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"Karten werden neu gemischt": Wiedergewählte Nationalräte in Gratulations-Rausch
Daniela Schneeberger vs. Maya Graf: Das letzte Ständerats-Feuerwerk
Die Stichwahl der beiden politisch weit voneinander entfernten Kandidatinnen dürfe eng werden
Von Peter Knechtli
Weil nicht mehr vier Bewerbende, sondern nur noch zwei Kandidatinnen zur Auswahl stehen, gelten in der Stichwahl um die neue Baselbieter Ständerätin völlig neue Regeln als im ersten Wahlgang. Der Kampf zwischen Daniela Schneeberger (FDP) und Maya Graf (Grüne) wird zur Richtungswahl zwischen bürgerlichen Werten und ökologischer Wende. Der Ausgang am 24. November ist ungewiss.
Das Ergebnis war bitter für ihn: Der Baselbieter Nationalrat Eric Nussbaumer erreichte im ersten Wahlgang der Ständeratswahlen den undankbaren dritten Platz, nur gerade 467 Stimmen hinter der Grünen Maya Graf. Damit war er aus dem Rennen. Beim Gruppenfoto der wiedergewählten Nationalräte konnte sich der gestandene Liestaler Politiker nur zu einem gequälten Lächeln durchringen.
Nussbaumer, der im Baselbiet zu den Top-Politikern gehört und im Bundesparlament zu den führenden Aussen- und Energieexperten, scheiterte zum zweiten Mal in seiner politischen Laufbahn nur knapp an einem Karriere-Schritt.
Ein fairer Verlierer
Im Frühjahr 2013, als es um die Nachfolge des vorzeitig zurückgetretenen freisinnigen Regierungsrats Adrian Ballmer ging. Im ersten Wahlgang hatte Nussbaumer seinen bürgerlichen Gegenkandidaten Thomas Weber (SVP) um 323 Stimmen geschlagen. Weil aber der aussichtslose Grünliberale Gerhard Schafroth mitkandidierte trieb er mit seinen gut 4'300 Stimmen das Absolute Mehr in die Höhe, so dass der zweite Wahlgang unausweichlich war. Daraus ging Weber als klarer Sieger hervor.
Vergangenen Sonntag waren es die 467 Stimmen, die Nussbaumer für den Einzug in die Stichwahl fehlten und Maya Graf als die Stimme der "Frau" und des "Klimas" den Vorzug gaben. Sein Trost: Er holte das beste Nationalratsergebnis – und überzeugte mit klaren Aussagen und einem fairen Wahlkampf.
Kein dickes Polster aus erstem Wahlgang
Am 24. November werden die Freisinnige Daniela Schneeberger, die den Ständeratssitz nach zwölf Jahren SP-Herrschaft wieder unter bürgerliche Kontrolle bringen will, und die Grüne Maya Graf das Rennen im zweiten Wahlgang entscheiden, in dem nicht mehr das Absolute, sondern das Relative Mehr gilt.
Obschon Daniela Schneeberger im ersten Wahlgang mit 26’536 Stimmen zwischen 3'500 und 4'000 Stimmen vor Graf und Nussbaumer an erster Stelle lag, blieben Jubelschreie aus. Der Vorsprung mit einem Stimmenanteil von 34,5 Prozent war nicht so berauschend, dass im Hinblick auf die entscheidende zweite Wahlrunde Gelassenheit angesagt war.
Tatsache ist, dass die Freisinnige im ersten Wahlgang ihre rechts der Mitte liegende bürgerliche Kernwählerschaft ausgeschöpft hat und nun 16 Prozent Wähleranteil hinzugewinnen muss, will sie das Rennen gewinnen.
Eine Spur von Siegeshoffnung
Demgegenüber erschien Maya Graf mit ihrem Anhang samt Film-Team in einer gefühlten Stimmung von Siegeshoffnung im Regierungsgebäude. Schon seit Jahren sah sich die Kandidatin Medienanfragen über ihre Ständerats-Ambitionen ausgesetzt, bis dieses Frühjahr offiziell ihr Ja-Wort an die Öffentlichkeit purzelte, noch bevor der amtierende Claude Janiak (SP) seinen Rückzug aus Bern bekanntgegeben hatte. Innerhalb der SP kursiert das Wort der "selbsterwählten Ständerätin". Keine Frage: Maya Graf sieht ihre Zeit gekommen.
Dennoch steht keineswegs zweifelsfrei fest, dass sie obsiegt. Denn sie kann jetzt zwar viele Stimmen von bisherigen Nussbaumer-Wählern erben, muss aber eine noch grössere Lücke bis zur Mehrheit wettmachen als ihre Gegnerin. Zudem ist die Zeit der personellen Auswahlsendung jetzt vorbei. In der Stichwahl, in der nur noch zwei Namen (und politische Positionen) zur Auswahl stehen, werden die Karten völlig neu gemischt. Die simple Addition der Stimmen aus dem ersten Wahlgang hat keine Bedeutung mehr.
Frauen-Frage ist vom Tisch
Dies aus mehreren Gründen. Die CVP hatte im ersten Wahlgang – aus Rücksicht auf die auch von Christdemokraten wählbare EVP-Kandidatin Elisabeth Augstburger – keine Wahlempfehlung abgegeben. Das ändert jetzt: Morgen Mittwochabend wird die Basis wohl klar mehrheitlich zugunsten von Daniela Schneeberger entscheiden. Einen Tag später wird die SP-Basis Maya Graf zur Wahl empfehlen.
Damit ist aber längst nicht gesagt, dass die Nussbaumer-Wählenden dieser Empfehlung auch konsequent folgen werden. Denn der gemässigte europafreundliche SP-Mann erzielte Stimmen bis weit in die politische Mitte, die bewusst nicht grün votiert hat. Sie dürfte sich jetzt eher der FDP-Kandidatin zuwenden.
Zudem: Im ersten Wahlgang hatte das Schneeberger-Lager gegen zwei unterschiedliche gegnerische Politik-Modelle anzutreten – die männlich-moderate und die weiblich-grüne. Jetzt klären sich die Fronten. Das Argument der Frauen-Repräsentanz fällt weg, weil nur noch zwei weibliche Bewerbende antreten. Somit bleibt noch die Frage, wer sich in der Klimapolitik wie positioniert.
Begehrte Mitte
Hier kann Maya Graf punkten. Sie wird ausserdem das Baselbiet an seiner einstigen ökologischen Pionierrolle kitzeln, deren Renaissance versprechen und gleichzeitig ihre Offenheit für Mitte-Positionen hervorheben. Es kommt dazu, dass sie ihre Mobilisierungs-Kraft mit Präsenz "unter dem Volk" ausspielen wird, um "alle nachhaltig-fortschrittlichen Kräfte unseres Kantons zu bündeln".
Kommenden Samstag hat sie bereits zum "Maya-Tag" erklärt und zur Unterstützungs-Aktion vor das Regierungsgebäude eingeladen, "um gemeinsam anzupacken, Postkarten zu schreiben, Telefonate zu führen, Leser*innenbriefe zu verfassen und möglichst viele konkrete Aktionen zu planen, damit die Zeit bis zum 24. November optimal genutzt wird!"
Ihre Gegner werden aber nicht schlafen. Die Gewerbepolitikerin Daniela Schneeberger wird sich zu Themen wie Familienpolitik oder Altersreform ebenfalls pointiert als "Mitte-Politikerin" positionieren und vermutlich versuchen, ihre Kontrahentin als "scharfe Linke" und als "Grüne am linken Rand" zu entlarven.
Das Problem der Nicht-Bundesratspartei
Mögliche Angriffsflanken sind das Nein der Grünen zur vom Volk letzten Mai angenommenen Steuerreform /AHV-Vorlage ("schädlicher Milliardenbschiss") oder die restriktiven grünen Positionen gegenüber Fragen des Freihandels oder der globalisierten Märkte. Zum Thema wird der beschränkte Einfluss, den Maya Graf als Angehörige einer Nicht-Bundesratspartei im Ständerat nehmen kann, weil "die Kompromisse in den Bundesratsparteien geschmiedet werden", wie ein Bundesparlamentarier zu OnlineReports sagte.
Vor der Stichwahl werden auf beiden Seiten die Akquisitions-Anstrengungen in Richtung Mitte verstärkt und – wie in einer Majorzwahl üblich – das persönliche Profil nochmals geschärft und die Angriffsflächen der jeweiligen Gegnerin tiefer ausgelotet.
Grundlegende strategische Änderungen sind im kommenden Monat nicht zu erwarten. Dass "einzelne Stimmen an der Spitze der Baselbieter FDP" die Schneeberger-Kandidatur "infrage stellen", wie die "Basler Zeitung" heute schreibt, dürfte ohne Wirkung bleiben. FDP-Präsidentin Saskia Schenker sagte OnlineReports auf Anfrage, es handle sich "um eine Einzelperson" in der neunköpfigen Parteileitung. Schenker dezidiert: "Es gibt keine Zweifel an Daniela."
Ein Augenmerk auf Nebendarstellerinnen
Zu beachten gilt es allerdings, dass die Ständeratswahl auf beiden Seiten nicht nur Haupt-, sondern auch Nebendarstellerinnen hat, die beide als Nachrückende auf der Nationalrats-Liste scharf auf das "Ticket nach Bern" sind. Auch für sie geht es um die Wurst, was sie erneut zu einem Sondereinsatz antreiben wird. Die Ständeratswahl ist somit nochmals eine kleine Nationalratswahl.
Bei den Grünen steht die 44-jährige Oltinger Landrätin und ehemalige Kantonalpräsidentin Florence Brenzikofer seit Jahren in den Startpflöcken. Sie gilt als äusserst enge politische Vertraute Maya Grafs. In den Positionen ist die Sekundarlehrerin vielleicht eine Spur moderater.
Bei den Freisinnigen könnte die vier Jahre jüngere Itinger Politologin und Landrätin Saskia Schenker nachrücken. Sie hat die Partei letzten Herbst als neue Präsidentin aus einer Führungskrise geholt und mit ihrem umsichtigen, zurückhaltenden Stil letztes Wochenende einen deutlichen Vertrauensbeweis erfahren.
Knappes Ergebnis erwartet
Einen Spaziergang wird es in diesem Schluss-Spurt für keines der beiden Lager absetzen. Vielmehr darf erneut ein lebendiges Finale erwartet werden. Daniela Schneeberger wird beweisen wollen (und müssen), dass das Baselbiet immer noch mehrheitlich bürgerlich ausgerichtet ist. Maya Graf wird versuchen, die Zukunfts-Schalter auf "ökologisch" und "nachhaltig" zu kippen.
So wenig sich im jetzigen Zeitpunkt eine Favoritin abzeichnet, so schwierig sind Prognosen: Wenn beide Lager jetzt ihre Feuerwerke zünden, wird das Ergebnis knapp werden.
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22. Oktober 2019
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