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"Kognitiv weit unterlegene Opfer": Porno-Austausch-Plattform Internet
Internet-Plattform: Die scharfe "Camilla" war der Sekundarlehrer
Ein Extremfall von pornografischer Ausbeutung von Kindern kommt vor das Basler Strafgericht
Von Peter Knechtli
Ein ehemaliger Baselbieter Sekundarlehrer muss sich im April vor dem Basler Strafgericht verantworten: Er lebte auf Internet-Plattformen jahrelang seine pädophilen Neigungen an Buben – sogar an eigenen Schülern – aus, indem er sich als sexuell interessiertes gleichaltriges Mädchen ausgab und seine Opfer mit "heissen Fotos" köderte.
Ein ehemaliger Baselbieter Sekundarlehrer, der mittlerweile in Basel wohnt, muss sich im April vor dem Basler Strafgericht verantworten: Er lebte auf Internet-Plattformen jahrelang seine pädophilen Neigungen an Buben – sogar an eigenen Schülern – aus, indem er sich als sexuell interessiertes gleichaltriges Mädchen ausgab und seine Opfer mit "heissen Fotos" köderte.
Er trieb sein Spiel während elf Jahren
Bei dieser Anklage dürfte es sich um einen in der Schweiz bisher einmaligen Fall handeln. Nicht weniger als 246 Fälle von Kontakte mit Buben dokumentiert die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift – darunter sieben Jugendliche unter 16 Jahren, die seine ihm anvertrauten Schüler waren. Dem Angeklagten, der als Lehrer in einer Baselbieter Vorortsgemeinde tätig war, werden sexuelle Handlungen mit Kindern, Nötigung und Pornografie vorgeworfen.
Der demnächst 37-Jährige beging seine Sexualdelikte über eine Dauer von nahezu elf Jahren, zwischen Januar 2003 bis Oktober 2013. Dabei nutzte er Kontakt- und Messengerdienste wie MSN, festzeit.ch, meinbild.ch, netlog oder Facebook, über die er mit den Buben in Kontakt trat. Um keinen Verdacht auf sich zu lenken, legte er sich eine falsche Identität zu: Aus dem erwachsenen Schulmeister wurde ein weiblicher Teenager, der sich unter wechselnden Alias-Namen wie "Nicole", "Camilla" oder "Luci".
Bild-Ordner hatte den Namen "Lockstoffe"
Um seine Knaben mit angeblichen eigenen Bildern anzuheizen, missbrauchte er laut Anklageschrift Fotoserien mit Porträt- und Nacktaufnahmen von mindestens drei jungen Frauen, deren Identität nicht bekannt ist. Dem Ordner, in den er diese Digitalbilder abgelegt hatte, gab er den Namen "Lockstoffe".
In seinem Vorgehen folgte er jeweils einem Grundmuster: Biss ein Jugendlicher in einem Chat an, stellte er ihm "heisse Fotos" in Aussicht – aber nur, wenn ihm die Kinder erst welche von sich schickten ("erst du dann ich. so läuft das bei mir uns nicht anders."). Wie die Strafuntersuchung ergab, zielte seine Absicht darauf ab, "in seinen Opfern die Erwartung auf immer erotischere beziehungsweise sexuelle Handlungen zeigende Bilder von 'sich' zu wecken". Dadurch verleitete er die Buben dazu, ihm das gewünschte Bild-Material zu liefern: Nacktfotos, pornografische Videos oder sexuelle Handlungen in Live-Übertragungen.
"Bald wirst Du ein Pornostar"
Dabei setzte er die Buben auch mit fiesen Tricks unter Druck: Die Fotos seien unscharf, oder "sie" müsse jetzt gleich weg, es müssten weitere Bilder nachgeliefert werden, sonst sei die Chance vertan, selbst welche zu erhalten. Ausreden benützte er auch, als die Buben – in der Meinung, mit einer gleichaltrigen Jugendlichen zu chatten – ihn baten, seine Webcam ebenfalls einzustellen: Er besitze keine Webcam, sie sei defekt oder ähnlich.
Die Anklageschrift gibt auch einen Eindruck davon, wie der Erwachsene die Regeln des Psycho-Terrors einsetzte und so die pubertierenden Knaben unter Druck setzte. Tauchten unter den Buben berechtigte Zweifel am angeblich weiblichen Gegenüber auf, verhöhnte und beschimpfte er sie und drohte gar, die erhaltenen Pornobilder zu veröffentlichen ("du wirst bald ein bekannter Pornostar sein") oder an Bekannte des Opfers weiterzuleiten: "Gib mir e antwort oder ich klick uf 'senden'."
Drohungen lösten Panik aus
Diese Drohung löste unter den Jugendlichen Panik aus und das "Betteln", von einer Veröffentlichung abzusehen. Dies wiederum nützte der Angeklagte, seine "ihm kognitiv weit unterlegenen Opfern" (so die Anklageschrift) weiter unter Druck zu setzen: Er verzichte, wenn weitere Bilder geschickt werden. Ein Opfer, das "mit dieser Sache abschliessen" wollte, schrieb ihm verzweifelt: "Immer wenn ich den PC einschalte, hab ich ein schlechtes Gefühl, weil ich nicht weiss, was du mit meinen pic machst. Und wenn du on bist, bekomme ich gleich schon die nächste Panikatacke." Trotzdem spielte der Lehrer seine fiese Masche weiter.
Der Angeklagte verfeinerte sein kriminelles Vorgehen aus dem virtuellen Hinterhalt auch dadurch, dass er seinen Opfern Angaben zu tatsächlich existierenden Klassenkolleginnen machte. Zudem forschte er die Kinder durch Internet-Suchen aus, erstellte darauf "Opferprofile" und setzte das gewonnene Wissen als "Nötigungsmittel" ein.
Hohe Freiheitsstrafe möglich
Wenn er homosexuelle Jungs in der Leitung hatte, gab sich der Lehrer als minderjähriger Knabe aus, wobei er sich mit Sexbildern eines seiner Opfer vorstellte. Als die Fahnder im August 2014 zur Hausdurchsuchung schritten, stellten sie in der Wohnung des Lehrers 47'670 kinderpornografische Bilder und 4'096 Videos, 92 tierpornografische Bilder und zwei Videos sowie fünf gewaltpornografische Bilder sicher.
Der Prozess, der als Warnsignal gegen den Austausch von digitalen Sex-Bildern verstand werden kann und muss, beginnt am 9. April. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Beurteilung des Falles durch die fünfköpfige Vollbesetzung ("Kammer") des Strafgerichts. Daraus lässt sich schliessen, dass die Anklägerin eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren zu beantragen gedenkt.
21. Januar 2019
Weiterführende Links:
"Skrupellose Vorgehen gegen Jugendliche"
Mich schaudert dieses skrupellose Vorgehen gegen Jugendliche. Wem darf man seine Kinder noch anvertrauen? Die Jugendlichen sind in diesem Alter besonders verletzlich, denn sie suchen ihren Weg des Erwachsenwerdens und werden schauderhaft missbraucht, unglaublich. Wie konnte dieser Herr so lange Jahre wirken? Die neuen Technologien bringen uns an unergründete Phantasien, welche von Menschen missbraucht werden. Was für eine kranke Welt!
Yvonne Rueff-Bloch, Basel