© Screenshot und Foto by OnlineReports.ch
"Nach reiflicher Überlegung": Cover der bz-Geschichte
Die bz hat Mühe mit ihrer eigenen Vergangenheit
Relevante Ereignisse schaffen es immer seltener in die Spalten der führenden Zeitungen: Die bz verzichtet auf eine Besprechung von Roger Blums Buch über die Geschichte der "Basellandschaftlichen Zeitung". Auch das Referat von Ex-Bundespräsident Joachim Gauck findet in den grossen Basler Medien nicht statt.
Von Peter Knechtli
"Wir überlegen uns jeden Tag, was wir machen und was nicht", sagte bz-Chefredaktor Patrick Marcolli diese Woche am Basler Medientag über die Auswahl von Informationen, die es in die Zeitung schaffen – oder eben nicht.
Zu jenen Stoffen, die nicht die Gunst der bz erlangte, zählt das soeben erschienene Buch des Baselbieter Historikers Roger Blum über "die Geschichte der Basellandschaftlichen Zeitung" (Untertitel). Zweieinhalb Jahre lang hatte der in Liestal aufgewachsene emeritierte Medien-Professor über "das Blatt der Patrioten" (Haupttitel) recherchiert, dessen Vorläufer auf die Basler Kantonstrennungs-Wirren im Jahr 1831 zurückgehen.
bz-Kehrtwende: "Keine Rezension"
Im Zentrum der 440-seitigen Publikation steht die Verlegerfamilie Lüdin, die von der Gründung im Jahr 1854 bis zum Verkauf an die AZ Medien von Peter Wanner im Jahr 2007 über Kurs und Kommerz der Tageszeitung bestimmte. 15 Millionen Franken, so ist dem Buch zu entnehmen, hat der Aargauer Verleger nach Liestal überwiesen.
Allgemein war erwartet worden, dass die bz auf das umfassende Werk gebührend eingehen werde, zumal Chef Marcolli Autor Blum anfänglich versprochen hatte, "etwas ganz Grosses" zu machen – etwa im Umfang einer Doppelseite.
Doch die Tage zogen ins Land, ohne dass "etwas Grosses" oder auch nur etwas Kleines in der bz zu lesen gewesen wäre. Denn inzwischen hatte der Wind in der ursprünglich euphorischen bz-Redaktion gedreht. "Nach reiflicher Überlegung" – so schrieb der Chefredaktor an den Geschichtsforscher – "bin ich zum Schluss gekommen, dass wir auf eine Rezension des Buches verzichten müssen".
Blum spricht von "Boykott"
Das "Patrioten"-Werk hat die Eigenheit, dass sein Zeitrahmen 2011 endet. Es war das Jahr, nach dem Mathis Lüdin als letzter Verwaltungsrats-Präsident der Familie die Verantwortung durch Rücktritt abgab. Es handelt sich um eine Auftrags-Produktion der Familie Lüdin, die das Projekt initiierte und auch finanzierte. Einen Zustupf von knapp 60'000 Franken für Gestaltung und Druck leistete der Swisslos-Fonds auf einen Beschluss der Baselbieter Regierung hin.
"Empört" über den redaktionellen Stimmungswechsel sagte Autor Blum zu OnlineReports: "Die bz boykottiert publizistisch ihre eigene Geschichte."
War es als Folge der Zeitlimite verletzter Stolz, weil sich die aktuelle Redaktionsleitung um die Würdigung und Wahrnehmung ihrer Arbeit geprellt fühlte? War es gekränkte Familien-Ehre, weil Peter Wanner im Buch zwar zu Wort kommt, sich aber doch alles um die Lüdins dreht? War der Redaktion ein Dorn im Auge, dass sich die Lüdins mit dem von ihnen finanzierten Buch ein Denkmal setzen wollten und dem Autor dadurch die volle Unabhängigkeit fehlte?
Kein Druck des Auftraggebers
In diese Richtung deutet, wie Blum die Mitteilung des Publikations-Verzichts empfand. Marcolli habe ihm zu verstehen gegeben, es sei unklar, ob das Buch eine Geschichte der Zeitung oder eine Geschichte der Familie Lüdin sei, und deshalb könne man nur einen Verriss veröffentlichen, wenn man über das Buch schreibe.
Zu OnlineReports sagt Blum, er habe mit der Familie einen Vertrag abgeschlossen, der ihm "volle wissenschaftliche und inhaltliche Freiheit" zugesichert habe. "Dies wurde auch eingehalten, es gab keinerlei Druckversuche."
Zwischen Anspruch und Realität
Die grossen Bezahl-Printmedien der Region Basel nehmen gern für sich in Anspruch, die Leserschaft nicht mit allem, aber mit allem Wichtigen zu versorgen. Entspricht dieses hehre Ziel der Realität, dürfte die Redaktion das Ergebnis von Blums bz-Forschung als nicht publikationswürdig eingeschätzt haben.
Bei bz-Chef Marcolli habe, so erklärt er auf Anfrage von OnlineReports, ein pdf "kurz vor Drucklegung" für Irritation gesorgt, dass auf dem Cover des Buchs "gross unser aktuelles bz-Logo" abgebildet gewesen sei, obschon die bz-Geschichtsschreibung 2011 geendet habe. "Da läuteten bei mir die Alarmglocken, ich liess das aktuelle Logo vom Cover entfernen und konnte so in im letzten Moment verhindern, dass bei potenziellen Leserinnen und Lesern der Eindruck entstehen könnte, der Inhalt des Buches habe etwas mit der heutigen bz zu tun".
Ermunterung durch Verleger Wanner
Die Beurteilung des Buchs habe er mit Medienredaktor Christian Mensch besprochen, erklärt Marcolli. "Wir beide sind Historiker und sind uns in unseren Vorbehalten gegenüber Inhalt und Methodik zu 100 Prozent einig."
Den Vorwurf, die bz ignoriere durch Boykott ihre eigene Geschichte, bezeichnet Marcolli als "haltlos". Er habe Verleger Wanner "offen über meine Bedenken" zum Buch informiert. Von der Verlagsspitze seien keinerlei Instruktionen erfolgt. "Im Gegenteil: Peter Wanner hat mich nachdrücklich zur Publikation einer Rezension ermuntert."
Informationsmedien unter Spardruck
Mit ihrem Stillschweigen war die bz nicht allein. Zwar erschien da und dort ein Artikel über die Vernissage (an der auffällig viele ehemalige, aber wenige aktuelle bz-Redaktionsmitglieder anwesend waren), aber kein Medium der Region ausser der Sissacher Volksstimme brachte Zeit und Willen auf, das Buch inhaltlich solide zu rezensieren.
Alle privatwirtschaftlich finanzierten Informations-Medien ächzen seit Längerem unter Ressourcen-Mangel: Sinkende Werbeeinnahmen und Erträge, hohe Spardisziplin bei gleichzeitig hohem Produktionsdruck verunmöglichen ihnen zunehmend, ihren All-in-Anspruch zu erfüllen. Pflichtstoffe werden strenger selektioniert. Service und Lebenshilfe erlangen Prioriät vor klassisch relevanten Themen aus Politik, Wirtschaft und Kultur.
Folge: Das im breitesten Sinn gesellschaftlich interessierte Publikum kann sich immer weniger darauf verlassen, dass ihm ihr Medium "alles Wichtige" serviert.
Ausbleibendes Medien-Echo
Dies lässt sich auch an einem anderen Beispiel zeigen. Hans-Peter Schreiber, der emeritierte ETH-Professor für Ethik und Technikfolgenabschätzung aus Riehen, hatte aus privatem Engagement den früheren deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck zu einem Gesprächsabend in die Offene Kirche Elisabethen eingeladen.
Dort sprach der furchtlose Spitzenpolitiker und Buchautor ("Erschütterungen") am 8. Februar Klartext über die Bedrohung der liberalen Demokratie, insbesondere durch den Putin-Krieg gegen die Ukraine und den wachsenden Rechtspopulismus.

Hans-Peter Schreiber und Joachim Gauck im Gespräch (v.l.). © Foto DRG.
Das öffentliche Interesse war enorm: Die Kirche platzte aus den Nähten. Doch über die Gauck-Botschaften war weder in der Basler Zeitung noch in der bz – den beiden grössten Lokalzeitungen – eine Zeile zu lesen. Ein Zuhörer aus der ersten Reihe sprach gegenüber OnlineReports von einem "Medienversagen".
Die Riehener Zeitung, das Oberbadische Volksblatt und der Kirchenbote retteten die journalistische Ehre mit einer Berichterstattung.
"Medientag" fast ohne Resonanz
Ein weiteres Beispiel ist der Basler Medientag, an dem Medien unter Beteiligung des SP-Regierungsrates Kaspar Sutter über den Zustand und eine mögliche staatliche Förderung der Medien diskutierten.
Einzig Bajour, persoenlich.com und Edito berichteten ausführlich darüber. Obschon als "grossen Anlass" eingestuft, liess es die Basler Zeitung bei einem schnell produzierten 17-Minuten-Podcast bewenden, in dem Chefredaktor Marcel Rohr im Kern den eigenen Standpunkt deponierte: gegen direkte Medienförderung, aber klar für indirekte Staats-Subventionen bei der Zeitungs-Zustellung, wovon der BaZ/Tamedia-Verlag profitiert. Die bz verzichtete ganz auf eine Berichterstattung.
Ausgerechnet der Medientag – demokratiepolitisch nicht irrelevant – fand unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
bz mit Rückzieher des Rückziehers
Bei der bz kam es im Streit um das Blum-Buch inzwischen zu einer zweiten Neubesinnung: Nach Übermittlung der Fragen kündigte der Redaktionsleiter gegenüber OnlineReports an, seine Zeitung plane nun doch eine Besprechung. Auf die Nachfrage, wer denn dazu in die Tasten greifen werde, blieb Marcolli im Ungefähren: Den Autor der Rezension möchte er "nicht verraten".
Mehr über den Autor erfahren
8. März 2024
Weiterführende Links:
"Kein Ruhmesblatt"
Für die leider nur noch partiell selbständigen Basler Tageszeitungen sieht es schlecht aus. Zu wünschen wäre, den "Basler Teil-Redaktionen" genügend Eigenständigkeit zu gewähren und diese mit lokal gut verankerten Journalisten zu bestücken. Heute wirken die Lokalteile mehr wie ein Feigenblatt mit dem Ziel in Basel-Stadt und Baselland einige Leser zu halten. Die Qualität ist bescheiden.
Dass ein Buch des Medien-Schwergewichts Roger Blum über die Geschichte der bz quasi totgeschweigen wird, ist kein Ruhmesblatt.
Leider ist die Basler Zeitung nach Somms Abgang nicht wirklich besser geworden. Tamedia hat mit Somm höchstwahrscheinlich einen lebenslangen Deal gemacht, kann er doch seine Ergüsse wöchentlich in der SoZ platzieren und regelmässig im SoZ-TV-Talk mitreden. Die Qualität des BaZ-Lokalteils ist so schlecht, dass ich mir dies nicht antue. Die bz lese ich regelmässig online.
Bernhard Meier, Riehen
"Untergang des Phantoms Medienstadt Basel"
Die Lektüre über die Selbstzensur und die Schere im Kopf bei den führenden beiden "Kopfblättern" aus Zürich und Baden, der BaZ und der bzBasel, stimmt nachdenklich. Der Boykott einer Buchbesprechung von "Das Blatt der Patrioten" durch diese zwei letzten grösseren, wenn auch schrumpfenden Tageszeitungen der Region Basel, ist für heutige und ehemaligen Medienschaffende mehr als nur peinlich, ja beschämend.
Schön, dass Peter Knechtli doch immer wieder in die Tasten greift und uns aufklärt, dass es so ein Buch überhaupt gibt und das Trauerspiel der Verlage und der Redaktionen transparent macht.
Roger Blum, der Verfasser des 440 Seiten starken Buches, ist ja nicht irgendein dahergelaufener Schreiberling, sondern ein hoch angesehener Autor mit einem enormen Background. Die Nicht-Besprechung einer solchen Publikation ist ein Akt der Zensur und eine Bevormundung der Leserschaft, die ja gar nicht davon erfuhr, dass es dieses Werk überhaupt gibt.
Als junger Journalist gaben ich und meine Kolleginnen und Kollegen in den 70er-Jahren das Loblied der Basler Regierung über die "Medienstadt Basel" wieder, geblendet von der Selbstüberschätzung der damaligen noch eigenständigen Verlagshäuser. Dann beendete die Fusion zwischen den Basler Nachrichten und der National Zeitung abrupt die verlegerischen Schalmeienklänge über die "Medienstadt" Basel, die es eigentlich gar nie gab. Darum gehen wir ernüchtert und resigniert dazu über, die heutige Situation korrekt als "Untergang des Phantoms Medienstadt Basel" zu bezeichnen.
Conrad Engler, Binningen