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"Alle Möglichkeiten studieren": Strom-Stratege Rainer Schaub
Der Richter und seine Stromer
EBM-Präsident Rainer Schaub wird zum Ende seiner beruflichen Karriere noch ein richtiger Strom-Baron - mit unerwarteten Problemen
Von Marc Gusewski
Alt Strafgerichtspräsident und Ex-SP-Regierungsratskandidat Rainer Schaub (71) managt als Interims-Verwaltungsratspräsident die Fusion von Atel und der Westschweizer Energie Ouest Suisse (EOS). Doch ausgerechnet ein juristischer Patzer gefährdet das milliardenschwere Unterfangen zum Ende von Schaubs ungewöhnlicher Karriere. Heute Mittwoch tritt er als Verwaltungsratspräsident der Elektra Birseck (EBM) zurück.
Eigentlich hatte Rainer Schaub für heute Mittwoch seinen Rückzug aus dem Erwerbsleben angekündigt. Statt dessen katapultierte ihn sein Amt als Elektra Birseck-Verwaltungsratspräsident und Rechtsberater an die Spitze des Stromriesen und europäischen Players, Aare-Tessin AG für Elektrizität (Atel), wo den passionierten Pfeifenraucher und Jasser der möglicherweise heikelste Job seines Lebens erwartet.
Denn wenn von Giuliano Zuccoli, dem Präsidenten der Mailländer Stadtwerke (AEM), die Rede ist, dann gerät der frühere Baselbieter Strafgerichtspräsident Schaub, dem in 24 Amtsjahren in Liestal einiges untergekommen ist, ins Mutmassen und Lavieren. Der einflussreiche Italiener ist nur einen Steinwurf vom Dom entfernt in einem Verwaltungsbau im Stil der Bauhaus-Moderne zu Hause. Von hier aus gibt er den Unterhändlern der Schweizer Strombosse derzeit Saures. Statt 5 Prozent für die AEM als Atel-Aktionärin fordert er vom geplanten gigantischen Firmenzusammenschluss von Atel und EOS eine Beteiligung von 20 Prozent - viel mehr, als ihm die Schweizer zubilligen.
Grund: Zuccoli fand aktienrechtliche Verfahrensfehler, um den Fusions-Deal zu blockieren. Jetzt hat er die Atel-Manager nun da, wo er sie gerne haben wollte: In der Defensive. Wider Erwarten sieht sich Jurist Schaub jetzt mit der Herausforderung konfrontiert, die ursprüngliche Fusionsidee von Atel und EOS zu retten, ohne den für Atel wichtigen Partner AEM zu vergraulen.
Per Zufall ins Strom-Geschäft
Schaubs mehr oder weniger zufällige Karriere im Strom-Geschäft geht zurück auf seine Tätigkeit im Gemeinderat von Binningen, dem er von 1965-1986 angehörte. Er wurde verpflichtet, als Delegierter des Gemeinderats die Interessen innerhalb der Elektra Birseck zu vertreten. Die Elektra ist als Genossenschaft organisiert und räumt allen ihren Kunden - ausser Mietern - ein Mitbestimmungsrecht ein. Bereits 1971 wurde der fleissige Schaffer Schaub als Mitglied in den Verwaltungsrat der Elektra befördert. 1995 übernahm er von Oskar Vetter das Präsidium. Heute Mittwoch gibt Schaub statutengemäss das Präsidium voraussichtlich an Alex Stebler weiter.
Aus energiepolitischer und energiewirtschaftlicher Sicht fiel Schaubs Elektra-Präsidium in eine einmalig bewegte Zeit. Das einst Undenkbare ist wahr geworden: Die Strommonopole wurden geknackt und lösten hektische Betriebsamkeit aus. Als Reaktion gab sich die Elektra Birseck eine neue wirtschaftliche Verfassung in Form einer Holding mit Firmentöchtern, denen mehr Flexibilität am Markt zugetraut wird als einem direkt-genossenschaftlich kontrollierten Unternehmen.
Kühles Verhältnis zur SP-Basis
Wird Schaub nach seiner Motivation für die Arbeit im Strombusiness gefragt, so schimmern in der Antwort meist Argumente der Pflichterfüllung und des Gemeinwohls durch, für das er sich politisch einsetzte. Schaub trat der sozialdemokratischen Partei bei, deren Positionen ihm am meisten zusagten. Beruflich wirkte der Jurist zuerst in der Baselbieter Justizdirektion, dann als Staatsanwalt und von 1972-1996 als Strafgerichtspräsident. 1965 wurde er in den Binninger Gemeinderat gewählt, 1967 in den Landrat, 1979 in den Baselbieter Verfassungsrat und einige Jahre war er Präsident der SP Baselland.
Das Verhältnis zwischen dem in den achtziger Jahren dominanten ökologischen Parteiflügel und dem ehrgeizigen Schaub blieb kühl. Nach zwei gescheiterten Anläufen in den Regierungsrat (1982 gegen Werner Spitteler und 1983 mit Paul Jenni in den Gesamterneuerungswahlen), zog sich Schaub zurück. Der leise Vorwurf, die Partei habe zu wenig für seine Wahl getan, hängt noch heute in der Luft - berechtigt.
Wenig Verständnis für Atom-Ausstieg
Dem politischen Gemeinwohlvertreter im Energieunternehmen EBM war ausgerechnet sein nicht-energiepolitisches Auftreten innerhalb der SP zum Handicap geworden. Zwar hat Schaub wie viele das geplante Atomkraftwerk Kaiseraugst abgelehnt ("Der Bedarf dafür war nicht gegeben"). Aber weder für eine Energiewende noch für einen Atomausstieg mochte er sich stark machen. Dass ausgerechnet ein SP-Vertreter an massgeblicher Stelle so dachte und handelte, verärgerte seine Parteikolleginnen und -kollegen umso stärker je akzentuierter das Energiethema zum politischen Merkmal der SP wurde. Halbherzige Unterstützung seiner Kandidaturen war die Folge.
Die Wunde ist noch offen. Schaub: "Wieso sich die SP den Atom-Ausstieg und die Energiewende zum Thema gemacht haben, was die Poch und die Grünen ja vertreten haben, ist mir stets schleierhaft geblieben." Beim Schisma blieb es bis heute. Parteikollegin und langjährige Präsidentin der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst (GAK), Heidi Portmann, über ihren konservativen Parteigenossen spitz: "Schaub an der Spitze der Atel passt gut: Energiepolitische Dinosaurier an der Spitze steinzeitlich orientierter Stromunternehmen."
Atel für Baselbieter Stromversorgung wichtig
Ausgerechnet die Atel hat unter energiepolitischen Aktivisten in beiden Basel einen legendär üblen Ruf. In den unvergessenen Auseinandersetzungen um Kaiseraugst und dem Atomkraftwerk Gösgen kam es zu teilweise schlimmen Szenen, etwa als bei Gösgen demonstrierende Anti-AKW-Aktivisten von der Polizei über die Gleise des Bahnhofs getrieben wurden - immer unterstützt und angestachelt von hochrangigen politischen Vertretern der Atel in Olten und ihrer Muttergesellschaft Motor-Columbus in Baden, die den Bau in Kaiseraugst vorantrieben und die teilweise bei der ungesetzlichen Ausschnüffelung von Kritikern durch den Staatsschutz mitverantwortlich waren.
Zwar wurde Kaiseraugst verhindert, aber die Elektra Birseck wie auch die Elektra Baselland (EBL) intensivierten ihre historischen Beziehungen zur Atel. Gerade in diesem Frühjahr investierten beide Unternehmen weitere rund 100 Millionen Franken - nicht ohne Grund: Die Atel gilt als für die Stromversorgung des Kantons entscheidend.
Verkauf an den Meistbietenden verhindern
Rainer Schaub war für die EBM im vergangenen Jahr an führender Stelle beteiligt, ein kompliziertes juristisches Vertragswerk auszuhecken, um einen von der UBS angekündigten Verkauf der Atel an den Meistbietenden zu verhindern und für eine schweizerische Eigentümerschaft zu sorgen. Koordiniert von der EBM, organisierten sich die Elektra Baselland, der Kanton Solothurn, die Stadtwerke von Aarau, Zug und Lugano im "Konsortium Schweizerischer Minderheiten" - mit den bereits beteiligten Electricité de France und der Westschweizer Energie Ouest Suisse (EOS). Mit diesen Partnern kaufte das Konglomerat im vergangenen Herbst von der UBS für 1,2 Milliarden Franken indirekt die Atel-Mehrheit, die von der Badener Motor-Columbus kontrolliert wird.
Der Fahrplan sieht vor: Nunmehr in denselben Händen sollen zunächst Motor Columbus und Atel in eine Gesellschaft verschmolzen werden. Bis 2008 sollen in einem zweiten Schritt Atel und EOS fusioniert werden. So entstünde eine mächtige Schweizer Strom-Holding mit über zehn Milliarden Franken Umsatz und 9'000 Mitarbeitern, das zu den zwölf grössten Schweizer Firmen zählt.
Weit mehr als eine Formalität
Was anfänglich wie eine Formalität aussah, hat sich unterdessen zu einem gravierenden Problem entwickelt: Die Fusion der Atel mit Motor-Columbus liegt auf Eis, weil sich der Mailänder Strom-Mogul Zuccoli, einen Wertverlust der von ihm gehaltenen Atel-Anteile fürchtend, querlegt. Er fühlt sich aber auch verschaukelt. Anfang 2000 versprachen ihm die Schweizer Hilfe beim Aufbau eines neuen Unternehmens, das mit den Stadtwerken Mailand, Genua, Turin und anderen gebildet werden sollte: Die Atel änderte ihre Strategie weg von den Stadtwerken hin zu Kraftwerksgesellschaften. Im Gegenzug hatte aber Zuccoli beim Atel-Einstieg in Italien geholfen - insbesondere bei den mittlerweile für den Oltner Stromkonzern überlebenswichtigen Beteiligungen an Edison und Edipower.
Troubleshooter Rainer Schaub muss nun dafür sorgen, dass irgendwie wieder Frieden ins Haus Atel einzieht und ein Arrangement mit den Mailändern möglich wird, sonst sind die ursprünglichen Pläne schwerlich aufrecht zu erhalten. Schaubs Erfahrungen als Strafrichter helfen hier vielleicht ein bisschen weiter; den Umgang mit harten Jungs ist er gewohnt. Der "Mittelland-Zeitung" sagte Schaub, er sei über Zucolis Verhalten etwas "irritiert". Sein Sitz im Atel-Verwaltungsrat sei aber unbestritten: "Wir haben nicht im Sinn, das Kriegsbeil auszugraben."
14. Juni 2006