© Fotos Aurel Schmidt, OnlineReports.ch
"Unglaubliche Bilder": Rapsfeld bei Metzerlen
Von Basel nach Laufen laufen oder Der Weg ist wie ein Film
Schritt für Schritt einen weiten Weg zurückzulegen, kann ein Erlebnis sein, das einen neuen Eindruck von der begehbaren Landschaft vermittelt
Von Aurel Schmidt
An der Schifflände in Basel gibt ein Wegweiser für die Strecke nach Laufen 10 Stunden 30 Minuten an. Das ist reichlich viel. Aber es kommt auf den Versuch an. OnlineReports-Mitarbeiter Aurel Schmidt, ein leidenschaftlicher Geher, hat den Weg zurückgelegt. Die Angabe stimmt nicht.
An einem schönen Freitagmorgen im Mai machte ich mich auf den Weg. Offen gestanden, mit dem roten Rucksack auf dem Rücken und den Wanderschuhen kam ich mir in der Schneidergasse eher deplaziert vor. Trotzdem stapfte ich unverdrossen weiter. Aus Verlegenheit gestand ich einem Bekannten, den ich am Fuss des Spalenbergs traf, mein Vorhaben. Nur so konnte ich der Frage: "Wo willst Du denn hin?" aus den Weg gehen, auf dem ich mich befand.
Der Spalenberg als kleines Bergmassiv war der erste markante landschaftliche Punkt. Nicht sehr reizvoll. Bauarbeiten behindern vorübergehend den Fussgängerverkehr. Im Rückblick kann ich sagen, dass der 100 oder 200 Meter lange Anstieg das Wegstück mit der grössten Zeichendichte war. Bereits in der Schützenmattstrasse und erst recht in der Schützenmatte und dem Sportplatz Schützenmatte lockerte sich diese Dichte markant.
Philosophie am Wegrand: Ein Werbeplakat für ein Tafelgetränk verhiess folgende Weisheit: MACHEN IST DER ERSTE SCHRITT ZU EINZIGARTIGKEIT.
Gehen als eine Form des Machens
Das stimmt auch im umgekehrten Sinn: Gehen, laufen, schreiten, also die Abfolge von Schritten, ist ebenfalls eine Form des Machens, durch welches persönliche Einzigartigkeit hergestellt wird. Ich bin schon dabei. Es ist noch ein weiter Weg zu laufen bis Laufen.
Am Neuweilerplatz kaufe ich etwas zu trinken und einen kleinen Mundvorrat ein. Und jetzt los!
Am Allschwiler Weiher gibt der Wegweise bis Biel-Benken eine Zeit von 2 Stunden 20 Minuten an. Die erste Entscheidung wird fällig, den Weg entweder über Spitzwald Richtung Neuwiller oder aber dem Dorenbach entlang durch den Allschwilerwald zu nehmen. Ich entscheide mich für die Spitzwald-Variante, weil ich so schneller auf die Höhe und über weite Distanz über Felder und offenes Land kommen würde.
Der Boden ist stocktrocken. Das ist in dieser Gegend selten der Fall, ich kenne die Verhältnisse, die hier angetroffen werden, gut. Meistens versinkt man im Sumpf, vor allem in Herbst, Winter und Frühjahr. Der Name für das Leymental verweist auf den lehmigen Untergrund in dieser Gegend.
2 Stunden 45 nach Aufbruch an der Schifflände erreiche ich das Friedrich-Oser-Denkmal. Der Blick gleitet über die Rebberge von Biel-Benken, über das Obere Leymental und den Hügelzug des Blauen in der Ferne, der später überquert wird.
Kurzer Halt bei Friedrich Oser und in Flüh
Friedrich Oser (1820-1891) war Dichter-Pfarrer in Waldenburg, in der Basler Strafanstalt und zuletzt in Biel-Benken. "Seit den 1840er Jahren widmete er sich der Poesie. Durch seinen unermüdlichen dichterischen Fleiss ...", überliefert der Nachruhm. Macht Fleiss den Meister, den Dichter? Ich kann es mir nicht vorstellen. Im Antiquariat sind Osers "Kreuz- und Trost Lieder" (1865) noch zu finden.
Etwas mehr als zwanzig Minuten reichen aus, um Biel-Benken zu durchqueren und es am anderen Ende wieder zu verlassen. Neu aufgestellte Profilstangen zeigen, wie die Stadt ins Land hinauswächst. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich seit Spitzwald keinen Menschen mehr gesehen habe. In Biel-Benken wird die Zivilisation für kurze Zeit stärker codiert und gleich danach wieder decodiert, wenn das Feld auf dem Weg von Biel-Benken nach Flüh in der Hitze des Mittags folgt. Es ist in einer halben Stunde zurückgelegt.
Um 12 Uhr 15 komme ich in Flüh an. Drei Stunden unterwegs, damit habe ich gerechnet. In einer Beiz kehre ich an, denke an das Gedicht "Au Cabaret-vert" von Arthur Rimbaud, der darin beschreibt, wie er unterwegs einkehrte, und bestelle gegrillte Pouletbrust mit Salatbouquet und Mineralwasser zum Trinken. Wie ich das Gedicht verstehe. Unter den Storen staut sich die Hitze. Elsässische Gäste am Nebentisch lachen laut, zwei Frauen verdrücken eine Riesenpizza "Hawai", ich muss die Hälfte des Essen zurückgeben, zu gross ist die Portion.
Nur die Hälfte und doch zuviel gegessen
Um 13 Uhr 30 setzt ich den Weg fort. Der Aufstieg auf die Höhe von Mariastein ist steil, die Sonne brennt und ich muss mir sagen, dass ich nur die Hälfte, aber trotzdem zuviel gegessen habe.
Auf der Höhe erstreckt sich der Blick über das Hochtal bis zur Challhöchi und zum Rämelsberg. Wieder muss eine Entscheidung getroffen werden. Die eine Möglichkeit besteht darin, direkt über das Usserfeld nach Metzerlen vorzustossen, das ist der kürzere Weg, oder über die St. Anna-Kapelle durch den wunderbaren Niderholz-Wald zwischen Metzerlen und Rodersdorf. Dafür muss ungefähr die doppelte Zeit eingerechnet werden. Ich wähle diesen Umweg, weil der Wald jetzt angenehmen Schatten spendet. Beim Rebberg am St. Anna-Hügel betrete ich ihn.
Die Solothurner Waldwanderung hat hier einen markierten Lehrpfad mit Erklärungen angelegt. Der Mittelwald, so wird gesagt, verlangt Eingriffe zu Gunsten der Artenvielfalt.
Der Wald ist ein Raum
Das dichte Grün der Bäume und Sträucher ergibt eine dichtwüchsige, raumfüllende Geschlossenheit. Der Wald ist weniger ein Ort und mehr ein Raum, er empfängt den Waldgänger und nimmt ihn wie in einer Kammer auf. Das bist Du, denke ich, "tat twam asi", wie der Buddhist sagt.
Vor einem halben Jahr, als hier hoch Schnee lag, klirrten die Äste in der Winterkälte. Bin ich der Gleiche wie damals? Wie verändert sich der Wald von einer Jahreszeit zur anderen, und wie überträgt sich diese Veränderung auf den Menschen, der ihn zu verschiedenen Zeiten begeht? Die zwei Zeiten der Realzeit und der Erinnerungzeit fügen sich zu einer einzigen Lebenszeit zusammen. Ich gehe um mein Leben. Ist es so? Nicht alles liegt auf der Hand und ist zum Greifen da. Aber an der Tatsache des Waldes will ich nicht zweifeln.
Beim Verlassen des Waldes, dort wo ein schmaler Fussweg in fünfzehn Minuten nach Rodersdorf hinunter führt, liegt eine dunkle Wolke über dem Land. In der Ferne leuchten die Rapsfelder in einem grüngelben Farbrausch wie auf einem abstrakten Bild in einem Museum, vor mir erhebt sich der Blauen. Unglaublich, die Bildeindrücke, die unterwegs angetroffen werden.
Am höchsten Punkt unterwegs
Metzerlen wird durchschritten. Wieder erfolgt ein steiler Anstieg, zuerst durch die Villen am oberen Dorfrand, dann auf einer langen geraden und bequemen, stetig ansteigenden Wegstrecke. Nach einer Weile zweigt rechts ein nicht markierter Weg ab, gelangt zu einem freien Feld und führt nach einem weiteren letzten kurzen Anstieg hinauf zum Metzerlen Chrütz.
Der Wegweiser gibt die Höhe an: 780 Meter. Es ist der höchste Punkt der Strecke. Bis nach Laufen beträgt der Weg von hier aus noch 1 Stunde 25 Minuten. Nur denke ich, ist das alles? Mein Zeitplan ist weitgehend eingehalten. Wahrscheinlich liegt die Angabe an der Schifflände bei weitem daneben. Bald werde ich es wissen. Zehn Minuten genügen hinunter zum Bergmattenhof. Noch einmal mache ich Rast. Was renne ich durch die Gegend? Bin ich vielleicht auf einer Militärmarschübung? Strebe ich einen Rekord an und besteht mein Ziel allein darin, die Streckenangabe zu unterbieten? Das wird wahrscheinlich sowieso der Fall sein. Wo bleibt also das Spielerische, Leichtfüssige? Zwanzig Minuten Aufenthalt könne ich mir gönnen. Die Wolken haben sich längst verzogen.
Von hier aus führt der Weg steil hinunter und schlängelt sich weiter durch ein enges Tälchen, aber ich bekomme allmählich den Eindruck, dass der Weg nimmer endet. Noch ein Schritt, noch einer, noch ein weiterer. Noch viele weitere. Das Tal duftet betörend nach Bärlauch.
"Hier bin ich vorbeigekommen"
Noch eine Anstrengung, dann endlich ist Laufen erreicht. Um 17 Uhr 35 durchschreite ich das Baslertor, um 17 Uhr 45 ist der Bahnhof erreicht. War es das? Die zwei Aufenthalte in Flüh und auf dem Bergmattenhof in Betracht gezogen, war ich knapp sieben Stunden unterwegs. Hätte ich in Mariastein den direkten Weg über das Plateau genommen, wären es nur gerade 6 Stunden 30 Minuten gewesen. Aber um rechnerische Rechthaberei geht es jetzt nicht. Der Weg ist zurückgelegt, zusammengesetzt hat er sich aus der Vielzahl der zurückgelegten Schritte. Im Rückblick verfolge ich ihn noch einmal wie einen Film und bekomme den Eindruck, im Kino gesessen und zugeschaut zu haben, wie sich die urbane und natürliche Landschaft mit den Elementen, aus denen sie sich bildet, mit Strassen, Plakatwänden, Waldwegen, Weinbergen, Fernsichten, Dörfern, Wegkreuzen und so weiter, zu einer Umgebung formiert hat, die sich sozusagen laufend, das heisst ununterbrochen und Schritt für Schritt verändert. Ein Road Movie? Aber ja doch.
Hier bin ich vorbeigekommen. Das habe ich gesehen. Ich habe den Weg körperlich erlebt und erfahren und gewissermassen inkorporiert, in meinen Körper aufgenommen. Er ist zu einem Teil meines Da-Seins geworden. Um 17 Uhr 56 fährt der Zug im Bahnhof Laufen ein und bringt mich in etwas weniger als zwanzig Minuten nach Basel SBB zurück.
Aurel Schmidt ist auch Autor des Buches "Gehen. Der glücklichste Mensch auf Erden", Huber Verlag. 306 Seiten, 2007. 48 Franken.
18. Mai 2011
Weiterführende Links:
"Angegeben ist der Jubiläumsweg"
Mit Interesse habe ich den Artikel von Aurel Schmidt gelesen. Wie von ihm gewohnt, ist auch dieser Artikel über das Wandern sehr animierend abgefasst. Enttäuschend ist lediglich die falsche Information über die Wanderzeit von der Schifflände in Basel nach Laufen mit 10 Stunden und 30 Minuten. Bei diesem Wanderweg handelt es sich nämlich um den Jubiläumsweg der beiden Basel, der im Jahr 2001 anlässlich der 500 Jahre Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft eröffnet wurde. Dieser Weg führt weder durch die Schneidergasse noch über den Spalenberg oder die Schützenmatte. Nein, für diesen Weg wurde eine Route gewählt, die den Sehenswürdigkeiten der beiden Kantone nachgeht.
Dazu wurden zwei "Äste" gewählt, der eine führt von der Schifflände nach Bad Bubendorf und der andere von der Schifflände nach Laufen. Um möglichst viele Sehenswürdigkeiten zu erfassen, hat man kein direkter Routenverlauf gewählt, sondern bewusst einige Schlaufen eingebaut. So führt der "Ast" nach Laufen zuerst über St. Margreten und das Bruderholz, um anschliessend die Birstalseite zu wechseln und auch der Ermitage in Arlesheim die Referenz zu erweisen.
Dadurch ergeben sich eben 10 Stunden und 30 Minuten, wobei natürlich die Initianten dieses Jubiläumsweges nicht erwarten, dass jemand diese Strecke an einem Tag zurücklegt. Wandern soll schliesslich unbeschwerliche Freude bereiten, denn nur so kann folgendes Zitat aus dem Buch "Gehen" von Aurel Schmidt auch in Wirklichkeit erlebt werden: Wer geht, ist der glücklichste Mensch auf Erden.
Werner Madörin, Präsident Wanderwege beider Basel, Aesch
"Eine andere Route ist gemeint"
Mit Interesse habe ich Ihren Artikel gelesen und bin in Gedanken mitgewandert. Die Zeitangabe auf dem Wegweiser an der Schifflände stimmt schon, nur ist damit die Route des Jubiläumsweges gemeint. Und diese führt über den Münsterplatz, aufs Bruderholz, Münchenstein, Arlesheim, Ermitage - Ruine Dorneck - Aesch - Pfeffingen - Bergmatte - Blauenpass - Metzerlenchrüz - Burgchopf nach Laufen.
Christine Heuss, Basel
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