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Gegner der "Transithölle Schweiz" machen mobil
Nur mit einem Nein zur zweiten Gotthard-Röhre könne verhindert werden, dass das Geld für die Beseitigung von Strassen-Engpässen in der Region Basel weggespart werde. Dies erklärte heute Mittwochmorgen das überparteiliche regionale Komitee gegen das Drei-Milliarden-Projekt eines zweiten Autobahn-Tunnels am Gotthard.
Basel, 13. Januar 2016
Wie sehr die Abstimmung über den Bau der zweiten Auto-Tunnel-Röhre durch den Gotthard vom 28. Februar die Gemüter erhitzt und in zwei Lager spaltet, wurde an der Medienkonferenz des überparteilichen regionalen Nein-Komitees beider Basel deutlich. Da versammelte sich alles, was mit Ökologie, Bahn- und Langsamverkehr zu tun hat.
So betonte die grüne Baselbieter Nationalrätin Maya Graf sichtlich ungehalten, es sei "unseriös" und eine "grosse Enttäuschung", wie sich Bau- und Umweltschutzdirektorin Sabine Pegoraro (FDP) letzten November von den "Röhren-Turbos" (so VCS-Geschäftsführerin Stephanie Fuchs) der Wirtschaftsverbände in die Kampagne zugunsten der zweiten Gotthard-Röhre habe "einspannen" lassen.
Zweite Röhre entzieht den Regionen Geld
Denn anders als die Baselbieter Regierungsrätin, die von der zweiten Tunnelröhre in den Alpen eine Entlastung der zahlreichen Autoverkehrs-Engpässe in der Region erwartet, zeigte SP-Ständerat Claude Janiak gerade das Gegenteil auf. Sein Argument: In Zeiten knapper werdender öffentlicher Finanzen fresse die Drei-Milliarden-Investition am Gotthard, für die keine Spezialfinanzierung vorgesehen ist, jene Gelder weg, die zur Beseitigung der zahlreichen Staustrecken in der Region – wie für den Rheintunnel oder den A2-Abschnitt Hagnau-Augst – nötig wären.
"Das könnte ein böses Erwachen geben", sagte Janiak in Bezug auf die "Gefährdung der Agglo-Projekte" durch die zweite Röhre. Er erinnerte ausserdem daran, dass der durchschnittliche Tagesverkehr am Gotthard 17'400 Fahrzeuge betrage, auf der A2 in der Hagnau seien es mit 130'900 Fahrzeugen achtmal mehr.
"Milliarden werden verschleudert"
Die Röhren-Gegner bestreiten die Sanierung des bestehenden Tunnel nicht, sind aber der Meinung, dass ein Vorgehen nach ihren Vorstellungen viel kostengünstiger, ökologischer und verkehrspolitisch sinnvoller wäre: Sperrung und Sanierung in den Wintermonaten mit Auto-Shuttle zwischen Göschenen und Airolo per Bahn und rollende Landstrasse für Transit-Lastwagen zwischen Basel und Chiasso.
Gar als "völlig sinnlos" bezeichnete der Grünliberale David Wüest-Rudin die Investition in den zweiten Tunnel, da der Infrastruktur-Bedarf "andernorts viel grösser ist". Harald Friedl, Vizepräsident der Basler Grünen, forderte einen "neuen Denkansatz" und verwies bezüglich Sicherheitsbedenken darauf, dass in zwanzig Jahren intelligente Autos üblich seien mit einer elektronischen Ausrüstung, dass Kollisionen gar nicht mehr möglich seien.
Die grüne Liestaler Einwohnerrätin Anna Ott warnte vor den ökologischen Folgen einer zweiten Gotthard-Röhre: Sie sabotiere die Reduktionsziele des Klimaschutzes durch eine "Verkehrswende mit konsequenter Verlagerungspolitik".
Kritik an Sicherheits-Argumenten
Tonja Zürcher, die Ko-Präsidentin von "Basta", befürchtet auf der Gotthardroute zunehmenen Verkehr von Lastwagen, die bisher einen Umweg von über 60 Kilometern in Kauf nehmen und die vierspurige Brenner-Route benutzen. Dies führe "zu mehr Transitverkehr auch durch Basel". Die Bevölkerung habe nichts davon "ausser mehr Unfälle und Luftverpestung". Laut EVP-Landrätin Elisabeth Augstburger würde die Schweiz gar den Brenner als Route für Gefahrengut-Transporte ablösen und die Schleuse auch für 60 Tonnen-Gigaliner öffnen.
SP-Nationalrat Beat Jans ("jeder Tote ist zuviel") relativierte die von den Befürwortern vorgebrachten Sicherheits-Argumente: Im Gotthard-Tunnel hätten in den letzten zehn Jahren sieben Menschen ihr Leben verloren, aber 647 Personen beim Überqueren von Strassen. Mit einer Sanierung aller Fussgängerstreifen der Schweiz könnten "viel mehr Menschenleben gerettet werden". Ohnehin fadenscheinig und falsch sei die Behauptung, dass nach dem Bau der zweiten Röhre jeweils eine Spur frei bleibe.
Maya Graf berief sich auf Untersuchungen, wonach der bestehende Tunnel in einem "wesentlich besseren Zustand" sei als bisher erklärt. Bis 2035 könne er "ohne Vollsperrung weiter betrieben werden". Die "Zwängerei" sei "nur ein Vorwand, die Kapazität zu verdoppeln".
"Tessin will zweite Röhre nicht"
Aus dem südlichsten Tessin war Andrea Ghisletta, Gründer des Komitees "Giovani per la sostensibilità", angereist. "Das Tessin will keine zweite Röhre", auch wenn Deutschschweizer Regierungsräte von ihren Tessiner Amtskollegen kürzlich mit Salami beschenkt worden seien. Viele Menschen, auch FDP- und CVP-Gemeinderäte teilten die gegnerische Haltung. Der Grund: "Wir haben ein Gesundheits-Problem." Im Tessin komme es aufgrund der häufig oft überschrittenen Stickstoff- und Feinstaub-Immissionen zu signifikant häufigeren Atem-, Herz- und Krebserkrankungen.
Foto von links: David Wüest-Rudin, Elisabeth Augustburger, Maya Graf, Beat Jans, Claude Janiak
Weiterführende Links:
- Mit zweiter Gotthard-Röhre gegen regionale Engpässe
"En Schildbürgerstreich"
Dank der Arbeitskraft südafrikanischer und südosteuropäischer Mineure wie des Einsatzes von 24 Milliarden Schweizer Franken wird im Jahre 2020 die Verlagerung des LKW-Verkehrs auf die Schiene von der Nord- zur Südgrenze unseres Transitlandes möglich sein. Es kommt daher einem Schildbürgerstreich gleich, diesen roten Teppich für die europäischen Spediteure mit dem Bau einer fünften Gotthardröhre zu konkurrieren. Die Agglomerationen im Raum Zürich, Basel, Bern, Lausanne und Genève beklagen täglich gewaltigere Staus als die wohl spektakulären, aber seltenen Fernseh-Bilder zwischen Wassen und Göschenen.
Werner Strüby, Reinach
"Ein bisschen Seldwyla"
Im Abstimmungskampf um die zweite Strassentunnelröhre am Gotthard ist folgende Aussage von Doris Leuthard in einem vertrauliches Protokoll der nationalrätlichen Kommission Verkehr publik geworden: "Wir bauen ja kaum zwei Tunnels und lassen je eine Spur leer. Das ist meines Erachtens scheinheilig." Sie meint weiter, dass ein solches Vorgehen fast "ein bisschen Seldwyla" wäre.
Anderseits beteuert die Verkehrsministerin in einem Interview in der Fernseh-Nachrichtensendung "10vor10" am 8. Januar 2016, dass das Abkommen mit der EU-Kommission Verkehr eingehalten werde. Diese verspricht, dass sie keinen Anspruch auf vier Spuren in den zwei Gotthardstrassentunnels erheben werde. Wollen wir am 28. Februar einer solchen unglaubwürdigen Politik vertrauen?
Marianne Völlmin, Ormalingen
"Zweifelhafte Grundwerte aus den Boomjahren"
Autsch - da spritzen uns mit Thomas Richers Aussagen über arme pendelnde Tessiner (-innen gibts bei ihm wohl nicht?) sehr zweifelhafte Grundwerte aus den Boomjahren des letzten Jahrhunderts ins Gesicht. Und über seine Nasenspitze hinaus reicht sein Horizont wohl auch nicht: Die jämmerliche Luftqualität im Mendrisiotto scheint ihm wohl unbedenklich.
Wenn es dann mal zu Verhältnissen wie am Brenner kommt, erinnert uns vielleicht Bertrand Russels Credo zur Frage, was ökologisches Verhaltens denn sei: "Eigentlich simpel - frag dich, ob du überleben willst!".
Ueli Pfister, Gelterkinden
"Schweiz, komm aus der Sackgasse!"
Der Vergleich des neuen Beitrags über die zweite Gotthard-Röhre mit dem damaligen Beitrag vom 23. November 2015 macht einiges klar: Es gibt Rechtskonservative, die allen Sinn für positive Dynamik und gemeinsame Lebensqualität verloren haben. Es geht ihnen nur noch darum, solange es geht, rücksichtslos auf mehr Wirtschaft nach altem Denkmuster zu setzen. Sie schüren unberechtigte Ängste, übergehen Fakten, verwirken ihre Achtung. Sie wirken verstaubt, altmodisch und egozentrisch. Aber es gibt auch noch Fortschrittliche, die den Schritt in die Moderne gemacht haben. Sie sind offen für Neues, ob es dabei nun um erneuerbare Energie, Fair Trade, Regionalprodukte, neue Geschäftsformen und eben um eine intelligentere, nachhaltigere Mobilität geht. Sie haben Fantasie und wollen keine Negativspirale. Zu hoffen ist, dass der Zeitgeist sich bald mal dreht. Denn auch für hier gilt: Hello Schweiz, komm aus der Sackgasse!
Peter Toebak, Liestal
"Weitgehend weltfremde Phantasten"
Die Schweiz ist ein reiches Land und kann sich die zweite Gotthardt-Röhre (wie ursprünglich geplant) genauso leisten wie einen Ausbau der Infrastruktur in den Agglomerationen.
Die Neinsager sind wohl doch weitgehend weltfremde Phantasten, die das Tessin über Jahre baumeln lassen wollen. (Was geschieht mit den Tausenden Tessiner Pendlern, deren Arbeitsplätze nördlich der Alpen liegen? Die SBB verwöhnen uns ja gerade nicht. In Gurtnellen fallen immer ein paar Steine runter...)
Natürlich gehört der ausländische Lastwagenverkehr auf die Schiene - notfalls erzwungen mit einer drastisch erhöhten Schwerverkehrsabgabe, falls ein Lastwagen doch den Tunnel benutzen möchte.
Aber: Was soll diese typisch alemannische Bevormunderei? Hier lässt man Velo- und Tramfahrer und SBB-Rucksacktouristen, die kein Geld im Tessin lassen, über automobilisierte Fernfahrer richten. Unglaublich!
Thomas Richers, Minusio
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