"Wer alle Bedingungen erfüllt, ...": Swisscom-Ermittlungsergebnis
"Sie wissen nicht, wer ich bin"
Sex-Vorwürfe an verhafteten "Zunamis"-Heimleiter: Er drohte seinem Vorgesetzten schon vor zwei Jahren
Von Peter Knechtli
Nach der Verhaftung des "Zunamis"-Heimleiters B. T. wegen Sex-Vorwürfen steht jetzt die Fachstelle Jugendhilfe des Basler Erziehungsdepartements im Fokus: Sie erteilte dem Verein "Zunamis" die Bewilligung, obschon gegen den Leiter ein Strafverfahren lief.
Seit Ende März sitzt der demnächst 38-jährige B. T. in Basler Untersuchungshaft. Grund: Dem damaligen Leiter der neu gegründeten sozialpädagogischen Institution "Zunamis", die Wohngruppen für Jugendliche in schwierigen Situationen anbietet, warfen zwei Heimbewohnerinnen um Alter von 17 und 19 Jahren vor, sie sexuell missbraucht zu haben. Die beiden jungen Frauen, vom Heimleiter abhängig, hatten Anzeige erstattet. Laut dem "Tages-Anzeiger" sollen die Übergriffe zwischen August 2010 und März 2011 in den Räumlichkeiten der Wohngruppen erfolgt sein.
Schulabschluss-Dokument gefälscht?
Aus der heute Freitag veröffentlichten Antwort der Basler Regierung auf eine Interpellation von SP-Grossrätin Ursula Metzger Junco geht hervor, dass die Fachstelle Jugendhilfe der Abteilung Jugend- und Familienangebote des Basler Erziehungsdepartements dem Verein "Zunamis" am 4. Januar dieses Jahres die Bewilligung zur Führung von Wohngruppen für Jugendliche rückwirkend auf den 1. Juli letzten Jahres erteilt hat.
Ob die Fachstelle vor der Erteilung der Bewilligung hinreichend recherchiert hat, bleibt indes offen. In den Unterlagen, die der Verein "Zunamis" Ende September beim Erziehungsdepartement einreichte, befand sich auch eine Bestätigung, wonach der Heimleiter B. T. "eine anerkannte höhere Fachschule für Sozialpädagogik erfolgreich abgeschlossen hat", wie es in der Regierungsantwort weiter heisst.
Diese Angabe scheint der Bewilligungsinstanz genügt zu haben, obschon nach der Verhaftung der "Verdacht" (Regierung) aufkam, "wonach ein Teil der Unterlagen gefälscht sein könnte". Damit dürfte eine Bestätigung der Zürcher Fachschule Agogis gemeint sein. Doch laut "Blick" hatte diese Höhere Fachschule für Soziales nur eine "Ausbildungsbestätigung" ausgefertigt, worin steht, dass B. T. ab August 2006 die Schule besuchte. Zum Diplom habe es ihm aber nicht gereicht.
Ein sehr unangenehmes SMS
Bei Recherchen erfuhr OnlineReports nun, dass B. T.s berufliche Biogafie schon vorher etliche Schwachpunkte aufwies. Während rund zehn Jahren war er zunächst als Koch, seinem erlernten Beruf, und später als EDV-Spezialist bei den Sozialpädagogischen Wohngruppen am Karpfenweg in Basel tätig. Träger dieser Institution ist der "Verein Basler Lehrlingsheim". In dessen Vorstand ist seit über zwanzig Jahren der Reinacher Treuhänder und Sanierer Urs Baumann (Bild) als Vizepräsident für administrative und finanzielle Belange zuständig.
Zwischen T. und Baumann kam es im Frühjahr 2009 zu einem heftigen Streit, nachdem T. kostenintensive Sicherheitskomponenten eliminiert und ein neues System aufgebaut hatte. "Ohne dass der Vorstand davon Kenntnis hatte" (Baumann), hatte T. ausserdem mit seinem damaligen "Karpfenweg"-Wohngruppenleiter nebenberuflich die "Zunamis"-Wohngruppen aufgebaut. Am 1. April 2009 massregelte Baumann T. für seine eigenmächtige Änderung des EDV-Systems. Am 3. Juni, kurz nach 21 Uhr, erhielt Baumann ein anonymes SMS, in dem ihm klar gedroht wurde: "Sie wissen nicht, wer ich bin. ... Sie würden ihr gewohntes Leben nicht mehr leben können ..."
Strafanzeige wegen Drohung
Das SMS erfolgte verblüffenderweise ab der Rufnummer von Baumanns Tochter, die von nichts wusste. Baumann liess die Herkunft des SMS klären. Die Swisscom-Ermittlungen ergaben: Absender war B. T. in Kandersteg. Die Rufnummer des Absenders war scheinbar manipuliert worden. Baumann reichte im Juni 2009 Strafanzeige wegen Drohung ein, am 1. Juli wurde T. fristlos entlassen.
Obschon diese Vorfälle – zumindest die hängige Strafanzeige – dem Erziehungsdepartement laut Baumann bekannt sein mussten, erhielt der Verein "Zunamis" unter der Leitung von B. T. die Betriebsbewilligung. Die Abteilung Kindes- und Jugendschutz platzierte dort bisher 18 Klientinnen und Klienten. Für Urs Baumann ist es unverständlich, das T. trotz der Vorgeschichte ein staatliche Bewilligung erhielt, und dass dessen Vergangenheit unzulänglich recherchiert wurde.
Kanton übernimmt keine Verantwortung
Thomas Mächler, Sprecher des Basler Erziehungsdepartementes, wollte sich gegenüber OnlineReports nicht im Detail äussern. Er sagte bloss: "Wer alle Bedingungen erfüllt, hat das Recht, eine Bewilligung zu erhalten." Während des Bewilligungsverfahrens erhalte das Departement "keine Kenntnis von hängigen Strafverfahren". Es liege nur ein Strafregisterauszug vor, und der habe im Fall T. keinen Eintrag aufgewiesen.
Auch die Regierung sieht "keinerlei Hinweise" für ein widerrechtliches Handeln der staatlichen Aufsicht. Die Verantwortung für die "Geschehnisse" habe der "mutmassliche Täter" zu übernehmen. Im Falle einer Verurteilung könne er zu Schadenersatz und Genugtuungszahlungen verpflichtet werden. Der Verein "Zunamis" hafte für Schäden, die seine Arbeitnehmenden im Rahmen ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursachen.
Künftig mehr Gewicht für subjektives Gefühl
Während sich die Regierung sehr sibyllinisch zu möglichen Konsequenzen äussert, wurde Ruedi Hafner, der Leiter der Fachstelle Jugendhilfe, gegenüber OnlineReports konkreter. Das Augenmerk werde künftig "nicht nur auf die technischen Vorgaben gelegt, sondern auch auf das subjektive Gefühl und den persönlichen Eindruck" eines Leiters. Ausserdem werde geprüft, ob die Trägerschaft neben dem Strafregisterauszug nicht auch eine aktuelle Beglaubigung einreichen müsse, wonach gegen den Wohngruppenleiter kein Strafverfahren hängig ist. Hafner sagte ausserdem, er sei von Baumann nicht über die Strafanzeige wegen Drohung informiert worden.
Die bisherige "Zunamis"-Wohngruppen werden einstweilen interimistisch geführt. Laut Hafner sind Bestrebungen im Gange, eine bestehende professionelle Trägerschaft mit der Leitung zu betrauen.
Für den Angeschuldigten B. T. gilt die Unschuldsvermutung.
3. Juni 2011