Die eigene und die fremde Meinung
In der jüngsten Vergangenheit ist mehr als deutlich geworden, dass ein neuer Sprechstil im Begriff ist, sich durchzusetzen. Es kommt nicht mehr darauf an, eine Meinung zu äussern, wie falsch sie auch sein mag, sondern einzig darauf, Recht zu haben und zu behalten. Etwas ist entweder absolut richtig oder total falsch. Dabei wissen wir, dass das meiste Gesagte ein bisschen richtig und ein bisschen falsch und in den meisten Fällen sicherlich streitbar ist.
Was nicht in den Raster passt, ist ein "fertiger Blödsinn", der Kartoffelstock schmeckt nicht, sondern er ist "zum Kotzen". Alles Übertreibungen. Das gilt auch und erst recht im Politischen. Wenn eine Nationalrätin für die Aufhebung des Bankgeheimnisses eintritt, gilt eine solche Einstellung schnell als Landesverrat – wenn die SVP es so will.
In der politischen und medialen Arena werden Standpunkte mit Maximalanspruch plakatiert und propagiert. Es gibt nur eine richtige Denkweise, die eigene. Am besten kommt an, wer Behauptungen in die Welt setzt, weil "Dreistigkeit", wie Immanuel Kant wusste, den Anschein von Rechtmässigkeit erweckt. Wer jedoch Fakten nennt, gilt als Scharfmacher.
Die Sprache ist zu einem Kampfmittel geworden. Auseinandersetzungen finden selten statt. Wir haben es mit einem sprachlichen Überbietungswettbewerb zu tun, wozu die allgemeine Public-Relations-Mentalität wesentlich beiträgt.
Die Besserwisser, die immer recht haben, führen einen erbitterten Kampf gegen die Rechthaber, die alles besser wissen.
Übertreibe ich? Ich habe kürzlich in der Dorfwirtschaft in einer wohlhabenden Agglomerationsgemeinde von Basel den Leuten bei ihren Gesprächen zugehört. Es war eine einzige Beschimpfung Anderer.
Noch eine Übertreibung? Tatsächlich sind wir heute alle mit einer Inflation von (fremden) Meinungen, Ansichten, Überzeugungen in einem Mass konfrontiert, dass es oft kaum zum Aushalten ist. Nichts ist schwieriger zu ertragen als eine abweichende Aussage. Das bringt es leicht mit sich, dass Menschen, die etwas anderes denken, schnell einmal als Demagogen, Rassisten, Sozialisten, Moralisten, Schwadroneure etc. etc. bezeichnet werden.
Wer nichts zu sagen hat, neigt aus einem Manko an Argumenten dazu, den Gegner mit seinen Vorstellungen in Grund und Boden zu verdammen. Dabei ist selber des Teufels, wer Andere verteufelt. Vergessen wird ausserdem, dass die eigene Meinung jedesmal eine fremde, nicht selten ärgerliche Meinung für die Anderen ist. Trotzdem muss es möglich sein, eine kritische, kontroverse Auseinandersetzung zu führen, nicht um einen Konsens zu erzielen, sondern um zu einem besseren Verständnis beziehungsweise einer vertieften Erkenntnis zu gelangen. Zu diesem Zweck würde es genügen, wenn jeder einfach sagte, was er denkt.
Niemand besitzt allein die Wahrheit. Das bedeutet: Überhaupt niemand besitzt sie. Was wir sagen, kann nie das ultimative Fazit sein, sondern stets nur ein anfechtbarer Vorschlag.
19. November 2007
"Redet weiter aufeinander ein"
Nachdem ich diesen Artikel gelesen habe ist mir die Lust am Reden vergangen. Es wäre doch einfacher, wenn wir einander wieder mal zu hören würden. Jeder kann sagen, was er will und wie er will. Aber was nützt es, etwas zu sagen, wenn doch keiner zuhört. So stellt sich vielleicht auch die Frage, weshalb denn auch noch solche Artikel verfassen, die von den immer gleichen gelesen und auch nur von denen kommentiert werden. In diesem Sinne: Redet weiter aufeinander ein und hört euch sicher nicht zu.
Franz Mäder, Basel
"Es wird zu viel zu dumm herumgeschwatzt"
Wieder lese ich hier einen sehr nachdenkenswerten Text von Aurel Schmidt. Wie das im Nachrichten-Alltag aussieht, kann man an dem Folgenden ablesen: Eben habe ich am Inforadio für Berlin und Brandenburg das "Neueste" gehört:
Thema 1: Die Bahnleitung und die Geschäftsleitung der GDL (Gewerkschaft der Lokführer) würden sich morgen Dienstag an einem geheimgehaltenen Ort treffen, um "auszuloten", was gehen würde. Das, denke ich, hätte man schon vor zwei Monaten unternehmen können. Aber da hiess es: Verhandelbar ist gar nichts, alle bei der Bahn sollen gleich behandelt werden. Punkt und Basta (Bahnmanagement). Und es hiess: Nur bei einem eigenen Tarifvertrag verhandeln wir. Und es muss eine mindestens zweistellige Lohnerhöhung im Angebot sein. Punkt und Basta (GDL). Dazwischen: Streiktage, die in einer Riesenstadt wie Berlin von den meisten Betroffenen mit der Ruhe von Toleranten hingenommen worden sind, über die in der veröffentlichten Meinung selbstredend niemand spricht oder schreibt.
Thema 2: Die CSU verlangt Kindergelderhöhung bereits für 2009, nicht erst, wie eben, auch mit CSU-Unterstützung beschlossen, 2010. Zwischen dem Beschluss und der CSU-Veröffentlichung liegen die Veröffentlichungen der neuesten Meinungsumfragen. Und siehe da, die von CDU und CSU vor einer Woche zurückgenommene Zusage in Sachen Post-Mindestlöhnen erwirkte einen offensichtlichen Rückgang der Zustimmungsrate zu diesen Parteien. Also schnell ein neues Feld eröffnen, auch wenn man dieses aus vernünftigen Gründen eben erst abgeschlossen hatte.
Was kümmert es die PR-Abteilungen der Regierenden, was sie gestern verkündet haben! "Wahrheit", die sie täglich im Brustton des Ewigkeitswertes verkünden, gilt dort nicht einmal für die Zeit, während der sie verkündet wird.
Thema 3: Der sich selbst ernannte Wahlsieger im Kosovo (etwas über 35 Prozent, der Wähler haben wohl seine Partei gewählt), Thaci, erklärt, dass er in etwa einem Monat die Unabhängigkeit des Kosovo als Staat verkünden werde. Die Probleme des Zusammenlebens der verschiedenen Ethnien, welche bedrohliche Dimensionen aufweisen, dieses Mal und seit annähernd 10 Jahren ausschliesslich für die serbische Minderheit im Kosovo, existiert in der veröffentlichten Nachrichtenwelt einfach nicht (man hat ja die serbischen "Bösewichte", denen man alle Schuld an den fruchtlosen Verhandlungen zuschieben kann).
Es wird seit längerer Zeit einfach auch viel zu viel dumm herumgeschwatzt, was wohl eindeutig mit der heutigen Medienstruktur und Begriffen wie "Auflage" oder "Einschaltquote" zu tun haben dürfte.
Alois-Karl Hürlimann, Berlin