© Fotos by Ruedi Suter, OnlineReports.ch / Barbara Schachenmann / René Stäheli
"Zunehmende Buschkriege": Elefant in Nordtansania
Wilderei-Desaster: Endlich reagiert die UNO mit "historischer Resolution"
Am Airport Zürich flog im Juli mit 262 Kilogramm der grösste je entdeckte Elfenbeinschmuggel der Schweiz auf
Von Ruedi Suter
Die Wilderei führt zu Buschkriegen und reduziert die Artenvielfalt. Den Wildtieren droht die Ausrottung. Mitbetroffen ist auch die Schweiz als Ziel- oder Transitland, wie der eben entdeckte Elfenbein-Schmuggel zeigt. Alarmiert hat nun die UNO ihre erste Anti-Wilderei-Resolution beschlossen. Aber damit ist der Kampf gegen die Kriminellen noch längst nicht gewonnen.
Trotz Warnungen aus Naturschutzkreisen und Forschung wurden sie bislang notorisch unterschätzt: Die Wilderei, der Handel mit bedrohten Tier- und Pflanzenarten, und die illegale Jagd mit ihren kaum absehbaren Folgen für den Lebenskreislauf der Ursprungsländer. Vor allem das jüngste Abschlachten abertausender Elefanten und tausender Nashörner in Afrika durch gut organisierte Verbrechersyndikate hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diese Tragödien gelenkt.
Die lange unterschätzten Dimensionen des Wildtiergeschäfts veranschaulichen Nichtregierungs-Organisationen und die Vereinigten Nationen mit einem Vergleich: Es besetzt Platz vier der finanziell einträglichsten Global-Verbrechen. Gegen 20 Milliarden US-Dollar sollen Kriminelle mit dem Töten, dem Fangen oder Verkaufen von Wildtieren und ihren Körperteilen einstecken. Überrundet werden Gewinne aus dem illegalen Tier- und Pflanzenhandel nur noch durch das Drogengeschäft, den Handel mit Menschen und der Fälschung von Geld und Produkten.
Schweiz: Drehscheibe für illegales Elfenbein
Und die Schweiz wird als Drehscheibe missbraucht. Vorab ihre internationalen Flughäfen in Zürich und Genf dienen der Wilderei-Mafia seit Jahrzehnten als Umschlagdestination. Hier werden aus Afrika eintreffende Kisten und Koffern mit harmlosen Inhaltsangaben und brisanten Ladungen wie Elfenbein, illegalem Wildfleisch (Bushmeat, Bild) und geschützten Tieren aus Afrika umgeladen oder gar ausgeladen. Das jüngste Beispiel mit Rekordcharakter machte die eidgenössische Zolldirektion soeben publik.
Vergangenen 6. Juli entdeckten die Zollbeamten am Zürich-Flughafen acht verdächtige Koffer, gefüllt mit zumeist zersägten Elefantenstosszähnen und einem Gesamtgewicht von 262 Kilogramm. So viel Elfenbein auf einem Haufen (Wert: rund 400'000 Franken) wurde in Zürich noch nie konfisziert. Und wem gehörten die Koffer, in denen auch noch Krallen und Fangzähne von Löwen versorgt waren? "Die Koffer waren von drei chinesischen Staatsangehörigen in Dar es Salaam (Tansania) via Zürich mit Ziel Peking (Volksrepublik China) aufgegeben worden", hiess es an der heutigen Medienkonferenz im Airport Zürich. Die drei Männer wurden verhaftet und nach der Zahlung einer Kaution von 100'000 Franken frei gelassen. Sie sollen lediglich Kuriere sein, die unterdessen weiterreisen konnten. Was sie an Stosszähnen einpackten, entspricht einer Herde von schätzungsweise drei bis vier Dutzend getöteter Elefanten.
Ziel für afrikanische Buschfleisch-Delikatessen
Illegale Ladungen mit Tierbestandteilen dürften aber auch täglich unentdeckt den Zoll am Flughafen Zürich passieren. Ihr Schmuggel geht in die Tonnen. Gemäss Bruno Tenger von der Schweizer Wildschutzorganisation Tengwood – sie führte 2013 mit Schweizer Behörden eine entsprechende Studie durch – werden jährlich geschätzte 13 Tonnen Buschfleisch allein von geschützten Tieren in die Schweiz geschmuggelt. Tenger zu OnlineReports: "Auf dem Luftweg kommen mindestens 40 Tonnen Bushmeat in die Schweiz" – nicht geschützte Tiere inbegriffen." Gemäss einem von Tengwood mit dem Statistiker Hans Hauser ausgearbeiteten Berechnungsmodell werden jährlich zwischen 96 und 163 Tonnen Buschfleisch in die Schweiz eingeschleust.
Aber auch auf dem Landweg werden Wildtiere tot oder lebendig ins Land geschmuggelt. Selbst an den Zollstellen der Regio Basiliensis wurden bereits afrikanische Tier-Delikatessen konfisziert. Das schmackhafte Fleisch tropischer Tiere sei "extrem" begehrt, weiss Tenger. Wo das Buschfleisch von wem verzehrt wird, müsse aber erst genau untersucht werden. Immerhin: Das wachsende Problem wird heute hierzulande ernst genommen.
UNO: "Klares Signal" an Verbrecher
Nun hat die UNO-Generalversammlung ihre erste Resolution gegen den kriminellen Wildtierhandel verabschiedet. Sie kommt als entschlossene Kampfansage der Staaten an die Wilderei-Netzwerke und für den Artenschutz daher. "Die Resolution der Generalversammlung ist ein historischer Schritt nach vorne", erklärte am 31. Juli Achim Steiner, Direktor der in Nairobi stationierten UNO-Umweltbehörde UNEP. Dank des "klaren Signals" an die kriminellen Netzwerke habe die Staatengemeinschaft klar gemacht, dass die Tötung oder Gefangennahme und Verschleppung wilder Tiere von nun an "als schweres Verbrechen" behandelt werden.
Mit der Resolution werden auch die Behörden aller Stufen aufgefordert, alles zu tun, um auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene entschlossen gegen das Leerwildern der Lebensräume vorzugehen. Er hoffe auch, so Steiner, dass die Resolution helfe, vorab der sinnlosen Vernichtung der Elefanten und Nashörner einen Riegel zu schieben. Ironie des Schicksals: Am Montag dieser Woche wurden im kenianischen Tsavo-Nationalpark bereits wieder fünf Elefanten gewildert. Darunter sollen auch alte "Tusker" sein, die letzten Elefanten mit auffallend langen Stosszähnen. Bereits der Abschuss des besonders prächtigen Bullen "Satao" durch Wilderer im letzten Jahr, hatten einen internationalen Aufschrei ausgelöst.
Der "Massenmord" an den Elefanten
Auch wenn die Bezifferung von wild lebenden Tieren heikel ist, geben die Zahlen zumindest einen groben Anhaltspunkt. So wird davon ausgegangen, dass in Afrika zurzeit jährlich bis zu 25'000 Elefanten umgebracht werden (Bild, Tansania). Nur schon der Bestand der (kleineren) Waldelefanten im Kongobecken soll zwischen 2002 und 2011 um 60 Prozent dezimiert worden sein – zum Beispiel durch Armeen, Rebellenbewegungen und Milizen wie die somalische Al Shabab. Sie füllen – wie früher schon die Kriegsparteien in Angola, Mosambik oder Kongo-Kinshasa – mit dem Erlös aus Elfenbein ihre Kriegskasse auf.
Insgesamt sollen in den Savannen und Wäldern Afrikas noch zwischen 420'000 und 650'000 Elefanten leben. Allein zwischen 2010 und 2012 haben laut der amerikanischen Akademie für Wissenschaften (NAS) rund 100'000 Elefanten des Elfenbeins wegen ihr Leben verloren. Tansania, in dessen Weltnaturerbe und Wildreservat Selous (52'000 Quadratkilometer) die weitaus meisten Dickhäuter umgebracht wurden, sieht sich mit wohl kaum herbei fantasierten Vorwürfen konfrontiert, dass die Hintermänner der Wilderei auch in der Regierung sitzen. Ohne hochrangige Unterstützung hätten niemals so viele Dickhäuter in so kurzer Zeit abgeschossen werden können, lautet eine Begründung. Der Verdacht hat dem recht guten Ruf des ostafrikanischen Ferienlandes mit berühmten Destinationen wie Kilimanjaro und Serengeti arg in Mitleidenschaft gezogen..
China – immer wieder am Pranger
Selbst am Kap der Guten Hoffnung hat man die Lage längst nicht mehr im Griff. In Südafrika, das über die am besten ausgebildeten Ranger-Einheiten Afrikas verfügt, könnte die entfesselte Wilderei der Nashörner auch nicht ohne korrupte Beamte oder Insider stattfinden. Die nicht selten mit Helikoptern, Präzisionsgewehren und Kettensägen jagenden Verbrecher wilderten gemäss dem Washingtoner Artenschutz-Abkommen Cites allein 2014 insgesamt 1'215 Rhinos.
Das heisst: Alle acht Stunden starb in diesem Jahr in Südafrika ein Tier seines Nasenhorns wegen. Als grösster Absatzmarkt für Elfenbein und Nasenhorn gilt nach wie vor China, wo der wachsende Wohlstand die Nachfrage nach den "heilenden" oder prestigeträchtigen Tierbestandteilen aus Afrika in die Höhe treibt. Der zunehmende Einfluss Chinas in Afrika wie auch einige seiner sich in Afrika niederlassenden Bürger – Mitglieder von Verbrechersyndikaten – sollen laut Beobachtern die Wilderei "modernisiert und professionalisiert" haben. Das chinesische Kriminelle alle Wege nutzen, selbst diplomatische, um Elfenbein oder Rhino-Nasenhorn von Afrika nach China zu schmuggeln, beweist auch der heute publizierte Schmuggelversuch am Airport Zürich.
Der Abschuss von Löwe Cecil
Nicht nur in Südafrika oder Tansania, auch in anderen afrikanischen Ländern sind korrupte Behördenmitglieder wie auch Wildhüter in der Wilderei involviert. welche je länger desto mehr auch bislang nicht bedrohte Tierarten dezimiert. Die Gründe reichen von massloser Bereicherung über Hunger und Armut bis hin zum florierenden Buschfleischhandel, Korruption, Statusdenken und der Besiedlung bislang unbewohnter Gegenden. Hinzu kommen die Exzesse unverantwortlicher Jäger und Jagdhelfer.
Das Herauslocken des schwarzmähnigen Vorzeige-Löwen Cecil aus einem Reservat in Simbabwe und dessen Erschiessung durch einen amerikanischen Zahnarzt hat Entsetzen sowie einen weltweiten Aufschrei ausgelöst. Nur: Solches und Ähnliches geschieht regelmässig und völlig unbeobachtet in den kaum kontrollierten Jagdgebieten des afrikanischen Buschs.
Cecils Schicksal ist bei weitem kein Einzelfall. Bereits erregt ein neuer Fall die Öffentlichkeit, obwohl dort kein Jagdvergehen vorzuliegen scheint. Aber die stolz und wie ein Fotomodell hinter einer tot geschossenen Giraffe posierende US-Jägerin Sabrina Corgatelli lässt die Emotionen hochkochen. Auf Facebook erklärt sie sich überglücklich, die harmlose Giraffe erlegt zu haben.
Buschkriege um die Wildtiere
Neben Wilderei, illegaler Jagd und verbotenem Tier- und Buschfleischhandel setzen aber den Wildtieren überall auf der Erde auch noch weitere Entwicklungen zu: Abholzungen, die Ausbreitung menschlicher Siedlungen und Agrarflächen, Überfischung, Umweltverschmutzungen, Klimawandel und Krankheiten. Ein wachsendes Problem gerade in Afrika ist ausserdem das Fluten vieler Länder mit Kriegswaffen. Sie ersetzen die herkömmlichen Waffen wie Speer, Pfeil, Buschmesser, Karabiner, Pflanzengifte oder Drahtschlingen. Und sie führen in Ländern wie Sudan, Somalia, Äthiopien, Kenia, Zentralafrikanische Republik und den beiden Kongo zu einer weiteren Eskalation der Wilderei, die auch den Beruf der Wildhüter immer gefährlicher werden lassen.
So warnte im Juni das in Genf stationierte Institut und Waffen-Kompetenzzentrum"Small Arms Survey" vor der wachsenden Militarisierung der Wilderei: "Neben der Ermordung von Tausenden von Menschen in den aktuellen militärischen Konflikten, zeigen sich die wohl verheerendsten Auswirkungen von Handfeuerwaffen und Leichten Waffen bei der Zerstörung der Tierwelt." Die Folgen sind heute schon spürbar: Um die Wildtiere toben (kaum je thematisierte) Buschkriege zwischen Wildhütern und Wilderern, mit wachsender Aggressivität und mit mehr und mehr Toten. Die Obama-Administration hat auch deshalb schon vor einiger Zeit den Einsatz von Geheimdiensten, US-Satelliten und Drohnen zur Bekämpfung der Wilderei bekannt gemacht. Und beim G-7-Gipfel im Juni auf Schloss Elmau in Deutschland wurde die Wilderei als Besorgnis erregendes Problem ins Abschlussdokument aufgenommen.
Einigkeit der Staatengemeinschaft gefragt
Fakt aber bleibt für Afrika: Der Fauna wird heute zugesetzt wie noch nie zuvor. Kein Wildtier ist mehr sicher, es gibt keine "heile Welt" mehr, selbst in den oft ungenügend geschützten Nationalparks und weit abgelegenen Gebieten nicht. Die frei lebenden Tiere sind heute überall in Gefahr zu verschwinden – von der Zwergantilope über den Geier bis zum Krokodil, Welse, Leoparden und Elefanten. Unabhängige KennerInnen der Zustände in Afrikas Wildnis alarmierten in den letzten Dekaden immer wieder die zuständigen Gremien der internationalen Organisationen und Regierungsstellen. Aber ihre Schilderungen und Beweise wurden nicht ernst genommen, griffige Gegenmassnahmen kaum je ergriffen.
Unterdessen ist die Lage so dramatisch, dass sich die UNO-Vollversammlung nach dreijähriger Vorarbeit immerhin zu ihrer Resolution durchringen konnte. Ein Fortschritt. Das wird aber nicht genügen. Denn die Wilderei und der verbotene Handel mit Tieren und Pflanzen kann nur mit Kooperationswillen, Entschlossenheit und mit der vereinten Kraft aller Staaten und auf allen Ebenen eingedämmt werden. Eine Mammutaufgabe für eine Staatengemeinschaft, die sich schon bei der Lösung anderer Konflikte nicht einig werden kann.
Wildtieren droht die Ausrottung
Scheitert das ambitionierte Vorhaben, wird Afrika nicht nur bald keine Wildtiere mehr haben. Der Kontinent wird auch einen Teil seiner Seele und seiner kulturellen Identität verlieren. Ihm wird in vielen Ländern auch sein Safari-Tourismus einbrechen, weil Elefanten, Giraffen, Gorillas, Löwen, Zebras, Büffel, Krokodile und Flusspferde ebenso verschwunden sind wie Strausse, Pythons, Schuppentiere, Trappen und viele weitere Wildtiere. Und er wird mit neuen Problemen zu kämpfen haben, die ihm bislang dank dem Wild erspart blieben. Denn jedes Lebewesen – vom Mistkäfer bis zum Nashorn – hat seine wichtige, vielfach noch nicht einmal erkannte Aufgabe im afrikanischen Ökosystem.
Die Dezimierung der Nashörner und Elefanten in Ostafrika etwa haben zur Überwucherung ganzer Landstriche mit dornbewehrten Akazien geführt. Da gibt es kaum mehr ein Durchkommen. Auch für Wilderer nicht. Aber die bleiben eh fern. Denn wo es nichts mehr zu holen gibt, geht auch keiner mehr hin.
4. August 2015
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