© Foto by Ruedi Suter, OnlineReports.ch
"Fair-Fish"-Kritik: WWF-Fischlabel MSC sei Wischiwaschi
Es stehe für "schonende, bestandeserhaltende Fischerei", behauptet der WWF von seinem "MSC"-Label. Falsch, irreführend, kontert jetzt die Organisation Fair-Fish: 39 Prozent der Fischbestände unter dem WWF-Label seien "überfischt – und nicht nachhaltig bewirtschaftet".
Winterthur, 8. Juni 2012
Wirtschaftfreundlich sei er, angepasst, nicht unabhängig. Er passe sich seinen potenten Gönnern an, beschönige oder toleriere einmal hier, einmal dort sogar deren zerstörerisches Wirken. Und er male traurige Realitäten schön, vor allem im Zusammenhang mit dem tatsächlichen Zustand der Regenwälder und der Meere.
Mit solchen und ähnlichen Vorwürfe wird der WWF als eine der grössten Umweltschutzorganisationen der Welt in zunehmendem Masse konfrontiert: In Artikeln, Fernsehreportagen oder Büchern wie dem aktuellen "Schwarzbuch WWF" zur fragwürdigen Beziehung zwischen dem WWF und dem Saatgut- und Herbizid-Giganten Monsanto von Wilfried Huismann. Allzu häufig haben Kritiker und Kritikerinnen recht. Dass diesen mitunter mit Arroganz oder Nichtbeachtung begegnet wird, wie dem WWF seines Konzern-Gehabes wegen oft vorgeworfen wird, beschleunigt nur die Erosion seines ehedem soliden Rufes.
Dabei hat der WWF in den verschiedensten Bereichen für die Um- und Tierwelt schon sehr viel getan und auch durchgesetzt. Das ist unzweifelhaft und wird auch von seinen Kritikern anerkannt. Aber er hat auch das Problem, dort nicht anecken, nicht Klartext reden zu wollen, wo es als letzter Ausweg notwendig wäre. Sein Beweggrund: Konfrontation könnte zum Abbruch von Dialogen und Beziehungen führen, auf welche die Organisation im Sinne der Diplomatie grössten Wert legt. Das wissen just jene Individuen, Unternehmen und Staaten zu nutzen, die gar nicht daran interessiert sind, einem Umweltanliegen entgegenzukommen. Diese scheinbar gesprächsbereiten Akteure setzen knallhart auf Verzögerungstaktiken und Zeitgewinn, um weiterhin ihre Profite machen zu können. Das beobachtete OnlineReports zum Beispiel im Zusammenhang mit der Abholzung der Wälder im Kongobecken, wo sich die Rolle des WWF als Berater ungewollt in jene eines passiven Handlangers verkehrte.
"Eine faule Ausrede"
Die heissen Kohlen holen in der Regel entschlossene Einzelkämpfer oder kleine Organisationen mit investigativen Recherchen aus dem Feuer. Eine von ihnen startet im Zusammenhang mit dem Weltmeerestag von heute, dem 8. Juni, einen unüblichen Frontalangriff. So kritisieren der Schweizer Verein Fair-Fish und seine Fischereifachleute die Panda-Organisation scharf: "Die Politik des WWF" sei ein "zunehmendes Hindernis für die Durchsetzung nachhaltiger Fischereipraktiken". Fair-Fish stützt sich auf eine Studie des Fischereibiologen Rainer Froese aus Kiel. Ihr zufolge sind 39 Prozent der Fischbestände unter dem WWF-Label "MSC" überfischt – und nicht nachhaltig bewirtschaftet
Die Antwort von WWF und "MSC" auf Froeses wissenschaftlichen Befund sei "vor allem eine faule Ausrede". Froese habe seine Studie keineswegs zu streng angelegt, moniert Fair-Fish. In der gleichen Studie habe das Label "Friend of the Sea" (FOS) erheblich besser abgeschnitten (12 Prozent der Bestände überfischt). "Der grosse Unterschied wird umso erstaunlicher, wenn man weiss, dass eine Zertifizierung bei FOS ein paar tausend Euro kostet, beim MSC aber von hunderttausend Euro an aufwärts", vergleichen die WWF-Kritiker.
WWF soll sich "Realitäten stellen"
Jetzt verlangt Fair-Fish von der Panda-Organisation unmissverständlich, "endlich vom hohen Ross zu steigen und sich den Realitäten zu stellen". Froeses Erkenntnisse seien keine Überraschung. Denn bereits 2010 sei das WWF-Label "MSC" von Meeresbiologen "massiv kritisiert" worden. Der Grund: "MSC" drücke bei den verheerenden Grundschleppnetzen wie auch beim Überfischen ein Auge zu. Eine hierauf vom WWF in Auftrag gegebene Untersuchung durch eine der Organisation nahe stehende Agentur habe nur dem Auftraggeber ein "schmeichelhaftes Resultat" beschert.
Rainer Froese, der sich "auf die massgeblich von ihm mitgeschaffene und führende Fischdatenbank fishbase.org" stützt, habe den WWF wiederholt auf überfischte Bestände aufmerksam gemacht. Vergebens. Fair-Fish: "Nachdem der renommierte Forscher vom MSC jedesmal wie ein lästiger Leserbriefschreiber auf den Instanzenweg verwiesen worden war und ihn ohne Ergebnisse durchlief, beschränkt er sich heute ohne grosse Hoffnung auf Hinweise an den MSC." Dieses Abwimmeln wie auch die Ignorierung von Froeses Bericht, erklärte Co-Präsident Heinzpeter Studer gegenüber OnlineReports, habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Fair-Fish habe sich gezwungen gesehen, die Karten auf den Tisch zu legen, um nicht selbst der Vertuschung bezichtigt zu werden: "Wir mussten handeln!"
"Mit Märchen aufhören"
Von einer breit getragenen Umweltorganisation dürfen die Spender und Spenderinnen erwarten, "dass sie unvoreingenommen an die Lösung von Problemen herangeht", meint die in Winterthur ansässige Fisch-Schutzorganisation. Es könne doch nicht sein, dass die grosse Umweltorganisation "ihre Macht und den guten Glauben" der Spendenden missbrauche, um mit "massiver Propaganda" ein einziges Label auf dem Fischmarkt durchzusetzen – "nämlich das eigene, das obendrein schlechter abschneidet als ein anderes internationales Label, welches keine Spenden verheizt".
Das sind aussergewöhnlich scharfe Töne, vorgetragen von einer kleinen Organisation, die sich bislang auch ihren "Konkurrenten" gegenüber fair verhielt. Vom WWF Schweiz will Fair-Fish, dass er seine WWF Seafood Group und deren Kriterien auch für Produkte aus nachhaltiger Fischerei öffnet, "die nicht das teure MSC-Label tragen". Und schliesslich fordert Studer den WWF auf, "endlich mit dem Märchen von der 'Unabhängigkeit' des MSC aufzuhören". Denn ohne die jahrelange Werbung des WWF "wäre MSC unbedeutend geblieben": Er sei zu umständlich, zu teuer und er wirke ohne grundlegende Reform "zunehmend irreführend".
"85 Prozent überfischt"
Zum heutigen Weltmeerestag erklärt der WWF: "85 Prozent der Fischbestände sind bereits überfischt oder bis an die Grenze befischt." Eine Einschätzung, die Heinzpeter Studer weitgehend teilt. Für Mariann Breu, der Fischexpertin beim WWF Schweiz, ist klar: "Wenn wir jetzt den Fischfang nicht einschränken, werden die globalen Fischbestände bis 2050 zusammenbrechen." Zu den schlimmsten Bedrohungen der Ozeane, so Breu, gehörten die Überfischung durch industrielle Fangflotten und zerstörerische Fangmethoden wie der Einsatz von Bodenschleppnetzen. Aber auch die Verschmutzungen durch Industrieabwässer und Schifffahrt sowie der Düngemittelfluss aus der Landwirtschaft setzten den Flossentieren zu.
Als "grosses Problem" ortet Breu die illegale Fischerei – das Fischen mit unerlaubten Fanggeräten, zu Sperrzeiten oder in Sperrgebieten und die Missachtung der Fanquoten durch die Fischer. Überdies landeten 40 Prozent der Fänge als ungewollter Beifang in den Netzen. Eine Tragödie, verenden doch die Meerestiere an der Luft jämmerlich, nur um als Leichen über Bord ins Meer zurückgeworfen zu werden. Deshalb, so ruft Mariann Breu in Erinnerung, helfe der WWF – neben der Einrichtung von Meeresschutzgebieten und Fischereimanagement – die Beifänge durch innovative Fangmethoden zu reduzieren.
Weiterführende Links:
- Angegriffener WWF wehrt sich gegen "grünen Kolonialismus"
- Sterbende Meereswelten oder die fehlende Unschuld der Schweizer
- Urfisch Quastenflosser droht an Tansanias Küste das ewige Ende
- Nun ächzt die Welt unter sieben Milliarden Menschen
- Klaus Töpfer prognostiziert "Renaissance der Umweltpolitik"
- Umwelt-Pionier über den Öko-Kollaps und Baselbieter Bauern
- Meeresschildkröten: Weltweit bedroht
- "Immer wieder Ursache oder Gegenstand von Kriegen"
WWF Schweiz: "International nicht akzeptiert"
Philip Gehri, Sprecher des WWF Schweiz, nimmt OnlineReports gegenüber Stellung zu den Vorwürfen: Der WWF begrüsse wissenschaftliche Diskussionen, "denn konstruktive Kritik ist hilfreich". Dies gelte auch für die Studie von Rainer Froese. Leider gehe dieser von einer eigenen Definition des Begriffs "Überfischung" mit deutlich tieferen Grenzwerten aus. MSC stütze sich aber auf die international anerkannten Definitionen der Welternährungsorganisation FAO. Christopher Zimmermann, stellvertretender Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei und Vorsitzender des Technischen Beirates des MSC habe dies erklärt: "Die von Froese verwendete Definition von 'Überfischung' und viele der verwendeten Referenzpunkte sind international nicht akzeptiert.“
MSC sei, so Gehri weiter, "das zuverlässigste heute verfügbare Label für Meeresfisch aus Wildfang". Natürlich lasse sich das Label weiter verbessern, und dafür setze sich der WWF auch ein. Aber: "Weniger Fisch zu essen ist und bleibt der wirkungsvollste Meeresschutz." Die Studie von Froese weise für Friend-of-the-Sea (FoS) einen tieferen Anteil an überfischten Beständen aus. Für 53 Prozent aller FoS-Fischereien gebe es aber keine bewertbaren Daten. Jedenfalls schneide FoS "bei den Ansprüchen an Datenerhebung und Kontrolle deutlich schlechter" ab als MSC, sagt Geri. "So wird die Zertifizierung für die Fischereien zwar günstiger, aber das geht auf Kosten der Zuverlässigkeit."
Und schliesslich sei MSC eine vom WWF "unabhängige Organisation, an der zahlreiche Organisationen, die Wissenschaft und auch Unternehmen mitwirken". WWF-Sprecher Geri: "MSC ermöglicht mit klar definierten offenen Prozessen, dass sich alle Interessierten einbringen können – Mitglieder wie Aussenstehende."