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"Dir Kurve gekriegt": Oris-Direktor Ulrich W. Herzog
Mit melodiösem Nostalgie-Ticktack die Welt zurück erobert
Die Baselbieter Uhrenmanufaktur Oris in Hölstein feiert mit ihren mechanischen Zeitmessern globale Erfolge
Von Ruedi Suter
Mit dem Mut zur Tradition und Sinn für ansprechend verpackte Qualität, faire Preise und Sinnlichkeit haben sich die Oris-Uhrmacher auf dem Weltmarkt eine einträgliche Nische sichern können. Im Baselbieter Dorf Hölstein schwört man auf die Perfektionierung mechanisch-automatischer Uhrwerke: Eine Spezialität, mit der sich die Oris SA im Segment der aufziehbaren Uhren eine Spitzenstellung eroberte.
Die linke Hand des Chefs schwebt hinunter zum Prototyp, ergreift ihn sachte und hebt ihn auf Brusthöhe. Nun senkt sich die rechte Hand auf den modifizierten Big Crown 3-Chronograph und umfasst mit Daumen und Zeigefinger die neu entworfene Drehlünette. Das ist der Augenblick, wo auch die übergrosse, aber dennoch verblüffend elegant wirkende Armbanduhr von Ulrich W. Herzog zur Geltung kommt. Zufall oder nicht: Im Blickfeld sind nun zwei der modernsten Zeitmesser aus der Uhrenmanufaktur von Oris: Der BC3-Chronograph, die hier zu einer Taucherversion weiterentwickelt wird, und der XXL Worldtimer.
"Wir versuchen", erläutert Managing Director Herzog routiniert an der BC3-Taucherlünette drehend, "Rasterung und Ton besser abzustimmen und noch weiter zu verfeinern." Die Rasterung gibt ein zartleises Klicken frei - offenbar immer noch ohrenbetäubend für die Perfektionisten der Oris SA im 30 Autominuten von Basel entfernten Hölstein.
Zuerst Blütezeit, dann Uhrenkrise
"ORIS Made in Switzerland" prangt unübersehbar auf der rötlichen Fassade des Baselbieter Unternehmens im 2'220-Seelen-Ort des Waldenburgertals. Die mächtigen Gebäude der 1904 gegründeten Uhrenfabrik sind allerdings weitgehend vermietet oder verkauft; Oris ist schon lange nicht mehr die wichtigste Arbeitgeberin des Ortes.
Längst vorbei die Blütezeit, wo mehr als 1000 Beschäftigte in Fabrik und Filialen über eine Million Uhren anfertigten - und zwar fast alles in Eigenproduktion, von den verschiedenen Uhrwerken bis zu den dazu gehörenden Bestandteilen. Dem setzte die Uhrenkrise der sechziger und siebziger Jahre ein brutales Ende. Die neue Quarzuhrentechnik, die Rationalisierung in der Forschung, die Aufgabe der eigenen Fabrikationen brachten schliesslich Oris Uhrenfabrik AG - sie gehörte damals zur ASUAG/SSIH (heute Swatch Group) - in Schwierigkeiten. Es drohte das Aus.
Rettung in letzter Minute
Doch Rolf Portmann, bisheriger Direktor der Hölsteiner Uhrenmacherei, mochte den sang- und klanglosen Untergang der traditionsreichen Uhrenmarke, die einst die robusten und preiswerten Stiftankeruhren fertigte, nicht einfach hinnehmen. Er gründete 1982 die Oris SA, übernahm Markenrechte, Kundschaft, Personal, Lager und ein Teil des Lagers und baute - zusammen mit dem Basler Ulrich W. Herzog - die wieder auferstandene Oris zu einem eigenwilligen Unternehmen auf, das heute wieder mit der Zeit geht - und ihr manchmal sogar etwas voraus ist.
Ausgerechnet im "quarzverrückten" Japan entdeckte Geschäftsleiter Herzog 1985 bei der Jugend, was für Oris Zukunft hatte: die gute, alte, Sinnlichkeit ausstrahlende Mechanik oder Automatik-Uhr, mit dem gerade noch hörbaren Ticken sowie dem Bedürfnis, aufgezogen oder bewegt zu werden. So wurden in Hölstein fast eine Dekade lang erfolgreich klassische Uhren im Retro- und Museumsdesign zu erschwinglichen Preisen hergestellt. Liebhaber schätzten besonders die Classic- und Pointerdatelinien (Uhren mit Zeigerdatum). Ab 1995 schaffte Oris nicht zuletzt auch dank Designer Hans Brodbeck und seinem Team mit ihrem Fliegerchronographen, dem Regulateur und Worldtimer sowie der trendigen Big Crown-Linie den Zeitsprung vom Nostalgielook zum Zukunftsdesign.
"Hier denken alle mit!"
"Wir haben die Kurve gekriegt", freut sich Herzog auf dem Rundgang durch die hellen Betriebsräume. Das Arbeitsklima scheint, trotz der herrschenden Lieferengpässe, gut in der Fabrik mit ihren 40 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, denen die Uhrwerke von der Swatch Group (ETA) und die Gehäuse von einem Dutzend Zulieferanten angeliefert werden. Wer vom Oris-Personal Anregungen hat und Verbesserungen vorschlägt, sei hoch willkommen, versichert der Chef: "Hier denken alle mit." Dies gilt insbesondere beim Zusammenspiel der Marketing- und der Entwicklungsprofis.
Was an Informationen, Trends und Kundenreaktionen auf dem Markt zusammen kommt und von den Aussendienstmitarbeitenden (55) und Händlern gesammelt wird, findet in Hölstein nach der Auswertung seinen Niederschlag - in Weiterentwicklungen oder neuen Modellen, die "so gut wie eine Rolex, so schön wie eine Lange und so günstig wie eine Omega" zu sein haben. "Wir haben die Fähigkeit, einen Produktentwurf technisch so umzusetzen, dass er in seiner Art erhalten bleibt, qualitativ zufriedenstellt und auch vom Preis her befriedigt", erläutert Hans Brodbeck. Der Erfolg scheint ihm Recht zu geben: Bei Liebhabern und Uhrensammlern hat die Marke Oris nach wie vor einen feinen Ruf.
Im Osten macht Oris Furore
"Kompromissloses Qualitätsdenken", erschwingliche Preise zwischen 600 und 2'500 Franken, eine "Ästhetik der Einfachheit", globales Marketing sowie der Wille, bei den mechanisch-automatischen Zeitmessern besser zu sein als die vergleichbare Konkurrenz, hat die Swiss-Made-Uhren aus Hölstein wieder zu einem Exportschlager in die ganze Welt gemacht. Insbesondere in Japan, Hongkong, Taiwan, Singapur, Malaysia, Deutschland, Frankreich und England schnallt man sich gerne eine Oris um, und zwar für die verschiedensten Lebensbereiche. In Italien und den USA ist die Marke im Kommen, und Südamerika wird als Zukunftsmarkt angepeilt. Nur in Afrika, das einst immerhin um die 70 Prozent der (früheren) Oris-Produktion kaufte, wird kaum mehr eine Uhr aus Hölstein abgesetzt.
Bei der Uhrenmechanik heute weltweit führend
"Wir sind bei den mechanischen Uhren heute weltweit führend", positioniert Ulrich W. Herzog die Marke Oris im internationalen Uhrenmarkt. Diese Qualität zu derart vernünftigen Preisen biete zurzeit keine andere Uhrenherstellerin. Als Kundschaft angepeilt werden vorab berufstätige Männer und Frauen mittleren Alters.
Die grossen Oris-Renner sind zurzeit neben den BC3-Chronographen, dem "Sportstyp im Fliegerlook", und der Classic XXL mit dem bis zu 44 mm grossen Gehäuse ("Big is beautyful"), die Full Steel CS, eine ausgeklügelte Sportsuhr im Stahldesign, sowie die neuen Taucheruhren Big Crown Divers und Big Crown Comandante Divers Regulator mit der besonders betonten Minutenanzeige.
Und was bringt Oris die Zukunft? Weiterhin gute Geschäfte, prophezeit Direktor Herzog. Vor allem, wenn Oris ein qualitativ hochstehende Nischenmarke bleibe, die für kostenbewusste Individualisten ticke. Mechanisch-automatisch natürlich. Dann wirft Ulrich W. Herzog einen Routineblick auf die Hausmarke am Handgelenk. Es ist Fünf vor Zwölf - nicht für Oris, aber Zeit für den Lunch.
26. Dezember 2000