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"Nägel mit Köpfen": Animatoren Heller, Brutschin, Rossel
Basler Kreativwirtschaft erhält eine kräftige Vitamin-Spritze
Martin Heller und sein siebenköpfiges Gremium sollen in den nächsten drei Jahren messbare Impulse auslösen
Von Peter Knechtli
Eine Studie zeigt: In Basel-Stadt liegt ein beträchtliches Potenzial in der Kreativwirtschaft brach. Wirtschaftsdirektor Christoph Brutschin will diesen Bereich nun gezielt fördern. Der frühere Expo-Direktor Martin Heller soll mit einem Steuerungsgremium schon in den nächsten drei Jahren "messbare Resultate" liefern.
In der Diskussion um Wirtschaftspolitik taucht seit kurzer Zeit ein neuer Fachbegriff auf: Kreativwirtschaft. Gemeint ist das heterogene Marktsegment von Design über Architektur, von Musik, Werbung, Film bis zu Software, Kunst und Presse, das bisher von den traditionell auf das Handwerk ausgerichtete Gewerbeverbänden ebenso wenig als Klientel aufgefasst wurde wie von der staatlichen Wirtschaftsförderung.
Kreative als Würze des Standorts
Aber jetzt regt sich im Basel – auch in der Politik. Sie erkennt allmählich, dass nicht nur die grossen Player und die grossen Mäzene die Standort-Qualität bestimmen, sondern ebenso die bunte Flora der Kreativen, die meist als Klein- oder Kleinstunternehmen konstituiert sind. Diese Firmen fristen aber im Schatten der Grossunternehmen als sozusagen verwaiste KMUs ein Mauerblümchendasein: In der Öffentlichkeit wenig bekannt, von kaum einem Gewerbeverband proaktiv unterstützt, von der Politik in ihrer Bedeutung nicht oder ungenügend wahrgenommen.
Der Basler Wirtschaftsminister Christoph Brutschin hat nun den Braten gerochen: Das bunte Gemisch an Kreativen, so seine Erkenntnis, könnte ein attraktives und bisher brach liegendes Element der Standortpolitik werden und Basel als Wohn- und Arbeitsort noch interessanter machen. Er beauftragte Raphael Rossel (Bild) von der Agentur "de-lay GmbH" mit einer Bestandesaufnahme der Basler Kreativwirtschaft. Immerhin, so ergab die heute Donnerstag vorgestellte Studie, arbeiteten 2008 im Stadtkanton 11'300 Personen oder 7,1 Prozent aller Beschäftigten im Kreativsektor. Gleichzeitig berief Brutschin den früheren Expo02-Direktor Martin Heller als Leiter einer siebenköpfigen Steuerungsgruppe, die schon in den nächsten drei Jahren "messbare Ergebnisse" vorlegen soll.
Die Branche der Geistesdrechsler
Zwar wurde die Studie, vom kantonalen Amt für Wirtschaft und Arbeit in Auftrag gegeben, schon seit Monaten erwartet. Doch das Warten hat sich gelohnt. Auf über 400 Seiten legt sie erstmals umfangreiche quantitative und qualitative Daten über den weitgehend unerforschten Wirtschaftszweig vor. Seine Erhebung, die sich auf 44 längere Interviews mit Kreativen und eine Umfrage unter 201 Unternehmen (angeschrieben: 611) abstützt, attestiert der Branche der Geistesdrechsler ein "überdurchschnittliches Kreativitätspotenzial". Unter den 13 ermittelten Teilmärkten fielen "Design", Architektur" und "Kunst" als besonders stark auf. Bescheidene bis kümmerliche Werte erreichen die Bereiche "Kunsthandwerk", "Presse", "Rundfunk" und "Phonotechnik".
Mit ihrer zahlenmässigen Grösse können die Kreative nicht imponieren: 77 Prozent der Erhobenen Firmen sind Klein- und Kleinstunternehmen mit einem bis zehn Mitarbeitenden. Eher überraschend und ganz im Sinne der staatlichen Strategie ist die Standort-Treue der kommerziellen Paradiesvögel, was auf eine starke lokale Verankerung im Nest Basel hindeutet. Im Einzelnen betrachtet bringe diese Firmen Finanzdirektorin Eva Herzogs Steuerkasse nicht zum Platzen: Fast 30 Prozent deklarieren Umsätze (Umsätze!) von unter 75'000 Franken. Das deutet darauf hin, dass viele Kreative in der Arbeit nicht ausschliesslich Geldverdienst erkennen, sondern auch künstlerische Verwirklichung oder ideelles Engagement.
Eine Kreativen-Lobby mit Martin Heller
Doch ein Problem bleibt: Die Kreativen in ihrer extremen Heterogenität haben keine Lobby – und sie lassen sich auch nur bedingt lobbyieren. Dennoch beklagen viele die mangelhafte Wahrnehmung durch die Repräsentanten von Verbänden und insbesondere des Staates und seiner Funktionsträger, die über die Verteilung von Investitionen entscheiden. An die Politik richtet die Studie die Forderung, Kreativwirtschaft zu ermöglichen und nicht zu verhindern, ihr eine vermehrte "Politik der Anerkennung" zukommen zu lassen und mehr geistige Freiheit zu bieten. Rossel plädierte dafür, die Förderung der Kreativwirtschaft "nicht nur auf die Sicht des Standort-Marketings zu beschränken".
Mit diesem Gedanken muss sich Wirtschaftsminister Brutschin, durch und durch Ökonom, vielleicht noch etwas anfreunden. Er will jetzt ein "branchenspezifisches Förderprogramm lancieren" und den Fokus vor allem auf Design und Architektur legen. Zu diesem Zweck beauftragte er Martin Heller (unten auf "Audio" klicken) mit der Bildung eines siebenköpfigen Steuerungsausschusses, der innerhalb von drei Jahren "messbare Beiträge" zu einer Belebung der Kreativen-Konjunktur vorzulegen.
Ergebnisse in drei Jahren
Heller will denn auch "zeitnah Nägel mit Köpfen machen". Bis im Herbst will er sein Gremium – auch mit Sukkurs aus dem Ausland – formiert haben. Anfang kommendes Jahr will er mit einem Budget von jährlich 300'000 Franken loslegen. Allerdings, gab er zu bedenken, reichten Förderungsbemühungen nicht aus, "wenn der politische Wille dazu nicht vorhanden ist".
Die Studie zur Basler Kreativwirtschaft kann unter awa@bs.ch bezogen werden. 40 Franken (inkl. Versandkosten).
Transparenz: Autor Peter Knechtli wurde im Rahmen der Expertenbefragungen der Studie interviewt
20. Mai 2010