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"Eins in die Nüsse": Gerichtssaal Zivilschutzzentrum Eiken
Ein Blick in den Abgrund des Geld-Zerstörers ASE
Der Geschäftsführer als Tyrann und Kumpane, der Präsident als Unschuldslamm und die BKB als blinde Profiteurin
Von Peter Knechtli
Auftakt zum Strafprozess um die zusammengebrochene ASE Investment AG heute Montagmorgen: Der erste Verhandlungstag dokumentierte die zwielichtige Persönlichkeit von ex-ASE-Geschäftsführer Martin Schlegel, die Mitwisserschaft seines Präsidenten Simon Müller und die Referenz-Rolle der Basler Kantonalbank (BKB) als Depotbank.
Der Prozess vor dem fünfköpfigen Bezirksgericht Laufenburg unter dem Vorsitz von Beat Ackle war aufgrund des erwarteten hohen Interesses im Zivilschutz-Zentrum Eiken (Bild) angesetzt worden.
Es wagte sich allerdings nur ein gutes Prozent der insgesamt 2'500 durch den Anlage-Skandal Geschädigten an den Schauplatz im Fricktal, auf dem in den nächsten sieben Tagen mit einer Deliktsumme von 170 Millionen Franken einer der grössten Anlagebetrugsfälle in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte strafrechtlich aufgeabeitet wird. Zu gross dürfte die Scham gewesen sein, von der Prozess-Öffentlichkeit als gieriger Investor wahrgenommen zu werden: Viele der Betroffenen erlitten Totalverluste in Höhe von bis zu mehreren hunderttausend Franken. Drei ehemalige Akteure – zwei aus der ehemaligen ASE und ein ex-BKB-Kundenberater – sitzen auf der Anklagebank.
Rückweisung der Anklage abgelehnt
In den Fall involviert ist auch die Basler Kantonalbank (BKB), die als Depotbank firmierte und den über Jahre anhaltenden Schwindel erst bemerkte, als ein ASE-Kunde bei eigenen Recherchen darauf stiess, dass neben seinem offiziellen Konto auch ein auf Kanada-Dollar lautendes Geheim-Minuskonto existierte, mit dem die ASE die erlittenen Verluste kaschierte.
Jürg Krumm, in Stellvertretung des hospitalisierten Valentin Landmann, Anwalt des damaligen Zürcher BKB-Kadermannes Manfred G. (53), stellte gleich zu Prozessbeginn den Antrag, die Anklage zurückzuweisen, weil sie "eine Vermischung von Anklageschrift und Urteilsbegründung" zu ungunsten seines Mandanten sei.
Staatsanwalt Karl Knopf wehrte sich gegen den Antrag mit der Begründung, die "Waffengleichheit" sei "nicht verletzt". Die 592 Seiten starke Anklageschrift habe die vorgängige Prüfung durch das Gericht bestanden. Das Gericht lehnte den Rückweisungs-Antrag ab.
"Arschlöcher", Hosenscheisser", "Pressefuzzi"
Erster Schwerpunkt der auf sieben Tage angesetzten Verhandlung war das Abspielen von Telefongesprächen, die der aus Frick operierende ASE-Geschäftsführer Martin Schlegel (50) mit BKB-Mitarbeitern führte. Gleich serienweise beschimpfte der Hauptangeschuldigte die Banker als "Arschlöcher" und "Hosenscheisser", cholerisch feuerte er "Gopfertammi"-Salven in die Telefonleitung, drohte mit Strafanzeige und Intervention bei den Vorgesetzten, um handkehrum wieder den gemütlichen Kumpel herauszukehren. Unter anderem wies er die Banker an, "auf keinen Fall Informationen an Treuhänder herauszugeben, die Depot-Auszüge verlangen".
Den Journalisten, der in der Zeitschrift "K-Geld" erstmals auf die problematische Geschäftstätigkeit aufmerksam machte, stempelte er als "Pressefuzzi" ab. Seine BKB-Gesprächspartner forderte er auf, den Kollegen im Basler Handel "eins in die Nüsse zu hauen".
Auffällig war an den telefonischen O-Tönen, wie dominant, herrisch und teilweise drohend Schlegel gegenüber den schon devot wirkenden BKB-Mitarbeitern auftrat. Anderseits kam heraus, dass Schlegel bei Gelegenheit von der BKB mit Champagner und Wein beschenkt wurde.
Auftritte in Singapur und Schanghai
In einem Fall schilderte Schlegel telefonisch ein privates Rencontre mit dem Fahrer eines Lastwagens, der vor ihm einen Schikane-Stopp ausgelöst habe. Hätte er ein Elektroschock-Gerät dabei gehabt ("z Thailand händ sie huere schtarki Gräätli"), "dann hätte ich ihn gleich niedergestreckt", sagte der mit Thailand nicht unvertraute Schlegel, der unter den Investoren als "bodenständig und angenehm" scheinbar besser ankam als sein Kumpane Simon Müller (43), der vor Gericht auch mal als "arrogant und schnodrig" eingeschätzt wurde.
Vielmehr wollten Schlegel und Müller gemeinsam hoch hinaus, sonst hätten sie nicht – mit Unterstütztung des BKB-Kundenberaters Manfred G. – auch in Singapur und Schanghai Anlage-Präsentationen durchgeführt. Dort dürften auch die fernöstlichen ASE-Kunden angebissen haben, deren Namen jetzt auf der Geschädigten-Liste der Staatsanwaltschaft stehen.
Auch gute Zensuren für Schlegel
Als Auskunftspersonen schilderten mehrere Anlagevermittler im Dienste der ASE, wie sie in den ersten Jahren der ASE-Tätigkeit in die Investmentfirma und ihre beiden führenden Köpfe Vertrauen fassten. Schlegel habe "sehr präzis, zuverlässig und schnell" gearbeitet. Die Kunden hätten ihr Geld während zehn Jahren "pünktlich zurückbekommen". Schlegel habe damals das "Antibild eines Wirtschaftsbetrügers" abgegeben.
Bis der Wind drehte, die Verluste allmählich spürbar wurden, und die Firma schliesslich zusammenkrachte, nachdem die BKB und die Wirtschaftsprüferin PWC noch bekräftigt hatten, es sei "alles in Ordnung". Ein Vermittler aus dem 1996 gegründeten Liestaler Makler-Pool Ficon sagte aus: "Ich hatte heulende Männer am Telefon."
Ein anderer Vermittler schilderte unter Tränen, dass der Fall ihm "den Boden unter den Füssen weggezogen" habe und er ein halbes Jahr psychiatrische Betreuung benötigt habe. Ein weiterer ASE-Partner sagte, sein Grundvertrauen in die Finanzwelt sei seither "erschüttert". Es sei insbesondere "unvorstellbar, dass die BKB und die Finanzmarktaufsicht nichts gemerkt haben".
ASE-Präsident war nicht das Unschuldslamm
Ein neues Bild vermittelten die Auskunftspersonen über die Rolle, die ASE-Präsident Simon Müller in der ganzen Affäre gespielt habe. Müller gab sich bisher als ahnungslos und von Schlegel getäuschtes Opfer, er habe von den immensen Verlusten seiner Firma nichts gewusst.
Die Vermittler erklärten nun übereinstimmend, Müller sei als Direktor des auf den Cayman-Inseln domizilierten "Quanto Fund" – einem der Anlage-Vehikel – der eigentliche "Mister Quanto". Auch sei er "jederzeit als Stellvertreter von Herrn Schlegel" genannt worden. Die beiden hätten ihren Arbeitsplatz in Frick im selben Büroraum im Abstand von nur wenigen Metern gehabt und sicherlich auch Telefongespräche voneinander mitbekommen. Es sei "nicht glaubhaft, dass Müller nichts wusste".
BKB-Berater war "nur die Spitze des Eisbergs"
Durch die Aussagen von Vermittlern, Auskunftspersonen und Investoren zog sich wie ein roter Faden die Verwunderung über die Rolle der Basler Kantonalbank. "Immer wieder wurde die BKB herangezogen", wenn es unter Hinweis auf die Schweizer Bank mit Staatsgarantie darum ging, die Glaubwürdigkeit des ASE-Anlage-Geschäfts zu untermauern, wie ein Vermittler heute meinte. "Die BKB war ausschlaggebend für mein Vertrauen in das ASE-Investment", sagte ein 56-jähriger Investor.
Ein pensionierter Bank-Informatiker zeigte sich "felsenfest davon überzeugt, dass der angeschuldigte BKB-Kundenberater nur die Spitze des Eisbergs ist". Ab einem bestimmten Zeitpunkt hätten der Angeschuldigte und die Direktion der Bank gewusst haben müssen, "dass die ASE Transaktionen tätigte, die nicht okay sind". Diese Aussagen weisen darauf hin, dass die damalige BKB mit ihrer Reputation wie ein Schmiermittel für potenzielle Investoren gewirkt hatte – obschon sämtliche Kundenkontakte über die ASE liefen. Der Informatiker hat eine Strafanzeige gegen die BKB eingereicht, die bis zum Abschluss der aktuellen Hauptverhandlung noch "auf Eis liegt".
Nichtwissen über Retrozessionen
Im Verlauf des Prozesses wird das Gericht auch den damaligen BKB-CEO Hans Rudolf Matter befragen, der als Folge der Verstrickung in den ASE-Skandal den Hut nehmen musste. Pikant: Ein Mail des angeschuldigten BKB-Beraters Manfred G. an einen Investor, worin der ASE noch zwei Jahre vor dem Firmen-Zusammenbruch seriöses Geschäftsgebaren bescheinigt wurde, war auf dem BKB-Mailserver später angeblich nicht mehr auffindbar.
Den meisten der vom Gericht befragten Personen war nicht wirklich bewusst, dass die ASE-Manager Retrozessionen auf Devisenhandels-Geschäfte mit ASE-Kunderngeldern kassierten, die laut Ankläger Teile jener Millionen waren, die Schlegel und Müller zwischen 2006 und 2012 einsackten.
21. November 2016
Weiterführende Links:
"Kuscheljustiz hält Kriminelle nicht ab"
"Es ist zu hoffen, dass die Strafurteile spürbar ausfallen." Genau das ist sehr zu bezweifeln lieber Herr Augustin, wenn man all die Urteile den letzten Monaten und Jahren in solchen Finanz-Fällen sich zur Gemüte führt. Was für eine Rechtsprechung wir doch haben. Potenzielle zukünftige Kriminelle werden durch die Urteile unserer Kuscheljustiz sicher nicht von weiterem Tun abgehalten, im Gegenteil. Wie war das nochmal, wer macht unsere Gesetzgebung? Richtig – unser "Rechts"-Staat.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Was für Charaktere!"
Alleine die Verwendung von Wörtern wie "Arschlöcher, Hosenscheisser und Pressefuzzi" zeigt doch, welche Charaktere auf der Anklagebank da am werken waren. Es ist zu hoffen, dass die Strafurteile spürbar ausfallen!
Albert Augustin, Gelterkinden