Abstimmungen: Eine Nein-Welle geht durch das Baselbiet
Die Baselbieter Regierungsrätin Sabine Pegoraro gewann mit dem Gegenvorschlag zur Rheinstrasse-Initiative nur eine der drei Vorlagen: Das Volk sagte Nein zur Energie-Abgabe und zur Deponie-Anpassung im Kantonalen Richtplan.
Liestal, 27. November 2016
Stark umstritten war die im Energiegesetz und in der Verfassung geplante Verankerung einer kantonalen Energie-Abgabe von höchstens 0,5 Rappen pro Kilowattstunde verbrauchte nicht erneuerbare Wärmeenergie zur staatlichen Förderung von Energiesparmassnahmen. Die Fördermittel hätten jährlich von 5 auf 15 Millionen Franken verdreifacht werden sollen, um die CO2-Reduktionsziele zu erreichen. Eine breite Allianz von FDP bis Grünen hatte sich nach jahrelangen Debatten im Landrat zu einem Kompromiss durchgerungen, der dieses Wochenende zur Volksabstimmung kam.
Erfolg für Handelkammer beider Basel
Beide Vorlagen – Verfassung und Gesetz – wurden mit einer Nein-Mehrheit von rund 57 Prozent verworfen. Die Kampagne gegen "diese neue Steuer" war von der Handelskammer beider Basel angerissen worden. Für deren Direktor Franz Saladin ist dies sein bisher grösster politischer Erfolg im Baselbiet.
"Das ist toll", freute er sich heute Sonntagnachmittag. Der Nein-Parole schloss sich unter anderem auch die SVP an. Aber auch ehemalige FDP-Finanzdirektoren wie Adrian Ballmer und Hans Fünfschilling sowie die Landräte Balz Stückelberger und Rolf Richterich sowie Nationalrätin Daniela Schneeberger wichen in der Öffentlichkeit von der mit 41 zu 7 Stimmen gefassten FDP-Ja-Parole ab.
Laut Saladin ist diese "juristisch fragwürdige und bürokratische Abgabe unnötig". Er stehe hinter dem kantonalen Gebäudesanierungs-Programm, aber ein allgemeiner Fördertopf, fürchtet er, "wäre nie wieder abgeschafft worden". Saladin sieht eine Lösung mit freiwilligem Ansatz im steuerlich begünstigten "Energieförder-Sparen", das nach einer bestimmten Zeit, unterstützt von der CO2-Abgabe des Bundes, investiert werden muss.
Die Konsequenz: Mittel aufgebraucht
Bau- und Umweltschutzdirektorin Sabine Pegoraro, die hinter der Abgabe stand, bedauert die Ablehnung der beiden Vorlagen: Ab 2018 sind die für zehn Jahre bewilligten Fördermittel von 50 Millionen Franken aufgebraucht, ohne dass eine Ersatz vorhanden ist: "Das ist die Konsequenz aus dieser Abstimmung." Laut Pegoraro sei es allenfalls auch nötig, die Senkung der Energiespar-Ziele zu prüfen.
Auch FDP-Landrat und Wirtschaftskammer-Direktor Christoph Buser, der sich für die Energie-Abgabe stark gemacht hatte, war heute das politische Glück nicht hold. "Es ist uns nicht gelungen, eine einfache Begründung für die Abgabe zu finden." So seien "viele Hunde des Hasen Tod" gewesen. FDP-Präsidentin Christine Frey zeigte sich darüber verärgert, dass die beiden Energievorlagen aus eigenen Parteikreisen massgeblich bekämpft worden sei, die sich am Parteitag nicht zu Wort gemeldet hatten. Dies werde intern noch zu Diskussionen führen: "Ich kann das nicht unter den Teppich kehren." Frey störte sich besonders an den anonymen Nein-Inseraten.
In die Kritik war die Wirtschaftskammer auch geraten, weil sie die Abwicklung der Standard-Fördergesuche durchführt und dafür jährlich mit rund einer halben Millionen Franken entschädigt wird. SP-Präsident Adil Koller sieht im Volks-Nein auch "ein Zeichen gegen die Übermarchung der Wirtschaftskammer".
Rheinstrasse: Noch vieles offen
Auch bezüglich der Rheinstrasse sieht Koller eine "Symbol-Abstimmung": Die aus Kreisen um die Wirtschaftskammer lancierte Initiative wurde mit 54'333 Nein gegen 17'223 Ja haushoch verworfen. Angenommen wurde dafür der Gegenvorschlag mit 39'756 Ja gegen 30'890 Nein. Diese Variante sieht zum Preis von gut 40 Millionen Franken zwar auch eine Öffnung der Strasse auf drei Spuren im "Ereignisfall" vor, aber nicht so kurzfristig wie die Initiative.
Urs Kaufmann, SP-Landrat und Frenkendörfer Gemeinderat, Mitglied des Komitees "Zweimal Nein zur Rheinstrasse", findet es "am Allerwichtigsten, dass die Ausbau-Initiative so deutlich abgelehnt wurde". Die Argumente aus Gewerbekreisen, ein Nein bedeute den Tod für die Anrainer-KMU, hätten "nicht verfangen". Auch mit der Realisierung des Gegenvorschlags, ist Kaufmann überzeugt, werde allerdings der Stau nicht vermieden werden können. Er verlangt nun von der Baudirektion einen konkreten Gestaltungsvorschlag, der "ansprechend" aussehe und "auch die Interessen des Langsamverkehrs und der Fussgänger berücksichtigt".
Sowohl für Pegoraro wie für Buser war die Preisfrage dafür entscheidend, dass die Ausbau-Initiative – die laut kantonalen Berechnungen 20 Millionen Franken teurer wäre als der Gegenvorschag – so wuchtig verworfen wurde. Das Stimmvolk sei sich bewusst gewesen, "dass die Kantonsfinanzen noch nicht in Ordnung sind". Doch Buser kann mit dem Gegenvorschlag leben: Der Rückbau der Rheinstrasse sei vom Tisch. "Aus der Rheinstrasse wird eine Gewerbe- und keine Quartierstrasse."
Abfuhr für Deponiestandort im Laufental
Mit einer Nein-Mehrheit von über 53 Prozent verworfen wurde der Aushubdeponie-Standort "Stutz" in Blauen durch eine Anpassung des Kantonalen Richtplans. Heute wird der überwiegende Anteil des Aushubs ins angrenzende Ausland exportiert. Da die Wege ins Ausland zukünftig ungewiss sind, seien Deponien auf eigenem Gebiet "zwingend".
Doch das Volk sah es anders: Die direkt betroffenen Gegner des Standorts kämpften leidenschaftlich mit handgemalten Transparenten im ganzen Kanton. Indem sie auf "bedrohte Quellen" und deren Schutz verwiesen, gingen sie das Thema erfolgreich emotional an.
"Liberale waren nie generell gegen jede Abgabe"
Das Nein zur vorgesehenen Energieabgabe ist von gewissen Kreisen mit dem Schlagwort bekämpft worden, es handle sich um einen Verrat an liberalen Grundsätzen. Das kann – so pauschal – nur behaupten, wer sich nie ernsthaft mit dem Liberalismus in der Schweiz und der freisinnigen Politik auseinandergesetzt hat.
Liberale haben zwar ein erhebliches Mass an Skepsis gegen Staatsmacht und Abgaben, aus gutem Grund. Doch haben sie stets darauf Wert gelegt, Abgaben sorgfältig auf ihren Zweck hin zu überprüfen. Sie waren nie resolut und generell gegen jede Abgabe! Es waren zum Beispiel Liberale, die der Wehrsteuer des Bundes im 19. Jahrhundert zum Durchbruch verhalfen, weil sie die Armee stärken wollten. Bestimmte zielgerichtete und ausgemessene Abgaben können gerade im ökologischen Bereich sinnvoll und notwendig sein, wenn man nicht nur an die Freiheit unserer Generation denkt, sondern auch diejenige künftiger Generationen.
"Nach mir die Sintflut" ist keine liberale Losung! Es mag gute Gründe gegen diese Energieabgabe gegeben haben, etwa wenn man an ihrer Wirksamkeit zweifelt, doch das liberale Argument allein sticht nicht. Sonst müssten in letzter Konsequenz alle Abgaben an den Staat gestrichen werden – was offensichtlich niemand will.
René Rhinow, Liestal
"Verrat an liberalen Grundsätzen"
Die "Aktien" von Regierungsrätin Pegoraro sind zu einem "Non-Valeur" verkommen, bedauerlicherweise will sie das nicht wahrhaben, sonst hätte sie ihren Posten schon längst zur Verfügung gestellt. Die neue Energiesteuer, die sie als FDP-Magistratin dem Volk aufbürden wollte, ist nur ein Beispiel. Unverständlich, dass sich in dieser Beziehung FDP-Präsidentin Frey und Wirtschaftskammer-Chef Buser, ebenfalls FDP, hinter diese neue Abgabe stellten, mithin ein Verrat an liberalen Grundsätzen. Die SVP ist diesbezüglich näher "beim Volk". Der Ärger von FDP-Chefin Frey ist zu vernachlässigen, sie muss noch lernen, dass Politik nicht im Elfenbeinturm der FDP gemacht wird!
Albert Augustin, Gelterkinden
|