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"Das ist ein Strassenausbau": Miescher-Liegenschaft an der Hauptstrasse
Arisdorf: Wie sich Ortsbildkämpfer und Tiefbauamt finden
Die Sanierung der Hauptstrasse war jahrelang blockiert – jetzt wehrt sich in der ersten Etappe noch eine Partei dagegen
Von Peter Knechtli
Im Bilderbuch-Dorf Arisdorf tobt seit Jahren ein Kampf um den Ausbau der gesamten Hauptstrasse: Ortsbildschützer und Hauseigentümer gegen das Baselbieter Tiefbauamt. Doch nun scheinen sich die Parteien sorgfältig anzunähern. Beide haben in der ersten Etappe Zugeständnisse gemacht. Eine Partei wehrt sich noch am Kantonsgericht.
Wer durch die Hauptstrasse der Oberbaselbieter Gemeinde Arisdorf geht, könnte nicht erstaunt sein, wenn ihm unvermittelt ein von Pferden gezogener Heuwagen entgegen käme: Ein schlichter und vom jahrzehntelangen Gebrauch gezeichneter, trottoirfreier Asphaltbelag mit Schlaglöchern führt schier endlos durch das fast zwei Kilometer lange, immer noch bäuerlich geprägte Strassenzeilendorf. Kurven, Höhenunterschiede und Engnisse verhindern eine Übersicht, die dazu verleiten würde, aufs Gaspedal zu treten.
Sanierung ist nicht bestritten
Es ist unbestritten, dass die Strassenoberfläche saniert und die sich unter ihr befindlichen Werkleitungen – wie Wasser, Strom oder Telekommunkation – erneuert werden müssen. Der Kanton als Eigentümer der Hauptstrasse wollte diese Gelegenheit schon zu Beginn dieses Jahrzehnts zu einer umfassenden Sanierung des gesamten Verkehrsweges nutzen und auch einen einseitigen Gehweg erstellen.
Doch im Dorf regte sich Widerstand, auch in Form zahlreicher Einsprachen. Ein "Aktionskomitee für ein lebenswertes Arisdorf" sammelte Unterschriften gegen die Pläne des Tiefbauamtes, weil durch Strassenverbreiterung und Trottoir die "Schneise" durch das Dorf optisch um 40 Prozent erweitert werde.
Kanton gegen "Tempo 30"
Folgen seien ein höheres Verkehrsaufkommen und schnelleres Fahren des Individualverkehrs. Dadurch erhöhe sich die Gefahr insbesondere für Kindergartenkinder und Primarschüler, die die Strasse täglich viermal überqueren müssen. Bisher habe es keine gravierenden Unfälle gegeben. Der finanziell damals schon angeschlagene Kanton wolle elf Millionen Franken "für weniger Verkehrssicherheit" ausgeben, argumentierten die Ausbau-Kritiker, die insbesondere "Tempo 30" als Lösungsansatz vorschlugen, worauf sich der Kanton jedoch nicht einliess.
Die Kritiker waren aber nicht allein: Das Projekt war nicht mehrheitsfähig, auch der Gemeinderat lehnte es ab und votierte für "Tempo 30". Auch Projektanpassungen des Kantons vermochten nicht zu überzeugen. Das Protokoll einer Gemeindeversammlung von 2014 spricht von einer "ziemlich verfahrenen Angelegenheit". Ein Jahr später wird ein "verbessertes Gesprächsklima" zwischen Kanton und Gemeinde aktenkundig.
Auch ums Ortsbild besorgt
Im August 2016 legte das Tiefbauamt ein Sanierungsprojekt mit der 350 Meter langen "Etappe Zentrum" als erste von insgesamt sechs Teilbereichen mit Kosten von 1,5 Millionen Franken auf. Es war inzwischen die dritte Planauflage. Wieder gingen Einsprachen ein. Im September 2016 reichten die Hauptstrasse-Anrainer Michael und Sibylle Laubscher sowie Barbara Miescher eine von 157 Dorfbewohnern unterzeichnete Petition an die Bau- und Umweltschutzdirektion ein.
Bei den Kritikern (Bild links)* handelt es sich nicht um bekannte grüne Aktivisten, sondern um Bürger, die zwar eigene Interessen vertreten, aber insbesondere auch den gut erhaltenen historischen Charakter des Dorfs und eine natürliche Verkehrsberuhigung bewahren möchten. So erinnern sie an eine spezifisch auf Arisdorf anwendbare Empfehlung des Inventars der schützenswerten Ortsbilder (ISOS), in der es heisst: "Der Strassenraum, wesentliches Qualitätsmerkmal des Ortes, sollte keinesfalls ausgebaut oder mit erhöhtem Trottoir versehen werden."
Negativ-Vorbild Giebenach
Die Petenten befürchteten auch, dass bis an die Hauptstrasse reichende Rosengärten, Bäume, Hausmauern, Hühnerställe oder Bruchsteinmauern der Strassenverbreiterung zum Opfer fallen könnten. "Wir hätten gerne mitgewirkt, aber es gab keine öffentliche Orientierung", sagte der Physiker Michael Laubscher im Gespräch zu OnlineReports.
Die Einsprechenden fürchteten, dass das Tiefbauamt herkömmliche Stützmauern durch Betonmauern ersetze, wie sie als "in abgrundtiefer Gestaltungs-Schlechtigkeit kaum zu überbietende Grausamkeit" in Giebenach gebaut worden seien. Ihnen schwebt eine harmonische Strassengestaltung vor, wie sie Wintersingen vorzuweisen hat. Die Befürchtung ist nicht ganz von der Hand zu weisen, denn laut der Kantonalen Denkmalpflegerin Brigitte Frei-Heitz war an der Etappe Zentrum "kein Landschaftsarchitekt" beteiligt.
Ungeduld im Tiefbauamt
Die Denkmalpflegerin betont aber, dass "das Projekt den besonderen historischen Charakter des Strassenzeilendorfes mitberücksichtigt". Bei der Gestaltung eines Strassenraums müssten immer "verschiedene, berechtigte öffentliche Interessen" berücksichtigt werden. Generell strebe der Fachbereich Ortsbildpflege "eine ruhige, möglichst einheitliche Gestaltung" an.
Beim Tiefbauamt in Liestal ist nach all den Jahren deutliche Ungeduld zu spüren. Viele Besprechungen, Verhandlungen mit Anstössern und Augenscheine mit Einsprechern haben in den letzten Monaten stattgefunden. "Am 4. April wollten wir mit dem Bau beginnen, wir hatten schon Tafeln aufgestellt, der Unternehmer war bereit. Doch jetzt haben wir keine Ahnung, wie es weiter geht", sagte Projektleiter Angelo Gatti zu OnlineReports. "Wir haben uns mit allen Anstössern geeinigt und die Einsprachen wurden zurückgezogen, ausser jene von einer Partei.
Baubeginn nicht mehr dieses Jahr
Es handelt sich um Liegenschaftsbesitzer Thomas Miescher und seine Ehefau Barbara. Pikant: Im Haus an der Hauptstrasse 76 (Aufmacherbild oben) wohnt auch Kritiker Max Miescher, der Vater des vom Projekt restlos überzeugten Gemeindepräsidenten Markus Miescher. Die Einsprache von Mieschers, die sich gegen die Linienführung und für eine Verengung wehren, war am 21. Februar von der Regierung abgelehnt worden. Nun reichten sie Beschwerde beim Kantonsgericht ein. "Damit dürfte ein Baubeginn noch dieses Jahr nicht mehr möglich sein", bedauert Gatti.
Dabei sei das Tiefbauamt den Kritikern weit entgegen gekommen. So werde die Strasse von 6.50 auf 6 Meter verschmälert, auch werde auf eine Mittelstreifen-Markierung verzichtet und Beton-Stützmauern würden mit Bruchstein-Elementen verkleidet. Zwei Engnisse mit einer Breite von 3.50 Metern blieben bestehen, so dass ein Personenwagen und ein Velo kreuzen können.
Umstrittener Rosengarten
"Ja zu Arisdorf – Nein zur Transit-Hauptstrasse" hiess es auf einem Transparent, das am Zaun von Mieschers Rosengarten angebracht war. Mit den Bewohnern dieser Liegenschaft war bisher keine Einigung möglich, obschon der Kanton laut Gatti individuelle Plankorrekturen angebracht und auf dem Vorplatz auf acht Meter Gehweg verzichtet habe.
Barbara Miescher argumentiert anders: "Ich will nicht am Garten und am Vorplatz enteignet werden." Die Hauptstrasse führe heute schon sehr nahe an der Liegenschaft vorbei: "Wenn es regnet, spritzt das Wasser von den Autos an die Fensterscheiben." Ausserdem gingen zwei Parkplätze verloren. Energisch fährt sie fort: "Das ist ein Strassenausbau, keine Sanierung. Ich aber will eine Verkehrsberuhigung." Auch wehrt sich Barbara Miescher dagegen, als alleinige Gegnerin des Projekts hingestellt zu werden. Bei den weiteren geplanten Abschnitten werde es auch wieder zahlreiche Einsprachen von Anstössern geben.
"Kooperatives Verhalten" attestiert
Michael Laubscher, der im unteren Dorfteil wohnt und vom aktuellen Teilprojekt nicht direkt betroffen ist, attestiert dem Tiefbauamt in den letzten Monaten ein "kooperatives Verhalten betreffend der räumlichen Gestaltung". Er hoffe, dass "diese direkte und offene Kommunikation" auch in den künftigen Etappen beibehalten werde.
So steht der Arisdörfer Hauptstrasse-Bau immer noch vor einer unklaren Zukunft. Barbara Miescher will "wenn nötig vor Bundesgericht", falls das Kantonsgericht ihre Beschwerde abweist. Der Leidensweg und die Strasse durch Arisdorf, die sehr nahe an Liegenschaften vorbeiführt, wird sich wohl erst dann verkürzen, wenn das Tiefbauamt so ernsthaft wie nur möglich auf die Anliegen der Anrainer eingeht. Sonst werden weitere Einsprachen und Verzögerungen die Folge sein.
* von links: Calude Mutz, Barbara Miescher, Sibylle Hagmann, Sibylle Laubscher, Michael Laubscher
Diese Recherche war dank des OnlineReports-Recherchierfonds möglich.
11. April 2017