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"Ich will Mehrwert beweisen": Vollamtlicher Basler Regierungspräsident Guy Morin*
Vom Orgel-Training zur Vision von Basels Zukunft
OnlineReports begleitete den neuen vollamtlichen Basler Regierungspräsidenten an seinem ersten Arbeitstag
Von Peter Knechtli
Heute Montag hatte der Basler Regierungsrat Guy Morin seinen ersten Arbeitstag als vollamtlicher Regierungspräsident. OnlineReports begleitete ihn durch den Morgen und stellte fest: Morin will nicht nur Gesicht für die Bevölkerung und die Nachbarn sein, sondern auch das Gesicht von Basels Zukunft.
Es ist Montagmorgen um 7.30 Uhr, auf dem Boden liegt frischer Schnee. Für den grünen Regierungsrat Guy Morin, der heute wetterbedingt mit dem Tram statt dem Fahrrad zur Arbeit fährt, beginnt ein besonderer Tag: Sein erster Arbeitstag der neuen Amtsperiode als vollamtlicher Vorsteher des Basler Präsidialdepartements. Dieser Tag beginnt aber nicht mit der Frühbesprechung in einer Amtsstube, sondern - wie jeder Montag - mit dem Privileg einer Orgel-Übungsstunde im eiskalten Basler Münster. Zügig steigt Guy Morin die 40 Stufen der Wendeltreppe hinauf, schreitet durch die Galerie auf das musikalische Bijou des Gotteshauses zu. Er zieht die Schuhe aus, stülpt Pantoffeln über (ohne die solche Temperaturen vorgesehene Fussheizung zu benützen) und dann zieht er die Register (Bild): Von Rimski-Korsakow das "Unser Vater", von Buxtehude "Auf meinen lieben Gott" und - "jetzt wird's schon schwieriger" - von Bach einen Leipziger Orgel-Choral.
Vom Münster zu Guantanamo
Doch nach einer Stunde wird es Zeit, die politischen Register zu ziehen. Über die Augustinergasse und die Martinsgasse über den Hintereingang des Rathauses geht es in sein gegen den Marktplatz hin ausgerichtetes Büro, wo früher Ralph Lewin und Matthias Feldges residierten. Auf einen besonderen Empfang ist Guy Morin nicht vorbereitet, wie er sagt ("die Basler sind da etwas kühl"). Doch auf dem gläsernen Besprechungstisch erwarten ihn ein kräftiges Blumenarrangement und ein grünes Kärtchen ("Herrn Guy Morin z.g.H."), das seine engsten Mitarbeitenden unterschrieben haben. Seine Assistentin Monika Stöckli (Bild), ihre Stellvertreterin Lotti Freund und Anna Schiliro wünschen ihm sodann alles Gute und viel Erfolg in seinem neuen Amt als Basler "Repi".
Bevor er ein Zeitungsinterview autorisiert, kommt die Rede auf die Guantanamo-Häftlinge und die Frage, ob Basel zur Aufnahme bereit wäre. "Sie müssen ja irgendwo leben", sagt Morin und betont sogleich, dass es sich höchstens um einen einzigen Gefangenen handeln könnte. Wenn US-Präsident Barak Obama das schreckliche Lager schon aufheben und Völkerrecht einhalten wolle, sei es die Pflicht einer Humanisten-Stadt, ihn dabei zu unterstützen. Morin freut sich, dass auch der freisinnige Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass zur Aufnahme eines Häftlings bereit ist. Es sei "klar", dass das Gastrecht nur für einen unschuldig Inhaftierten ohne Beziehungen zu Terroristen-Netzwerken in Frage komme. Auch müsse noch geklärt werden, wer für die erheblichen Kosten einer Integration aufkomme.
Einstimmung auf das Kick-off-Meeting
Allmählich stimmt sich Guy Morin auf eine auf 10.30 Uhr angesetzte Mitarbeiter-Einladung im Grossratssaal ein. Es soll mehr sein als eine staubtrockene amtliche Begrüssung - ein richtiges Kick-off-Meeting mit zukunftsgerichtetem Fokus soll es werden. Die Türe seines Büros ist ganz geöffnet, als er sich in seine (selbstgeschriebene) Rede an seine Belegschaft einliest. Heute sei der "Startschuss" des Präsidialdepatements und dies seien die Mitglieder der wichtigen Koordinationskonferenz: Generalsekretär Marc Steffen, Generalsekretär II Markus Ritter, Staatsschreiberin Barbara Schüpbach und Vizestaatsschreiber Marco Greiner.
Es sei ihm wichtig – liest Guy Morin weiter vor sich hin – eine Kultur entstehen zu lassen, die auf "Vertrauen und Transparenz, Lebendigkeit und Wertschätzung" beruhe. Die Hauptaufgabe des Präsidialdepartements sei es, "dem Kanton ein Gesicht zu geben". Das Departement habe aber auch die "einmalige Chance", den "Planungsbericht" im Bereich Kantons- und Stadtentwicklung für die Gesamtregierung vorzubereiten.
"Nicht nur den Randstein im Visier"
"Planungsbericht". So ein harmloses Wort. Doch es sollte nicht unterschätzt werden. Denn da wird an der Zukunft gebosselt und zum Departement gehören nun einige Leute – neben Marc Steffen und Markus Ritter insbesondere auch Thomas Kessler als neuer Leiter der Kantons- und Stadtentwicklung – die eigene Vorstellungen entwickeln die vorzüglichen Voraussetzungen des Stadtstaates stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken und die schlummernden Stärken der Wirtschaft, Forschung, Kultur und Standort besser zu Geltung bringen wollen. Dies nicht zuletzt auch, um die hier ansässigen hochqualifizierten Expatriates mit ihrem Knowhow in Basel-Stadt zu integrieren.
"Wir sind keine Politiker, die nur an Randsteine denken", umschriebt Morin sein Rollenverständnis und deutet an, dass er in Basel-Stadt deutliche Akzente setzen und weit mehr als blosses "Aushängeschild" oder "Grüss-August" sein will, wie einige vor seiner Wahl spotteten.
Dass das Präsidialdepartement Dynamik entfalten will, ist den Parteien nicht entgangen, seit die Angliederung der neuen Entwicklungs-Abteilung bekannt wurde. Schon heute Montag, am Startschuss-Tag, kündigen die Liberalen für Donnerstag eine Medienkonferenz an, an der sie erklären wollen, "welche Handlungsfelder das neue Departement und speziell die neue Abteilung Kantons- und Stadtentwicklung bearbeiten sollen und welche Forderungen an diese Behörden zu stellen sind". Das Papier, in das die Erkenntnisse einflossen, sei Morin und Kessler bereits "zugestellt" worden.
Die Denk-Fabrik der Staatsverwaltung
Befragt nach seiner Rollenvorstellung erwähnt Guy Morin, dass sein Departement als eine seiner Aufgaben auch die Einrichtung eines kantonalen "Think Tank", einer Denkfabrik, definiert habe. Er ist aber Politker genug, um sogleich einzuschränken, dass er die weiteren Departemente des Kantons "einbeziehen" und "nicht vor den Kopf stossen" wolle. Aber: "Ich will versuchen, den Mehrwert des Präsidialdepartements zu beweisen."
Es ist kurz nach zehn Uhr. Kulturamts-Chef Michael Koechlin schaut noch rasch vorbei, es geht um die zweite Rede des heutigen Tages, die Morin anlässlich einer hochkarätigen Preisverleihung am Abend halten wird. Dann, um 10.12 Uhr, gilt's ernst: "Ich gehe jetzt die Krawatte anziehen." "Herzlich willkommen", wird die neu zusammengesetzte Departements-Belegschaft im Grossratssaal empfangen. Es ist halb elf und der "Kick-off" startet. Guy Morin wird seine eingeübte Rede halten.
"Mehr Offenheit" gefordert
Der Tenor ist "Aufbruch" und "Entstehen lassen": Ein Berner Jazz-Trio, das an der Basler Jazzschule ausgebildet wurde, setzt die Aufbruch-Metapher vor den dichtgedrängten Staatsangestellten-Publikum mit experimentellen Themen aus der Küche um. Die Botschaft ist deutlich: Neues, Bekömmliches, Begehrtes, aber auch Nötiges und Selbstbild-Reflexionen sollen in der Kreativ-Küche des Departements entstehen. Ein Video von Eleven der Hochschule für Gestaltung und Kunst entwirft – schnipselartig, witzig, schräg – Visionen darüber, wie Basel in tausendundeinem Jahr aussehen könnte.
Auffällig oft fallen darin die Wünsche nach "mehr Offenheit" und "mehr Zugänglichkeit". Das allein ist vielleicht schon ein gutes Ausgangs-Rezept, wenn ihm denn auch nachhaltig nachgelebt wird. Als dann der Züricher Zukunftsforscher Stephan Sigrist auch noch einige wichtige Entwicklungstendenzen nennt wie die Gegentrends zur Globalisierung, die Knappheit der Grundgüter und die zunehmende Bedeutung immaterieller Werte, dürften den geladenen Staatangestellten der Ansatz ihrer Departementsleitung bewusst geworden sein: Die Überzeugung, dass auch staatliche Stellen Motoren der Innovation sein können.
Jetzt muss im Departement nur noch auf allen Ebenen wachsen, worauf Chef Morin seine Mitarbeitenden eingeschworen hatte: Sich gegenseitig zu unterstützen.
* Am Morgen des 2. Februar 2009 beim Betreten des Basler Rathauses
2. Februar 2009
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