© Foto by Staatsarchiv Basel-Stadt
"Filme auf Zeitreise": Film-Dokument "Gegen den Strom"
Bewegte Bilder, bewegende Zeiten
Das Staatsarchiv Basel-Stadt bewahrt auch Filme auf. Ein Teil davon wird jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt
Von Aurel Schmidt
Nicht nur schriftliche Dokumente sind ein Mittel, um die Geschichte zu erforschen, sondern vermehrt auch visuelle Medien. Das waren in der Vergangenheit vor allem Fotografien. In jüngster Zeit neu hinzugekommen sind aber auch Filme, deren dokumentarischer Wert immer klarer erkannt wird – etwa durch das Basler Staatsarchiv.
Seit Längerem und in zunehmendem Mass werden die visuellen Medien als wichtige Grundlage erkannt und bedient sich die wissenschaftliche Forschung ihrer mit Gewinn. Zuerst waren es ausschliesslich Bücher, die als Dokumente und Unterlagen in Betracht kamen. Ein Autor führte weiter, was die vorausgegangenen begonnen hatten. So wurde das Wissen vermehrt.
Seit ihrer Erfindung bilden historische Fotografien eine unerschöpfliche Quelle, um die Vergangenheit im Bild festzuhalten und aufleben zu lassen. Heute erweitert der Film die Möglichkeiten, um verflossene Zeiten zu studieren. Zum Beispiel ist in der Ethnologie die visuelle Anthropologie zu einer selbständigen Disziplin avanciert und erweist sich von grosser Bedeutung, um ein besseres und sozusagen objektives Bild über Handwerke, Techniken oder Rituale zu vermitteln.
Zeugnis-Hort Staatsarchiv
Auf diese Weise ist der Blick in die Vergangenheit durch die Erweiterung der Medien immer reichhaltiger geworden. Bilder können oft eine viel anschaulichere Vorstellung geben als ausführliche und "dichte" (wie Clifford Geertz sagt) Beschreibungen, die nicht immer den direkten optisch-filmischen Eindruck herankommen. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – sagt man. Aber das ist eine diskutierbare Aussage und ein anderes Thema.
Schon in der Vergangenheit hat auch das Staatsarchiv Basel Filme gesammelt und aufbewahrt, aber eher beiläufig. Das in alter Schrift beschriebene und zum Teil bedruckte Papier war wichtiger und entsprach auch eher der archivarischen Tradition. Mit den neuen Formen der Dokumentalisierung und Aufbewahrung ändert sich das heute.
Unabhängig davon bleibt das Staatsarchiv der Ort, wo die wichtigsten Zeugnisse über die offizielle Geschichte Basels aufbewahrt werden. Nicht der einzige, aber der wichtigste, wo die Verwaltungstätigkeit der Stadt und des Kantons für die Nachwelt festgehalten wird. Dafür in Frage kommen vor allem alte Urkunden, Ratsprotokolle, Baupläne, Stiche und Fotografien (in Basel 500'000, von denen 35'000 online zugänglich sind). Auch private Familienarchive werden aufbewahrt. Für Bücher ist dagegen die Universitätsbibliothek zuständig.
Und jetzt also bekommt auch der Film eine neue, der Entwicklung und den wissenschaftlichen Anforderungen entsprechende Stellung im Staatsarchiv zugewiesen.
Ein Bestand von 400 Filmen
400 teils unvertonte Filme befinden sich heute im Basler Staatsarchiv. Sie wurden in jüngster Vergangenheit gesichtet und inventarisiert. Viele waren in einem deplorablen Zustand, was in Anbetracht der unterschiedlichen Qualität der Bildträger und der schnell sich ändernden und erneuernden Techniken verständlich ist. Lange Zeit schienen Ton- und Videobänder den Weg in die Zukunft der Archive zu weisen, aber sie waren nur beschränkt haltbar und mussten oft umkopiert werden. Die digitalen Datenträger scheinen vielversprechender zu sein.
Viele Filme im Staatsarchiv mussten wegen ihres Alters restauriert werden, so dass sie in ihrer alten analogen Form erhalten bleiben (mit den entsprechenden alten Abspielgeräten), sie wurden mit einer Digitalkamera neu abgefilmt sowie mit einem neuen Vorspann versehen. In einem ersten Schritt wurden von 50 Filmen Digitalisate erstellt und als unkomprimierte Quick-Time-Filme in SD und HD-Qualität gespeichert, um für verschiedene Zwecke eingesetzt werden zu können.
Filme von 1933 bis 1968
In Kooperation mit Christoph Stratenwerth und dem teamstratenwerth hat das Staatsarchiv auch mit einer DVD-Archivedition begonnen. In einer ersten Lieferung unter dem Titel "Bewegte Vergangenheit – Filme aus dem Staatsarchiv Basel-Stadt" werden auf zwei DVDs Filme aus der Zeit von 1933 bis 1968 zusammengefasst und zugänglich gemacht.
Bewegt waren die Bild und die Zeit. "Die Filme führen auf eine Zeitreise durch ganz unterschiedliche, vergessene, unbekannte oder scheinbar abwegige Geschichten", schreibt die Basler Staatsarchivarin Esther Baur. Die Bilder würden, meint sie, für sich sprechen, aber historisch sind sie erklärungsbedürftig. Deshalb liegt der Doppel-DVD ein erhellendes Booklet mit Beiträgen von Nathalie Baumann und Christoph Manasse bei. Jeder Film hat eine eigene Geschichte.
Die Archivedition wird am 10. Juni im Stadtkino präsentiert. Von diesem Tag an wird der Filmbestand auch über den Archivkatalog online recherchierbar und eine Auswahl daraus direkt auf der Webseite des Staatsarchivs aufgeschaltet sein.
Rheinschiffahrt, "Pop-Art-Fescht" und andere
Jetzt noch ein paar Stationen auf einer kurzen Zeitreise in die Vergangenheit. Unter den neu zugänglich gemachten Filmen ist einer, der das 1968 abgehaltene "Pop-Art-Fescht" von Le Bon Film festhält. (Basel war eine Pionier-Kinostadt.) Der Film "Gegen den Strom" von Walter Kägi (1956, Drehbuch Kurt Früh und Walter Kägi) begleitet die Fahrt der "Alpenrose", beladen mit "flüssigem Brennstoff", von Rotterdam nach Basel, sehr didaktisch (er wird für die Vorführung in Schulen gedacht gewesen sein) und eingebettet in eine herzerweichende Familiengeschichte. Noch in einem anderen Film zeigen Trude und der frühere Basler Zoo-Direktor Ernst Lang, wie nach dem Bau des Elefantenhauses 1952 im ostafrikanischen früheren Tanganyika fünf "Elefäntchen" gefangen und nach Basel gebracht wurden.
Berührend ist der Film "Basler Industriepflanzwerk" aus den Jahren 1942-1946, in dem zu sehen ist, wie Lager- und Sportplätze sowie Spielwiesen während des Zweiten Weltkriegs in Pflanzland umgewandelt werden. Jeder Flecken Erde wurde damals für den Anbau von Nahrungsmitteln herangezogen. Das heisst: Man sieht es im Film nicht direkt, sondern es geht aus dem Kontext hervor. Bauern arbeiten mit der Sense auf dem Feld und die zusätzlichen Lebensmittelrationen werden verpackt und verteilt. Es war Krieg, die Menschen mussten mit dem Allernotwendigsten auskommen.
Seenot-Wache in der Nordsee
Von hochstehender künstlerischer Bildsprache ist der Film "Gefahr Nord West" (1958) des Basler Fotografen Peter Moeschlin und von Andreas Demmer mit dem Kommentar von Alexander Seiler über die Seenot-Wache in der Nordsee. Gesprochen wird im Film wenig, die darin vorkommenden Sprachfetzen sind zur Hauptsache Funksprüche auf einem Rettungsboot, das einem anderen zu Hilfe kommt und in der Nacht auf dem Meer schaukelt, in einer gespenstischen Stimmung und zu einer akustischen Kulisse, die das Unheimliche noch verstärkt. Die Musik komponierte Oskar Sala, ein Pionier der elektronischen Musik, der auch für Alfred Hitchcocks Film "Die Vögel" die Musik schrieb.
Der Film über die "Wiedervereinigung von Basel-Stadt und Baselland" von 1937 zeigt in einer Momentaufnahme anschaulich den Alltag in den beiden Kantonen. Die Botschaft lautet, dass die Grenze zwischen den beiden Halbkantonen die Entwicklung behindert. In Basel wird das Stadtcasino gebaut, der Kanton Basel-Landschaft entwickelt sich mit Firestone, Persil, Dalang's Teigwaren und anderen Unternehmen zum Industriekanton, aber noch immer bringen die Bauern im oberen Kantonsteil mit dem Pferdefuhrwerk die Kartoffelsäcke auf den Bahnhof Gelterkinden. In der Markthalle (die heute zur "Event-Halle" umgebaut wird) als Umschlagplatz werden die landwirtschaftlichen Produkte umgesetzt. Coop hiess damals übrigens noch A.C.V. (Allgemeiner Consum-Verein).
Man macht sich heute keinen Begriff mehr, wie es damals war. Das Bild kann hier eine Unmittelbarkeit herstellen, die das Wort nur auf ganz andere, diskursive Weise erreicht (was die eigentliche Aufgabe des Worts ist). Dass der Wiedervereinigungs-Film als "Propagandafilm" tituliert ist, schmälert seinen Eindruck in keiner Weise.
Grenzen der Sammeltätigkeit
Die hier getroffene willkürliche Auswahl einiger vorab visionierter Filme wirft einige Fragen auf. Nach welchen Kriterien werden die Filme ausgesucht? Und wie geht es weiter? Welche Aussicht hat ein Film über die Fasnacht als Beispiel für das Leben in Basel dabei (oder mehrere Filme aus verschiedenen Zeiten, um die Entwicklung aufzuzeigen, denn Veränderungen hat es gegeben)? Würde ein Film über die Cup- oder Meisterschaftsfeiern auf dem Barfüsserplatz nach einem Sieg des FCB oder über die Krawalle vor dem Stadion mitberücksichtigt, an dem in 50 Jahren vielleicht einmal das Phänomen Fussball am Anfang des 21. Jahrhundert studiert werden kann, oder ist das Sache von TeleBasel oder des Schweizer Fernsehens?
Fragen dieser Art betreffen besonders die zukünftige Sammeltätigkeit. Staatsarchivarin Esther Baur sieht die Grenzen eng gezogen. Sie ist zunächst abhängig vom angebotenen Filmmaterial. Danach wird entschieden, was davon angenommen und archiviert wird. Den Ausschlag gibt dabei, dass im Rahmen der Kernaufgabe des als Dienstleistungsbetrieb verstandenen Staatsarchivs jene Filme Vorrang geniessen, die als Dokumente für die Stadtgeschichte relevant sind. Es sollen "Werkzeuge" sein. Sicher ist dabei eines: Dass hier ein Bereich betroffen ist, der ein grosses Ausbaupotenzial aufweist.
Staatsarchiv: www.staatsarchiv.bs.ch
Die DVD-Edition "Bewegte Vergangenheit" mit Booklet erscheint im Juni im Christoph Merian Verlag, kostet 39 Franken und ist im Buchhandel erhältlich.
Filmabend im Stadtkino: 10. Juni, 18.30 bis 20 und 21 bis 22.45 Uhr.
2. Juni 2010