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Roche-Topmanager anlässlich der Pressekonferenz vom 21. Mai 1999 in Basel (v.l.n.r.): Präsident Fritz Gerber, CEO Franz Humer, Markus Altwegg (neuer Vitaminchef) und Jürg Witmer (neuer CEO von Givaudan Roure)
Vitamin: Verschwörung mit Nebenwirkung
Die illegalen Preisabsprachen von Roche erschüttern auch das Schweizer Medikamenten-Kartell und seine Margenpolitik
Von Peter Knechtli
Der milliardenschwere Vitamin-Preisbetrug durch Top-Manager des Basler Pharmakonzerns Roche hat folgenschwere Nebenwirkungen in der Schweizer Polit-Landschaft: Der Schwindel gibt den Kritikern des Pharmakartells Auftrieb.
Fritz Gerber (70) hätte sein reduziertes Pensum als Nurnoch-Präsident und das letztjährige Rekordergebnis ausgiebig geniessen können. Statt dessen muss der ungewöhnlich erfolgreiche Wirtschaftsführer zum Karriere-Abschluss derzeit den grössten Schnitzer seiner beruflichen Laufbahn ausbaden. Mit aschfahl versteinerter Miene stand er am Freitag vor den internationalen Medien zu einem internen Störfall, "der ohne jeden Zweifel als negativ in die Geschichte unseres Unternehmens eingehen wird".
Der grösste Schnitzer in Gerbers glorioser Laufbahn
Die Havarie verursacht hatten Vertrauensleute aus dem engsten Umfeld des für seine instinktsichere Personalauswahl berühmten Patrons. Das ebenso junge wie ehrgeizige Konzernleitungsmitglied Kuno Sommer (43) war es, das mit BASF, Rhône-Poulenc und einigen japanischen Vitamin-Herstellern ein ausgeklügeltes System von flexiblen Preisabsprachen organisierte. Folge: Während der neun Jahre dauernden Hochpreis-Verschwörung unter den wichtigsten Anbietern der Welt zahlte die Kundschaft bis zu 25 Prozent zuviel. Das Vitamin-Oligopol bereicherte sich dadurch mit illegalen Beträgen in Milliardenhöhe.
Konzernleitungsmitglied Roland Brönnimann, Leiter der Division Vitamine und Feinchemikalien, hatte gegenüber seinem direkten Vorgesetzten, CEO Franz Humer, gestanden, in die lukrative Art der Marktverzerrung eingeweiht gewesen zu sein. Konsequenz: Beide Topmanager wurden fristlos gefeuert. Sommer muss vier Monate unbedingt ins Gefängnis und 150'000 Franken zahlen. Auch Brönnimann und zwei weiteren ehemaligen Mitarbeitern droht Freiheitsentzug.
Nachdem Roche mit dem US-Justizministerium per Vergleich eine Busse von saftigen 750 Millionen Franken akzeptierte, will der Konzernchef und designierte Präsident Humer jetzt "so schnell wie möglich das Vertrauen unserer Kunden zurückgewinnen".
Grosser immaterieller Schaden
Doch so einfach wird die Konzernspitze nicht zum Tagesgeschäft übergehen können: Wenn selbst die Rekord-Busse, Folgekosten aus den hängigen Untersuchungen der EU-Kommission und aus den rund zwanzig Sammelklagen sowie freiwillige Wiedergutmachungszahlungen die Aussichten des glänzend positionierten Konzerns "nicht wesentlich beeinflussen" (Humer) - die Nebenwirkungen der konspirativen Preisabsprachen werden nachhaltig sein.
Mindestens so hoch wie die finanzielle Last - langfristig vielleicht noch höher - ist der politische Schaden in Form von Vertrauensverlust. Nachdem schon zu Beginn der siebziger Jahre der damalige Roche-Angestellte Stanley Adams seinen Arbeitgeber bei der EU-Behörde wegen illegaler Treuerabatte an Vitamin-Grosskunden verpfiff, könnte die neuerliche, fast ein Jahrzehnt lang unentdeckte Machenschaft den Eindruck erwecken, Verstösse gegen Antitrust-Bestimmungen seien Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg.
Die unverfrorene Art, wie sich eine Roche-Divisionsspitze mit Vitmin K wie Kartellabsprache an der Weltmarktspitze behauptete, könnte zu einem innenpolitischen Flächenbrand führen. Denn unweigerlich greift der Vertrauens-Crash über das Vitamingeschäft auf den Pharma- und Medikamentenbereich über.
Für die Pharmaindstrie der denkbar ungünstigste Zeitpunkt
Die Kartell-Katastrophe trifft die Schweiz in einem sensiblen Zeitpunkt: Traditionelle Konventionen im Gesundheitswesen sind im Umbruch, das Pharmakartell unter zunehmendem Druck, noch dieses Jahr steht im Nationalrat die milliardenschwere Ausmarchung um die Neuordnung des Medikamentenmarktes an, die Interessenvertreter der Pharmaindustrie sehen sich zu intensivstem Lobbying veranlasst.
Gleich bei Bekanntwerden zeigte der erneute "Fall Roche" Wirkung: In externen Pharmakreisen "ging das Fluchen los" (so ein Pharmavertreter). Roche-Vize und Vororts-Präsident Andres Leuenberger atmete, von der SonntagsZeitung um eine Stellungnahme gebeten, erst einmal tief durch: "Ich will jetzt kein Statement abgeben."
Eugen David: "Firmen machen langsam Angst"
Ganz anders die Reaktion des St. Galler CVP-Nationalrats Eugen David: "Dieser Fall im Vitamin-Bereich wird auch zu einem grundsätzlichen Ueberdenken des Pharmabereichs führen. Die Macht dieser riesigen Firmen macht mir langsam etwas Angst." Als Präsident des grössten Schweizer Krankenversicherers Helsana ist Eugen David überzeugt: "Die Pharmaindustrie hat überbordet."
Schlagartig haben bei David auch die umstrittenen ausländischen Referenzpreise, die das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) bei der Medikamenten-Preiskontrolle konsultiert, an Glaubwürdigkeit verloren: "Es könnte der Eindruck aufkommen, dass die Auslandspreise gar keine Marktpreise sind."
BSV-Direktor Otto Piller dagegen nimmt in Anspruch, dass die "pickelharte Sparpolitik" seines Amtes bereits Wirkung zeitige: "Bei der Zulassung neuer Medikamente können wir den Beweis antreten, dass wir einigermassen Europa-Preise haben." Und bei Medikamenten mit abgelaufenen Patenten seien seit Jahresbeginn Einsparungen von 200 Millionen Franken erzielt worden. Piller: "Unser Ziel ist, dass überall marktgerechte Preise herrschen."
Linke wollen Wettbewerb, Rechte Regulative
Der Weg zu diesem Ziel ist nach Meinung des Berner SP-Nationalrats Rudolf Strahm durch das Ethik-Destaster am Rheinknie geebnet worden: "Das ist Wasser auf die Mühle der Parallelimporte und eine Ohrfeige für die Lobby um die traditionell wettbewerbsfeindliche Interpharma." Vergangenen Dezember überwies der Nationalrat einstimmig Strahms Einzelinitiative, die eine Verankerung des Parallelimports von Pharmazeutika und der freien Zulassung von Generika im neuen Heilmittelgesetz fordert.
Dadurch will Strahm im Interesse der Prämienzahler die Medikamenten-Preise senken. Seine Rechnung: Medikamente seien in der Schweiz um 50 bis 150 Prozent teurer als im Ausland. Die feste Margenübereinkunft von Herstellern, Zwischenhandel und Apotheken führe dazu, dass im 4,5 Milliarden Franken starken Schweizer Pharmamarkt "eine Milliarde ungerechtfertige Zusatzmarge enthalten ist".
Paradox: Während die Linken auf Wettbewerb drängen, verteidigen die Liberalisierer den regulierten Pharmamarkt mit Argumenten, "die wir sonst nur für Bauern und die Käsewirtschaft kennen" (Strahm).
Im Lichte der jüngsten Ereignisse hat die Schweizerische Gesellschaft für Chemische Industrie mit ihren Schlagzeilen zu Parallel-Importen ("Der Gewinn geht in die falschen Taschen!") keinen leichten Stand. Sicher ist: Das Schweizer Pharmakartell hat ein Glaubwürdigkeits-Problem.
Interpharma: Haltung unverändert
"Gut tut uns dieser Fall nicht", räumt Thomas Cueni, Generalsekretär der Interpharma, ein. Doch an der Haltung der Interessenvertretung ändere sich nichts: "Die Diskussionen haben inhaltlich miteinander nichts zu tun, weil der Medikamentbereich im Gegensatz zum Vitamingeschäft mit staaatlich reglementierten Preisen zu tun hat." Cueni glaubt auch nicht, dass die Glaubwürdigkeit seiner Institution lädiert werde: "Wir sind immer bemüht, konstruktive Lösungen zu suchen. Unsere Positionen sind transparent und nachvollziehbar."
Auch zu den Parallelimporten bleibt die Interpharma-Haltung unverändert. Ein Land wie die Schweiz habe "nach wie vor ein Interesse, durch den Schutz der Patente auch den Forschungs- und Produktionsstandort Schweiz zu schützen". Cueni: "Volkswirtschaftlich nimmt die Schweiz durch die Pharmaindustrie unendlich viel mehr ein als man je für Medikamente ausgeben kann."
Unterstützung erhalten die Chemiekonzerne durch den freisinnigen Nationalrat Hans Rudolf Gysin. In der Beratung des neuen Heilmittelgesetzs in der "Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit" (SGK) reichte der Baselbieter Gewerbedirektor Ende April den Antrag ein, Parallelimporte entgegen der Absicht des Bundesrates und der Wettbewerbskommission weiterhin zu unterbinden.
Wettbewerbskommission soll "Mut fassen"
Mit dem Entscheid aus Washington erhofft sich der linke Liberalisierer Strahm, "dass auch die Wettbewerbskommission Mut fasst" und künftig mehr Biss zeigt. Denn im Vergleich zu den amerikanischen Antitrust-Behörden bewegen sich die helvetischen Markthüter bisher in einem geradezu beschaulichen Klima. Anders als die EU oder die USA können sie in der Schweiz nicht direkt sanktionieren.
"Wir können nur verfügen, ob eine Absprache zulässig oder nicht. Mit Bussen sanktionieren können wir erst, wenn Unternehmen gegen eine Verfügung verstossen", gesteht Patrik Ducret, stellvertretender Direktor der Wettbewerbskommission, eine "Durchsetzungsschwäche des schweizerischen Kartellrechts" ein. Dieser Zustand vermöge ihn allerdings nicht zu befriedigen: "Ich fände es gut, wenn wir bei Bedarf auch direkt sanktionieren könnten."
Gross war der Einfluss der Wettbewerbs-Wächter auch unter neuem Kartellrecht bisher nie: Im Bereich Heizungsservice wurden schon mal Preisabsprachen untersagt, der Swisscom bei der Anwendung des Internet-Ortstarifs die Ausnützung einer "marktbeherrschenden Stellung" vorgeworfen. Der sensible Medikamentenbereich dagegen blieb weitgehend verschont. Dabei sind die Margen über die gesamte Vertriebs-Kaskade geradezu planwirtschaftlich reglementiert.
Margenordnung kaum überlebensfähig
Doch dies könnte sich bald ändern. Seit einem Jahr ist die Margenordnung der Hersteller, Zwischenhändler und Apotheker im Visier der Wettbewerbskommission. "Noch dieses Jahr" soll die Untersuchung abgeschlossen werden. Zu den Zwischenergebnissen wollte sich Ducret jedoch nicht äussern. Laut Informationen von OnlineReports geht der Trend in Richtung Abschaffung der Margenordnung. Betroffen wären weniger die Produzenten als vielmehr der Zwischenhandel und die Apotheken. Ein Insider: "Es würde wahrscheinlich zu einem gewissen Apothekensterben kommen."
Den ehemaligen Roche-Vitaminverkäufer Kuno Sommer hat die Realität indes schon eingeholt. Als hätte er sein Schicksal geahnt, vertraute er noch letztes Jahr der "Roche"-Hauszeitung an: "Die letzte Verantwortung liegt schlussendlich bei mir, ich muss zu den beschlossenen Entscheidungen stehen und - wenn's schieflaufen sollte - auch dafür geradestehen und die entsprechenden Konsequenzen ziehen."
23. Mai 1999