagen „oft weniger gut sind als früher“. Damals seien die Chemie-, Lager- und Diagnostikbetriebe stärker aus eigener Initiative aktiv geworden. „Heute braucht es oft mehr Druck, um die geeigneten Standards durchzusetzen“, sagt Vögeli. „Wir haben nicht ein Sicherheitsproblem mit der Grosschemie, die Kontakte sind meist konstruktiv. Die Beispiele zeigen aber, dass eine Kontrolle nötig ist.“
Von Minimalismus im Sicherheitsbereich wollen Konzerne wie die Ciba Spezialitätenchemie nichts wissen. Die Firma investiere „unvermindert viel in die Sicherheit“. Ebenso würden die Listen der Stoff- und Sonderabfallmengen „mit grosser Sorgfalt geführt“. Zur staatlichen Kontrollstelle bestünden „ein sehr gutes Verhältnis und regelmässige Kontakte“.
Verschiedene Wahrnehmungs-Ebenen
Vögelis Vorgesetzter, Kantonschemiker André Herrmann, erlebt zwei Wahrnehmungsebenen. Auf der betrieblichen Leitungsebene werde der Stellenwert der Sicherheit „anhaltend hoch“ eingestuft. Anderseits würden die Folgen von „Sparbefehlen in Betrieben“ durch seine Inspektoren „an der Front“ schneller und unmissverständlich bemerkt.
Unter Leistungs- und Spardruck geraten aber nicht nur die Betriebe, sondern neuerdings auch die staatliche Kontrolle mit ihren bescheidenen 7,3 Stellen: Die Kantonsregierung will 100 Millionen Franken sparen, doch gleichzeitig wird die Kontrollstelle durch eine deutlich erhöhte Regelungsdichte und immer grösseren Vollzugsaufwand im Sicherheitsbereich belastet. Kantonschemiker Herrmann: „Wir haben immer weniger Zeit, den Geschäften gründlich nachzugehen.“
Recherche | Ausgehend vom Jahresbericht hat OnlineReports bei unabhängigen Quellen und Personen, Amtsstellen und Firmen recherchiert. Die Betriebe, die mit amtlichen Stellen im Clinch lagen oder liegen, gab offen Auskunft über Gründe und Stand von Divergenzen. Auch die staatliche Kontrollstelle, in ihrer Öffentlichkeitsarbeit eher ein Mauerblümchen, nahm zum Problemkreis "Sparen an der Sicherheit" Stellung.
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Öffentlichkeit | Der Tenor, der bei Firmen und Amtsstellen immer wieder durchdrang: Ist die Frage für die Öffentlichkeit von Belang? Ja, Firmen, Sicherheitsspezialisten und staatliche Inspektoren müssten ein Interesse daran haben, die Sicherheitsdebatte so öffentlich wie möglich zu führen.
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Die Bilanz seit "Schweizerhalle" | Die Bilanz der Basler Sicherheitspolitik seit der Brand-Katastrophe von Schweizerhalle im Jahr 1986 darf sich sehen lassen. Es gab seither keine Fälle mehr mit annähernd ähnlichem Gefahrenpotenzial. Das dürfte mit der verstärkten Eigenverantwortlichkeit der Konzerne und Betriebe wie auch mit der Arbeit der staatlichen Kontrollstelle zusammen hängen.
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Spardruck | Interessant ist die Feststellung von Kantonschemiker André Herrmann, der von zwei Wahrnehmungsebenen spricht: Sowohl er selbst wie die Geschäftsleitungen der Betriebe erkennen wenig bis nichts von Sparen an der Sicherheit. Anders sieht es bei den Leuten "an der Front" aus, wie der Jahresbericht der KCB beweist. Diese Feststellung erscheinen glaubwürdig und sind Ernst zu nehmen.
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Kommentar | Die Basler Regierung will 100 Millionen Franken sparen. Ob auch der Staat im Sicherheitsbereich sparen und an den bescheidenen 7,3 Stellen im Inspektionsbereich Hand anlagen will, ist noch nicht bekannt. Aber auch nicht ausgeschlossen. Dann jedoch müsste in einem gravierenden Ereignisfall die Verantwortung auch bei den sparenden Instanzen - sprich Regierung - gesucht werden.
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27. Mai 2003