© Fotos by Zwiegel, Julien31
"Wettlauf gegen die Uhr": Siebenschläfer im Wachzustand
Die Siebenschläfer – ein Leben im Zeitraffer
Heute, am 27. Juni, ist der Siebenschläfer-Tag. Wieso aber haben diese kleinen Kobolde einen eigenen Ehrentag?
Von Matthias Brunner
Kaum sind die putzigen Siebenschläfer aus ihrem langen Winterschlaf aufgewacht, geht die Post ab. Der heutige 27. Juni ist sogar dieser Spezie gewidmet. Doch ihr Leben scheint geheimnisvoll: Menschen bekommen sie selten zu hören und noch seltener zu sehen.
Die meisten von uns kennen dieses Tier höchstens vom Hören: Mitten in einer lauen Sommernacht dringen vom Dachboden her plötzlich unheimliche Rumpelgeräusche ans Ohr. Und weitherum gut vernehmbar ertönen in kurzen Abständen seltsame, helle Laute: "Uiiih"! "Uiih"! Hinter diesem nächtlichen Spuk stecken nicht selten herumtollende Siebenschläfer. Dass das kleine Nagetier für Menschen zumeist unsichtbar bleibt, hat gute Gründe: Der grösste Teil seines Lebens spielt sich im Verborgenen ab.
Der Name dieser grössten Bilchart stammt nicht von ungefähr. Tatsächlich verbringt der Siebenschläfer rund sieben Monate des Jahres vor sich hin schlummernd in einem tiefen Winterschlaf. Während seiner kurzen Zeit, in der ist er ausserdem erst ab der Dämmerung und nachts unterwegs. Dabei sehen die kleinen, grauen Pelztiere mit ihren grossen, runden Knopfaugen, dem plüschig-weichen Fell und ihrem buschigen Schwanz überaus putzig aus.
Hektische Sommerzeit
Mit seinem speziellen Lebensrhythmus überrascht es daher nicht, dass über das Verhalten des Siebenschläfers eigentlich recht wenig bekannt ist. 1998 konnte die Zoologin Regula Tester mit ihrer Diplomarbeit erstmals das Vorkommen von allen vier mitteleuropäischen Schläferarten in der Schweiz nachweisen: Nebst dem Siebenschläfer sind dies der Garten-, der Baumschläfer sowie die Haselmaus. Eine Dissertation von Christian Vaterlaus hat ergeben, dass ausser dem Baumschläfer die anderen Bilcharten auch in der Nordwestschweiz heimisch sind.
Erst gegen Ende Mai erwacht der Siebenschläfer allmählich aus seinem langen Winterschlaf, bevor er sich dazu aufraffen kann, sich von seinem Winternest zu erheben. Doch dann wird er auf einmal ganz quirlig. Denn während der kurzen aktiven Phase, die ihm noch vom Jahr verbleibt, bleibt noch viel zu tun übrig. Zunächst knurrt ihm aber nach dieser langen Fastenzeit der Magen – und es geht darum, wieder etwas Speck auf die abgemagerten Rippen zu bekommen. Auf dem reichhaltigen Speisezettel des kleinen Nagers stehen saftige Blätter, frische Knospen, Früchte, Eicheln, fettreiche Nüsse und Bucheckern. Gelegentlich erbeutet er auch Vogeleier oder frisch geschlüpfte Jungvögel sowie Schnecken und Insekten. Ein besonderer Leckerbissen sind für ihn Beeren, die er mit rasender Geschwindigkeit von den Sträuchern pflückt und verzehrt.
Störenfried und Bioindikator
Seine vielfältig zusammengesetzte Nahrung findet der Siebenschläfer hauptsächlich in artenreichen Laubholzmischwäldern mit reichlich Unterholz aus Haselsträuchern. Seinen Schlafplatz wählt der geschickte Kletterer oben in den Baumkronen, wo er ein Nest baut oder eine Baumhöhle bezieht. Auch Nistkästen für Vögel werden von Siebenschläfern öfters zweckentfremdet. Besonders gerne halten sich Siebenschläfer in möglichst alten, verwilderten Obstgärten auf, wo sie genügend Unterschlupfmöglichkeiten und Nahrung finden. Zwar zählt der Siebenschläfer nicht zu den akut bedrohten Tierarten, doch gilt er aufgrund seiner hohen Ansprüche an eine grosse pflanzliche Artenvielfalt als zuverlässiger Bioindikator seines Lebensraumes, Daher ist er auch für den Naturschutz von beträchtlichem Interesse.
Der Siebenschläfer (lateinisch Glis glis) ist der grösste Vertreter aus der Familie der Bilche oder Schläfer (Myoxidae). Das Tier ist ungefähr so gross wie eine Ratte. Der Siebenschläfer trägt ein weiches, dichtes Fell, das auf der Oberseite grau und am Bauch weiss ist. Er hat eine spitze Nase und ausgeprägte Tasthaare.
In freier Wildbahn erreicht der Siebenschläfer (Bild links) ein geschätztes Höchstalter von acht bis neun Jahren. Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Mittel- und Südeuropa (ausgenommen weitgehend Iberische Halbinsel) über Osteuropa, Klein- und Mittelasien bis in den Iran. Zu seinen nächsten Verwandten zählen der Gartenschläfer (Eliomys quercinus) der Baumschläfer (Dryomys nitedula) sowie die Haselmaus (Muscardinus avellanarius). Der Siebenschläfer kommt oft im selben Gebiet wie die Haselmaus vor.
Hin und wieder kommt es vor, dass sich der Siebenschläfer als heimlicher Untermieter im Estrich eines Ferienhauses oder einer Scheune einquartiert. Mit der Zeit können die kleinen Nager jedoch wegen des nächtlichen Lärms oder Nageschäden sowie Kot- und Urinablagerungen lästig werden. Will man versuchen sie loszuwerden, kann man beispielsweise eine Duftspur mit Parfum legen oder versuchen, sie via Akustikterror mit den Geräuschen eines Radios oder Weckers zu vertreiben. Die wirksamste Massnahme bleibt jedoch ohne Zweifel die fachmännische Abdichtung des Dachstocks.
27. Juni: Der Siebenschläfertag
Obwohl nur selten jemand die Gelegenheit hat, eines dieser schlafliebenden Tierchen zu beobachten, hat es doch ziemliche Berühmtheit erlangt, indem es sogar einen Namenstag im Kalender hat: Der 27. Juni gilt als Siebenschläfer-Tag. Allerdings wird damit eigentlich nicht diese Bilchart geehrt, sondern sieben christliche Märtyrer. Der Legende zufolge flüchteten diese im Jahre 251 vor unserer Zeitrechnung vor den Schergen des damals herrschenden römischen Kaisers Decius in eine Höhle. Dort wurden sie jedoch von ihren Verfolgern aufgespürt – und dann kurzerhand eingemauert. Daraufhin sollen sie während 195 Jahren in einen tiefen Schlaf verfallen sein, bevor sie zufällig entdeckt und wieder zum Leben erweckt wurden.
Von besonderer Bedeutung ist dieser Tag aber vor allem für die Wetterentwicklung. Denn eine alte deutsche Bauernregel lautet: "Regnet es am Siebenschläfer-Tag, der Regen sieben Wochen nicht weichen mag." Inzwischen sollen, man höre und staune, Meteorologen herausgefunden haben, dass diese Prognose tatsächlich auch häufig zutrifft.
Für die Siebenschläfer beginnt um dieses Datum die Paarungszeit, welche bis Ende Juli dauern kann. Vor allem dann sind die Pfeiftöne der Männchen zu hören, womit sie nach paarungswilligen Weibchen rufen. Kurz nach erfolgter Paarung gehen die beiden wieder getrennte Wege. Nach einer Tragzeit von 30 bis 32 Tagen bringt das Weibchen im Jahr einen Wurf mit in der Regel vier bis sechs Jungen zur Welt, die zunächst recht unbeholfen sind. Bei Geburt sind sie noch nackt und blind, wiegen zunächst bloss ein bis zwei Gramm. Erst nach 21 bis 23 Tagen blinzeln sie erstmals in die Umgebung. Bis sie richtig selbständig sind, haben sie ein Alter von sechs bis sieben Wochen erreicht.
Wettlauf mit der Zeit
Nun beginnt ein eigentlicher Wettlauf gegen die Uhr. Denn bis spätestens Ende Oktober müssen die Siebenschläfer möglichst viel Körperfett angefuttert haben, bevor sie wieder in den Winterschlaf fallen. Während ein ausgewachsenes Tier im Sommer durchschnittlich zwischen 80 und 110 Gramm wiegt, steigt sein Körpergewicht im Herbst täglich um ein Gramm. Vor allem durch die Aufnahme von fettreicher Nahrung wie Haselnüssen oder Bucheckern erreichen sie diese rasche Gewichtszunahme. Eine dicke Fettschicht ist also bei Siebenschläfern nicht etwa verpönt, sondern sogar erwünscht.
Diese masslose Völlerei wurde ihnen allerdings früher zum Verhängnis. Die alten Römer mästeten sie eigens in Freigehegen oder steckten sie in grosse Tontöpfe, sogenannte Glirarien. Ihres zarten, weissen Fleisches wegen galten die kleinen Pelztiere noch bis in die Gegenwart vor allem in Südosteuropa und Frankreich als kulinarische Delikatesse.
Pralle Bäuche: Mühe beim Klettern
Wenn die bis zu 140 Gramm schweren Tiere langsam unbeweglicher geworden sind und mit ihren prallen Bäuchen nur noch mit Mühe die Bäume hochklettern können, ist es für sie höchste Zeit geworden, ein Winterquartier zu suchen. Dieses besteht meistens aus einer selber gegrabenen, bis zu 60 Zentimeter tiefen Erdhöhle oder einer gut versteckten Felsspalte. Nach dieser hektischen Zeit ziehen sich die Siebenschläfer gegen Ende Oktober in ihren wohlverdienten Winterschlaf zurück.
Dabei können sie ihre Körpertemperatur, die im Sommer über 37 Grad betragen kann, auf wenige Grad über Null absenken und ihre Atmung auf ein bis drei Züge pro Minute reduzieren. Während der ganzen Winterstarre nehmen sie keine Nahrung mehr zu sich. Dann zehren sie einzig noch von ihrem Körperfett. Das heisst: Für einmal lohnt es sich, fett zu sein!
27. Juni 2013
Weiterführende Links: